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Diese Rezensionen der drei ersten Teile der Lebensgeschichte erschienen - wohl vom selben Verfasser stammend - im Jahr 1778.
 
 
 
 
 
 
 
 

Teil 1:

   
Einfalt und Natur, sowol in der Sprache,
als in der Charakterzeichnung und dem ganzen Gang
der Erzählung, mit aufmerksamen Beobachtungsgei=
ste dem unverkünstelten Menschen abgelauschte und ge=
treu kopirte kleine aber desto darstellendere
Züge, Wahrscheinlichkeit auf die höchste Stuffe der
Wahrheit hinaufgerückt und ein gewisser frommer,
ruhiger Geist, der über das ganze ausgebreitet ist,
zeichnen diese Geschichte vor so vielen seyn sollenden
Originalen und Kopien der aus= und inländischen Ge=
schichtsklitterer aus. Die würkliche Jugendgeschichte
des Heinrich Stillings macht eben nicht den beträcht=
lichsten Theil des Buches aus. Man müßte denn die
ganze Geschichte seiner Familie auch als einen Theil
seiner eigenen Geschichte ansehen; wie es denn auch
in der That im würklichen Leben so ist; denn Vorfah=
ten und verwandte Zeitgenossen schaffen oft einen gros=
sen Theil unsers Charakters und unserer Begebenhei=
ten. Eberhard Stilling, der Großvater, ein Bauer
und Kohlenbrenner – mein Liebling unter der ganzen
Familie, ein fester, edler und seelenguter Mann –
Wilhelm Stilling, der Vater, Schneider und end=
lich Dorfschulmeister, eine weiche, fromme, schwär=
merische, und bey dem allen eigensinnige, ihren be=
sondern Weg fortschwebende Seele – Dortchen, Hein=
richs Mutter, still, sanft und dämmernd, wie eine
Sommermondnacht – Stollberg – ein Pastor,
der sich nur am Ende in der Leichenpredigt des Eberts
mit Ehren sehen läßt – und unser Heinrich selbst –
das sind die wichtigsten Personen, mit denen uns die=
se Geschichte bekannt macht. Was Heinrich Stilling
für ein Wunderjunge war? – ja ! das läßt sich nicht
so in der Kürze sagen. Verstand und Empfindung
hatte er recht viel ; wenn aber nur sein Vater Wil=
helm ,, zumal in dem Zeitpunkte seines Pietismus,
seine Natur nicht überspannt hätte! – Ich möchte
wo wissen, was aus dem Knaben geworden wäre !
Nach dieser Anlage gewiß ein sonderbarer Mann.
Wenn ja alte Volkslieder, auf Schreibpapier ge=
druckt und nicht von dem Volke gesungen, sondern
von den Herren und Damen gelesen werden sollen:
so muß ich sagen, daß die hier vorkommenden sehr
dichterisch und weit besser sind, als die, welche man
hie und da zerstreut – und oft an der unrechten Stel=
le findet. – Das Gerücht legt diese Geschichte dem
Herrn D. Jung in Elberfeld bey; ja man will so
gar viel Wahrheit darinnen suchen. es kann seyn;
zumal da verschiedene Stellen z. E. S. 88 [LG S. 40 f.] einen Mann
von dieser Klasse zu verrathen scheinen. Ist Herr D.
J. der Verfasser, so wird er mehr Ehre davon haben,
als von seinem Schleuderkampf mit Nothankern [siehe 1775, 1776] Das
Chodowiekische Kupfer ist eines von seinen herrlich=
sten. Schon die im Vordergrunde sich dehende [sic; dehnende] Katze
ist Meisterwerk.
 
 

Teil 2:

