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Jung-Stilling und Kant
Jakob Salat publiziert 1798 den Aufsatz „Ueber den Beifall, den die Kantische Philosophie bei Schwärmern und Mönchen gefunden haben soll.“
Er schreibt darin über Jung-Stilling:
„3) Bekannter, aber in dieser Hinsicht noch immer merkwürdig, ist die Art, wie Hr. Hoft. Jung in Mar [S. 68:] burg mit der Kantischen Philosophie sich befasst und – benommen hat. Da er (ein Mann, welcher unstreitig in Ansehung seiner Schicksale, seines moralischen Charakters und, zum Theil oder in Rücksicht auf jene, selbst als Schriftsteller eine auszeichnende Achtung verdient,) im Ganzen betrachtet, wohl auch in die angezeigte Classe der Mystiker gesezt werden muß; da er überdies bei Vielen, mit mehr oder weniger Grund, im Rufe der Schwärmerei steht, und folglich da oder dort, zur Veranlassung des oben gedachten Einwurfes gegen die kant. Philosophie – nicht wenig beigetragen hat: so möchte hier allerdings der Ort seyn, zu erklären und, so weit der Raum es gestattet, genau zu bestimmen, ob und inwiefern die kant. Philosophie bei diesem Manne Eingang und Beifall gefunden habe.
Schon frühe beschäftigte sich Hr. Jung mit dem Studium der kant. Kritik; ja, diese zog ihn dergestalt an, daß er selbst mit Kant in BriefWechsel trat. Es war jedoch bloß oder vornehmlich der theoretische Theil, was ihn dergestalt beschäftigte; und er fand hier die Philosophie (in der Krit. d. r. Vern.) besser als je mit dem Christenthume vereinbar. Als er daher dem Stifter der kritischen Philosophie seinen Dank und seine Ehrfurcht bezeugte, drückte er zugleich seine hohe Meinung von dem Werthe des Christenthums aus. Was uns hier zu dieser Erklärung berechtigt, ist ein Fragment aus Kant‘s Briefe, welches Hr. Snell in seiner Kritik der VolksMoral (S. [S. 69:] 430 der 2ten Ausg.) uns liefert, und das nun, da es einmal bekannt ist, wegen der Verwandtschaft des Gegenstandes auch hier stehen mag: ‚Sie sehen, theuerster Mann,‘ (schrieb Kant dem H. Prof. Jung,) ‚alle Untersuchungen, die die Bestimmung des Menschen angehen, mit einem Interesse an, das ihrer Denkungsart Ehre macht ..... Sie thun auch daran sehr wohl, daß sie die letzte Befriedigung Ihres nach einem sichern Grunde der Lehre und Hoffnung strebenden Gemüthes im Evangelium suchen, diesem unvergänglichen Leitfaden wahrer Weisheit, mit welchem nicht allein eine ihre Speculation vollendende Vernunft zusammentrifft, sondern daher sie auch ein neues Licht in Ansehung dessen bekommt, was, wenn sie gleich ihr ganzes Feld durchmessen hat, ihr noch immer dunkel bleibt, und wovon sie doch Belehrung bedarf. Eine Antwort, welche die Weisheit (und die Humanität) gab, die aber freilich der Unverstand (und die geheime Neigung) für oder wider eine Partei auslegen könnte. Dies letztere zielt jedoch hier nur auf gewisse Urtheile, welche dieses Fragment hin und wieder veranlasst hat *). Und wer sieht nicht, wie Jemand dasselbe aufnehmen könnte, um damit jene angebliche Bemerkung zu unterstützen?
* Daß Hr. Jung diese Stelle dankbar aufnahm, und ihren Sinn, wenigstens im praktischen Gefühle und von einer Seite, nicht verkannte, weiß der Verf. der gegenw. Abhandl. aus dem Munde eines seiner Freunde, welcher, auf einer Reise den würdigen Mann damals (1790) in Marburg besuchte.
[S. 70:]
Indeß suchte Hr. J. nach einiger Zeit die Principien der krit. Philosophie zum Behufe seiner religiösen Vorstellungen öffentlich anzuwenden: Ewalds Urania v. J. 1792–1793 enthält mehrere Versuche dieser Art. Allein er hielt sich auch da nur an den theoretischen Theil jener Philosophie. Denn obgleich der höhere, moralische Geist, welcher in den Kantischen Schriften weht, auch seinem Geiste, seinem moralischen Gefühle (in der nächsten praktischen Hinsicht) vornehmlich zusagte: so hatte er dennoch auf dem individuellen Wege seines Studium‘s und seiner DenkWeise, sich überzeugt, daß er vermittelst der theoretischen Principien des Kriticismus zur Vertheidigung der Religion, und besonders der Christlichen, d. h. seiner Ansicht von dieser, am meisten beitragen könne. So gerne dringt das Theoretische im praktischen Gebiete überall vor! – Natürlich war der Gebrauch, den er jetzt von der krit. Philosophie machte, im glücklichsten Falle bloß negativ, indem er nach seiner Art zeigte, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit, und die Katesgorieen auf das Höhere, Uebersinnliche sich gar nicht beziehen, und daß folglich hier für das Religiöse,Posis tive u. s. w. freies und offenes Feld sey.
Die neuere Schrift, in welcher Hr. J. die kant. Kritik zum Besten seiner Theorie wieder anwandte, ist sein ‚Heimweh:‘ ein Buch, das unstreitig bei allem – Sonderbaren manches Schöne, Hervor= [S. 71:] stechende, besonders im 1sten B., enthält, und das auch derjenige, welcher darin überall nur den Geist der Schwärmerei sieht, wenigstens als ein literarisches Phänomen merkwürdig finden wird, wenn er zumal die übrigen Verdienste des Mannes dabei nicht übersieht; und wer kennt nicht z. B. seine leichte und öfters schöne ErzählungsGabe, vorzüglich aus einigen Stücken in der eben genannten ZeitSchrift? – Indem, Hr. J. im 2ten B. den Helden seiner Geschichte durch verschiedene Grade des Unterrichts und der Vorbereitung führt, benutzt er auch da wieder die kant. Philosophie um ihn gegen die Anfälle des Unglaubens zu waffnen, um sein Auge zu schärfen, und zum höhern Lichte ihn vorzubereiten. Er zeigt, unter andern Lehrsätzen, die er aus der Kr. d. r. V. hier wieder aufnimmt, nach seiner Weise gut und treffend, wie uns die Vernunft (als theoretische, Kraft) von dem Höhern, Sittlichen und Religiösen, nichts offenbaren könne, da sie (als solche) in allem, was den wirklichen Gebrauch angeht, auf die SinnenWelt eingeschränkt, und zu nnsittlichen (wie zu sittlichen) Zwecken brauchbar ist: er heißt sie, in dieser Hinsicht, physische Vernunft; und sie erscheint hier allerdings in keinem sehr günstigen Lichte.
Man konnte indeß erwarten, daß er auf den nächste folgenden Stufen des Unterrichts, wo von dem Sittlichen und Religiösen die Rede seyn musste, die Vernunft als praktisches Vermögen eben so hin= [S. 72:] aufsetzen würde, als er sie in der erstern Beziehung, nach dem Gange seiner Vorbereitung, herabgesetzt hatte. Man konnte wünschen, daß er sie da als die eigentliche Quelle des sittlichen Gesetzes (zunächst im Menschen) und der Wahrheit im sittlichen Gebiete vorstellen, und etwa – was man an der kritischen Philosophie zum Theil noch vermisst — auch besonders die Schwierigkeiten zeigen möchte, die hinweggeräumt werden müssen, damit die Vernunft als praktisch sich äußern, und glücklich, im höhern Grade und in größerer Ausbreitung, wirken könne. Allein diese Erwartung und dieser Wunsch eines unparteiischen und prüfenden Lesers wurden nicht erfüllt. Zwar redet der Verf. von einem ‚SittenGesetze,‘ S. 276 u. ff., von einem ‚Gesetze, das im Wesen der menschlichen Vernunft verborgen liege‘ u. dgl. Anstatt aber die Wirkung auf ihre letzte und eigentliche Ursache, die Vernunft, zurückzuführen, bleibt er bei dem ‚moralischen Gefühle‘ stehen, ohne dieses je deutlich für eine Wirkung jener Ursache (der ingeheim wirkenden praktischen Vernunft) zu erklären; und nur selten vertauscht er diesen Ausdruck mit andern, noch weniger bestimmten. Der reine, d. i. der eigentliche Antheil der Vernunft an der moralischen Gesetzgebung und an der Bestimmung dessen, was im Gebiete der Sittlichkeit und, mittelbar, selbst der Religion wahr ist, wird mit keiner Sylbe genannt. Erst späterhin, wo der Un= [S. 73:] terricht schon vorbei ist, wird der Ausdruck ‚moralische Vernunft" einmal wie verloren eingewebt. Eine Darstellung wie diese konnte jener Erwartung um so weniger genugthun, da es hier nicht erlaubt war, bei einer MittelUrsache, die nur im wirklichen Leben öfters für die eigentliche Ursache gilt, bei dem moralischen Gefühle, stehen zu bleiben, und da es hier besonders darauf ankam, durch bestimmte und deutliche Begriffe eine HauptQuelle des Mysticismus und seiner verderblichen Folgen zu verschließen.