 
Die Personen und Scenen sind zwar größtentheils
in dieser Jünglingsgeschichte verändert; aber die ru=
hige, sanfte, wahre und bey dem allen nicht gemeine
Natur herrscht auch hier durchaus, wie in der Ju=
gendgeschichte, welche also für den ersten Theil die=
ser Jünglingsjahre anzusehen ist. Stillings Wan=
derungen werden den dritten Theil ausmachen Hen=
rich, eine sonderbare Seele, die bey aller Eigenheit
und Unbehülflichkeit viel Anziehendes und rührend Gros=
ses hat, glaubt in sich den höhern Beruf zu fühlen,
sich von der Schneiderswerkstätte seines Vaters
loßzureissen und ein Lehrer des Volks zu
werden. Er erhält fast von allen Dörfern der Ge=
gend den Ruf als Schulmeister, versieht sein Amt
treu und redlich, wird aber immer in kurzer Zeit, mei=
stens aus interessirten Absichten der Pastoren, wieder
vom Amte gejagt, daher er sich auch am Schluße die=
ser Jünglingsjahre n die Fremde begiebt, um dort ein
bessers Glück zu suchen, als das war, so ihnin seinem Va=
terlande so ballenmäßig herumwarf. – Doch was nutzt
dieß Plangerippe ! Es könnte die Leser mehr abschrecken,
als anlocken. Nach reifer und wiederhohlter Verglei=
chung meiner Empfindung und meines Urtheils, zähle
ich diesen Stilling noch immer unter die besten Pro=
dukte dieser Art, und ziehe ihn vielen andern Roma=
nen weit vor, die, wie überzuckerte Mohnkörner zwar
unsern lesenden und empfindelnden Kindern gar süsse
schmecken, aber sie auch entweder einschläfern oder
beym Erwachen allerhand Verirrungen des Geistes in
ihnen hervorbringen. Die Natur, sol wie sie ist, gut oder
böse, getreu dargestellt; auch da, wo sie biß zu Klei=
nigkeiten herabsinkt, durch Wahrheit und Naivität
anziehend gemacht; mit einem Worte, das ganze Büch=
lein gerade so, wie die beiden chodowiekischen Kupfer –
wer sollte da seinen Beyfall versagen können? Wie
Henrich dem Homer in einer alten teutschen Ueberse=
zung las – soll zur Probe da stehen: „Schwerlich ist
die Ilias, seit der Zeit, da sie in der Welt gewesen,
mit mehrerm Entzücken und Empfindung gelesen wor=
den. Hektor war ein Mann, Achill aber nicht,
Agamemnon noch weniger : mit einem Wort : er
hielt es durchgehends mit den Trojanern, ob er
gleich den Paris mit seiner Helenen kaum des An=
denkens würdigte; besonders weil er immer zu Hause
blieb, da er doch die Ursache des Kriegs war. Das
ist doch ein unerträglich schlechter Kerl ! dachte er
oft bey sich selber. Niemand dauerte ihm mehr, als
der alte Priam. Die Bilder und Schilderungen des
Homers waren so sehr nach seinem Geschmack, daß
er sich nicht enthalten konnte, laut z u jauchzen, wenn
er ein so recht lebhaftes fand, das der Sache ange=
messen war; damals wäre die rechte Zeit gewesen,
den Ossian zu lesen. „ –
  
   

Teil 3:

 
 
Nun ist diese wahrhafte Geschichte vollendet.
Die vielen noch lebenden Personen, die gegen das
Ende derselben namentlich vorgeführt werden, lassen
mehr als vermuthen, daß Herr Doktor Jung zu
Elberfeld, der aber jetzt als Lehrer an die Kameral=
schule zu Lautern geht, sein eigener Geschichtsschrei=
ber worden ist. Ausser der Einfalt und Natur, die,
wie schon gesagt worden, im Ganzen herrscht, sind
besonders in diesen Wanderungen, der fromme Geist
und das unerschütterte Vertrauen auf Gott die her=
vorstechendensten Charakterzüge des vom wandernden
Schneidergesellen biß zum Doktor der Medicin sich
aufschwingenden Stillings. Ich zweifle nicht, daß
in Stillings Seele, die gewiß keine von der gewöhn=
lichen Art ist, die ganze Gedankenreihe und Empfin=
dungsfolge, wie sie hier beschrieben wird, wahr,
natürlich und ungekünstelt gewesen ist, daß manches
Nachahmung verdient, und manches lebende Stär=
kung seyn wird, nicht nur für die Brüder der Ge=
meine, zu welcher Stilling gehöret, sondern für
jedes gute Christenherz; aber doch glaube ich, daß
ein gewisser Theil der Leser das granum salis nicht
vergesen darf, damit er nicht ungerecht urtheile,
und daß ein anderer Theil wohl auf sein Herz Acht
geben müsse, damit es nicht nachäffe, was er nicht
nachahmen kann. – In den Gedichten, die hier
vorkommen, wird man zwar nicht die Quelle verken=
nen, aus der sie gestoßen sind, aber doch auch
mehr Reinheit und Absonderung der fremden Theile
wünschen. Hier zum Schluß eine kleine Anekdote zur
Litteratur. S. 158. [= LG S. 283 f.] „des andern Mittags giengen
sie zum erstenmal ins Kosthaus (zu Strasburg) zu
Tische. – Es speiseten ungefehr zwanzig Personen
an diesem Tisch, und sie sahen einen nach dem an=
dern hereintreten. Besonders kam einer mit grossen
hellen Augen, prachtvoller Stirn, und schönem
Wuchs, muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn
Troosts und Stillings Augen auf sich; ersterer
sagte gegen letztern : das muß ein vortrefflicher Mann
seyn. Stilling bejahte das; doch glaubte er, daß
sie beyde viel Verdruß von ihm haben würden, weil
er ihn für einen wilden Cammeraden ansahe. Dieses
schloß er aus dem freyen Wesen, das sich der Stu=
dent annahm; allein Stilling irrte sehr. Sie wur=
den indessen gewahr, daß man diesen ausgezeichne=
ten Menschen Herr Göthe [sic; Goethe] nannte. „ –
 
 

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