Der Mangel des Ausdrucks ‚moralische Vern. fiel überdies um so stärker auf, je öfter zuvor von der ‚physischen Vern.‘ die Rede gewesen war. Was mir aber zugleich einfiel, und wessen ich mich nicht erwehren konnte, dies war die Frage: ob Hr. J. die Kantische MoralPhilosophie auch wirklich annehme, und ob er insbesondre den wesentlichen Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunft je deutlich erkannt und eingesehen habe? Es ist so leicht nicht, das praktische Vermögen der Vernunft zu erkennen; es ist besonders schwer für denjenigen, welchem, bei einem regen und lebendigen Eifer für das Bessere, auf seinem Wege viele Menschen begegnet sind, denen die Vernunft nur (theoretisch oder wenn man will, physisch) zur größern Befriedigung ihrer Leidenschaften diente; und am schwersten für den, welcher sich zugleich lange an die Vorstellung gewöhnt
[S. 74:]
hat, daß die Religion etwas enthalten müsse, was schlechterdings über die Vernunft, und folglich auch, in jeder Hinsicht, über die praktische sey. Wer einmal der Vernunft einen wesentlichen Antheil an dem SittenGesetze (das sich, wie bekannt, als solches auch wesentlich auf den freien Willen bezieht) zugesteht; wer dasselbe, als Gesetz, eigentlich nur aus der Natur oder dem Wesen der Vernunft ableitet: der kann unmöglich annehmen, daß es in der Religion etwas gebe, welches (der Art, nicht bloß dem Grade und dem allumfassenden, religiösen StandPunkte nach) über das Sittliche und folglich über die Kraft sey, aus welcher das SittenGesetz in uns hervorgeht.
Durch die Art und Weise, wie dann Hr. J. in Sachen der Religion weiterhin demonstrirt und, was jetzt nothwendig hinzukam, vernünftelt und besonders wie er zu einer höhern Stufe des Unterrichts aufsteigt, und hier die positive Religion, oder auch die Religion überhaupt, in jedem Verstande über die Vernunft setzt; wie er nun eben die physische Vernunft, als logisch und, in seiner Anwendung, transcendent, oder dienstbar einem willkürlichen Stoffe gebraucht, und wie ihn dieselbe täuschet: dadurch wurde der Zweifel, den jene Frage mir darbot, verstärkt, oder vielmehr das Urtheil durch den geraden Anblick der Sache, ohne weitere Rücksicht, bestimmt. Und bei der zufälligen Erinnerung an Menschen von gleicher Denkungs= [S. 75: ] art, an solche, die auch dem ersten Anscheine nach Kant‘s Moral annehmen; die auch von einem,,Gesetze des Guten, von einem heiligen Gesetze in uns reden, aber schon die Frage scheuen: wer denn eigentlich in uns dieses Gefetz gebe? und den Beweis, daß die Vernunft es seyn müsse, nimmermehr aushalten; gewiß weil sie daher für die Theorie ihres bisherigen Glaubens, oder für ihre mystische HandlungsWeise besorgt sind; – bei dieser Erinnerung konnte ich mir die Vorstellung nicht versagen:
daß die Männer von dieser Stimmung des Verstandes und Herzens die Kantische Philosophie zwar insoweit annehmen, als sich dieselbe dem Eigennutze, der groben oder verfeinerten Eigenliebe entgegensetzt, und ein Gut anerkennt, welches über die Sinne und den (bloß denkenden) Verstand des Menschen geht; daß sie aber dessungeachtet den eigentlichen Beweis der kant. Philosophie, besonders in Ansehung der praktischen Vern., weder angenommen, noch jemals, im Begriffe oder in wissenschaftlicher Hinsicht, recht gefasst haben *).
Aus der bisherigen Erörterung ist es nun, wie mir däucht, hinlänglich klar, wie viel an der Bemerkung wahr
*) Doch kennt der Verf. auch solche, die, vorhin jenem (bessern) Mysticismus ergeben, nun durch die neuere Philosophie – die Kritik und die Wissenschaftslehre — zur reinern Ansicht gelangt sind.
[S. 76:]
sey, daß die Kantische Philosophie bei dieser Gattung von Mystikern, oder – wofern man, unter der Bedingung des vorhin gemachten Unterschiedes, so will — bei den Schwärmern, besonders viel Eingang und Beifall gewonnen habe.
In Ansehung der Mönche können wir uns kürzer fassen; denn […].“
Vgl. zu Johann Georg Arnold Oelrichs.
Jung-Stilling und Johann Jakob Günther
Der Mediziner und Naturforscher, der als Herzoglich Nassauischer und nachfolgend Königlich preußischer Medizinalrat und praktischer Arzt zuletzt in Köln wirkte, hatte eine besondere Beziehung zu Jung-Stilling.
Johann Jakob Günther, geb. Neviges bei Elberfeld 19.02.1771, gest. Köln 13.07.1852, faßte den Entschluß, Theologie zu studieren, und da er Jung-Stillings Lebensgeschichte gelesen hatte, in der auch arme Menschen von Gott unterstützt werden, ging er Herbst 1788 nach Marburg, um vom Autor selbst Rat zu erhalten.
Daniel Carl Theodor Merrem (geb. Duisburg 9.04.1790, gest. Köln 9.10.1859) schreibt darüber:
Ganz mittellos trat er im Herbst des Jahres 1788 die Reise nach Marburg an, wo Stilling ihn wirklich freundlich empfing, ihm aber rieth, statt der Theologie Cameralia zu studiren, in welchen Fache es ihm leichter werden würde, eine Anstellung zu erhalten. Zugleich verschaffte er ihm für drei Tage in der Woche freien Mittagstisch, und sammelte unter den Studirenden Beiträge, die aber kaum zureichten, ihm die übrigen Tage der Woche für einen Kreutzer Brod und für einen Kreutzer Milch zu verschaffen, während für die Heitzung des Zimmers in dem kalten Winter nichts übrig blieb.
I Johann Jakob Günther Johann Jakob Günther Johann Jakob Günther m Frühjahr 1789 rieth ihm daher Stilling zur Sammlung von Unterstützungen eine Rundreise ins Bergische zu machen, die aber bei der Furchtsamkeit und Schüchternheit des der Theologie abtrünnig gewordenen Kandidaten voraussichtlich keinen Erfolg hatte, so dass sich derselbe genöthigt sah, vorerst auf das Fortstudiren zu verzichten. Er wurde nun nacheinander Actuar bei einem Gerichtsschreiber, Informator auf einem adligen Gute, Lehrling bei einem Chirurgen, Elementarlehrer in verschiedenen Orten, und endlich im Jahre 1792 Hauslehrer bei einem Kaufmann in Duisburg, wo er zugleich die theologischen Studien wieder aufnahm und im Jahre 1794 vollendete, so dass er das Tentamen als Kandidat der Theologie bestehen konnte, welchem bald darauf seine Anstellung als Hülfsprediger zu Oberkassel folgte. Hier heirathete er noch in demselben Jahre die Wittwe des verstorbenen Predigers Schönenberg, geb. Fues, welche durch einiges Vermögen es ihm möglich machte, auf das Predigeramt, welches ihm wegen schweren Memorirens und aufgestiegener theologischer Zweifel lästig geworden war, zu verzichten, und einige Jahre zu privatisiren, bis er sich im Jahre 1797 entschloss, zur Medicin überzugehen, wozu ihm die damals noch bestehende benachbarte kur kölnische Universität zu Bonn Gelegenheit bot, wo er besonders Wurzer's Vorlesungen benutzte. Im Herbste 1799 ging er sodann mit Frau und Kind nach Marburg, wo er Baldinger, Michaelis, Busch, Mönch und Stein sen. hörte, und am 26. September 1801 die Doctorwürde erhielt, nachdem er eine Inaugural-Dissertation, Nonnullos aphorismos de aeris in corpus humanum effectu continens, geschrieben hatte, welcher als Kommentar bald seine ‚Darstellung einiger Resultate, die aus der Anwendung der pneumatischen Chemie auf die praktische Arzneikunde hervorgehen‘, folgte.“
Zum Zusammenhang siehe hier!
1799 schreibt man:
„4. Schwedisches Kaffeverboth.
Das neuliche schwedische Verboth der Einfuhr und des Gebrauchs des Kaffees v. 6ten April 1799 [S. 68:] wird in einer Beilage zur allgem. Zeit. vom 19ten Jun. d. J., nebst verschiedenen Bemerkungen, mitgetheilt; auch sind aus der gleich nachgefolgten Verordnung wider den Schleichhandel Bruchstükke beigefügt. Die Sache ist bekantlich öftrer namentlich in Schlözers Statsanzeigen, in Dohms Aufsaz über die Kaffegesezgebung (D. Museum 1777. VIII.), in Krüniz Encykl. Th. 31 [sic], nach ihren rechtlichen und politischen Gründen erörtert. Neuerlich äussert sich darüber Jung (statsw . Ideen I.) in einem eigenen Aufsaz: ‚Ob denn der Kaffe durch keine gesezgebende Gewalt abgeschafft werden könne? das ist, ob er das wahre Noli me tangere sei ?‘ – mit folgenden Worten: ‚Der Kaffe ist ein erbärmliches, schädliches Nahrungsmittel, aber ein herrliches Arzeneimittel; wer Heiterkeit und Thätigkeit der Lebensgeister bedarf, dem dienen täglich ein Par gute Tassen Kaffe, aber auch nicht mehrere, zu einer unvergleichlichen Stärkung, deren ihn keine gesezgebende Gewalt berauben darf und soll.‘ – König Friedrich II. *) der so vieles zwingen konte, zwang den Kaffe nicht, und Landgraf Friedrich II. von Hessen=Kassel versuchte es mit Ernst, aber es half nicht. – Jedes Gesez, jede Verordnung ist vergeblich, wo die Beobachtung, ob es auch wohl gehalten wird, unmöglich ist. Wie oder wo lässt sich aber eine Polizei denken, die da fähig wäre, alle verborgene Winkel in allen Wohnungen eines ganzen Landes jede Minute zu bewachen ? und wo das nicht gesehen kan, da trinkt man Kaffe, und noch um so viel lieber, weil er nun auch mit dem nitimur in veticum gewürzt
.
*) Vergl. Mauvillon von der preuss. Monarchie, III. S. 46-59
Nitimur in vetitum (lat.), Wir trachten (gern) nach dem Verbotenen; Ovid „Amores“, III, 4, 17.
Schlözers Statsanzeigen: Siehe Jung-Stillings Aufsatz.
Christian Wilhelm Dohm: „4. Uebe die Kaffeegesezgebung“. – In: Deutsches Museum- 8. Stück, August 1777, Bd. 2, Leipzig: Weygand, S. 123-145.
In Bd. 31 findet sich „Kaffe“ nur zweimal im Artikel „Jude“ S. 462 und 612. – Der 32. Band der Oeconomischen Encyclopädie, Berlin: Joachim Pauli 1784, umfasst 393 Artikelstichworte; darunter: Kaffe; Kaffe=Aquavit; Kaffe=Baum; Kaffe=Bohne; Kaffe=Branntwein; Kaffe=braun; Kaffe=Brenner; Kaffe=Bret; Kaffe=Brod; Kaffe=Büchse; Kaffe=Conserve; Kaffe=Erbse; Kaffe=Essenz; Kaffe=Farbe; Kaffe=Flecken; Kaffe=Gäscht; Kaffe=Gefrornes; Kaffe=Haus; Kaffe=Hochzeit; Kaffe=Kanne; Kaffe=Kessel; Kaffe=Koch; Kaffe=Kochofen; Kaffe=Lampe; Kaffe=Löffel; Kaffe=Mühle; Kaffe=Mus; Kaffe=Pauke; Kaffe=Pott; Kaffe=Schachtel; Kaffe=Schälchen; Kaffe=Schenk; Kaffe=Semmel; Kaffe=Service; Kaffe=Serviette; Kaffe=Sieb; Kaffe=Stöllchen; Kaffe=Tasse; Kaffe=Teller; Kaffe=Tisch; Kaffe=Topf; Kaffe=Trommel; Kaffe=Tuch; Kaffe=Visite; Kaffe=Waffeln; Kaffe=Wirth; Kaffe=Zeug.
Mirabeau, Honoré-Gabriel de Riquetti de (1749-1791) / Mauvillon, Jakob (1743-1794): Von der Preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen. Bd. 3. Enthaltend: 5tes Buch. Vom Handel. 6tes Buch. Einnahme und Ausgabe. Braunschweig und Leipzig: Dykische Buchhdlg. 1794. – De la monarchie prussienne sous Frédéric le Grand.
[S. 69:] ist. Das Kaffetrinken also geradezu durch ein absolutes Verboth verhindern oder aufheben zu wollen, ist vergebliche Arbeit und noch dazu schädlich, denn die gesezgebende Gewalt zeigt dadurch eine Schwäche oder Blösse, die hernach auch in andern Fällen böse Folgen hat.‘ – Der Verf. empfiehlt hiernächst Belehrung. Aber, unerwartet nach dem Vorhergehenden, räth er dennoch ein Gesez an: daß sich kein Hausvater, keine Hausmutter bei hoher Strafe unterstehen solle, den Kindern Kaffe zu geben. Man soll auf dieses Gesez wachen, so gut man kan, und jeden Uebertreter ohne Schonung strafen, Aber wird denn diese Wachsamkeit leichter, und wenn sie verfehlt wird, dieses Verfehlen, diese Blösse minder schädlich sein? Hr. Jung äussert noch S. 99: ‚Würde man nun auch die so schädlichen Kaffevisiten bei hoher Strafe verbiethen, so würde das ganze Geschäft sehr dadurch erleichtert.‘ Was soll man von der Willkühr erwarten, wenn Lehrer der Gesezgebung solche Mittel anrathen?“
Zum Zusammenhang siehe hier!
1799 liest man in einem Journal:
„Jung’s und Höslin’s Schuzrede für Strohdächer.
In meiner Uebersicht der Sicherungsmittel gegen Feuersgefahr S. 32. habe ich schon die Erfahrung zu Gunsten der Strohdächer im Fürstenthum Nassau=Siegen aus Jung Statspolizei angeführt. Die zahlreichen Eisenschmelzhütten sind dort wenigstens grösstentheils mit Stroh gedekt; die Flammen lekken drüber hin; Ströme glühender Feuerfunken regnen darauf; demungeachtet hört man aber selten vom Abbrennen dieser Hütten, und die Ursache eines wirklichen Brandschadens wird niemals dem Strohdache beigemessen. Vorzüglich ist dies bei den Stabhämmern der Fall. Sie haben durchgehends zwei Heerde, welche als eingemauerte Schornsteine zum Strohdach herausragen, und fast beständig Myriaden glühender Funken ausspeien, die dann glühend auf das Strohdach herabfallen, ohne im geringsten zu zünden.
Neuerlich hat Prof. Jung im ersten Heft seiner statswirthschaftlichen Ideen S. 122 diese Erscheinung umständlich erklärt, und die nachahmungswerthe Bereitung dieser Strohdächer beschrieben. Es wird nämlich das vorher wohl gekämte Rokkenstroh [sic; Roggenstroh] in Lagen eines guten Fingers dik auf Tannenbretter ausgebreitet, dann mit einem guten Ziegelthon etwa 2 Fus breit so dicht und dik bestrichen, daß er zwischen den Halmen eindringt, und man oben keine Halme mehr sieht. Nur am Stoppelende sowohl, als oben gegen die Aehre zu, lässt man das Stroh dort zwei Zoll, und hier noch breiter unbestrichen . Der Dachdekker lässt von dem Brette, worauf ihm das Strohblatt zugetragen [S. 62:] wird, dasselbe auf den Latten, wo es liegen soll, herabrutschen, so das die Thonseite oben komt. Dieses Blatt wird, wie gewöhnlich, befestigt. Auf das erste Strohblatt wird ein eben so bereitetes zweites so viel höher hinaufgerükt, daß nur die unbestrichenen Stoppelenden hervorragen und allein sichtbar sind; u. s. w . mit den folgenden Lagen. Das Aeussere dieses Strohdaches ist wie bei den gewöhnlichen. Der darauf fallende Regen wird von den Stoppelenden abgeleitet. Die Hauptsache ist der innere Kern von Thon, der zwei bis drei Zoll dik und zusammenhängend durchs ganze Dach geht, so daß nur die untere wie die obere Fläche blosses Stroh ist. Fällt auf ein solches Dach Feuer, so werden blos die Strohenden weggesengt; – das Dach selbst bleibt wegen des Thonkernes unversehrt, so lange, bis Latten und Sparren darunter entzündet werden. Auch ein innerer Brand ist dem Dache nicht so gefährlich, wie andern, sondern wird vielmehr dadurch aufgehalten; und durch Hize und Zerspringen wird es den Löschenden nicht nachtheilig, wie dies bei Ziegel und Schieferdächern oft der Fall ist. – Die gewöhnliche Dauer einer solchen Dachdekkung rechnet man auf 18 bis 20 J., bis das Stroh bis an den Thon wegfault, und dieser also dem Regen ausgesezt wird. Bei solcher Einrichtung bedarf es also keines Verboths gegen die Strohdächer, die doch um ihrer Feuergefährlichkeit wegen verrufen sind, da sie übrigens nicht nur wegen ihrer Wohlfeilheit, sondern auch wegen mancher andern Bequemlichkeiten vor den im Sommer brennend heissen, im Winter ausserordentlich kalten Ziegel= und Schieferdächern, die noch dazu, bei ihrer grössern Schwere, einen stärkeren Dachstuhl und stärkere Sparren und Hange= [S. 63; Hangebalken; Hängebalken] balken erfordern, entschiedene Vorzüge haben. – Eine ähnliche Schuzerde für die Strohdächer, * ) als die sichersten wider Regen, Schnee, Hize und Kälte, und selbst wider Feuersgefahr findet man in Höflins Beschreibung der Würtembergischen Alp. (Tübingen 1798. S. 82 ff.)“ Die Anm. lautet: „*) Vergl. auch Valentiners Bemerkungen Pr. Ber. 1795. II. S. 133.“
F[riedrich Valentiner (1756-1813):] „Nachricht von der allgemeinen Vertheilung der Brandschäden in den Landdistrikten der Herzogthümer Schleswig und Holstein im Jahr 1794, nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung dieser Schäden.“ (mit Tabellen) – In: Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 9.Jg.,1.Bd., (1795) (15), S. 128-134.
Höslin, Jeremias: Weil. Jeremias Höslins, Pfarrers zu Böringen, Uracher Oberamts, Beschreibung der Wirtembergischen Alp, mit landwirthschaftlichen Bemerkungen. - Herausgegeben von dessen Sohn, M. Jeremias Höslin, Pfarrer zu Gruorn, Uracher Oberamts. - Tübingen: Jakob Friedrich Heerbrandt 1798. – Höslin, Jeremias, 1722-1789; Höslin, Jeremias, 1752-1810.
Jung-Stilling und Mesmer
Mit dem Tode von Franz Anton Mesmer, dem Begründer der Lehre vom Animalischen Magnetismus, in Meersburg am 1815-03-05 blieb die Überzeugung bei den Jung-Stilling-Forschern: Wahrscheinlich gibt es keine (nachweisbare) Verbindung zu Jung-Stilling, auch keine Begegnung, keine evtl. Korrespondenz. Dies bleibt mit einem Fragzeichen versehen, denn Jung-Stilling ist einerseits der Meinung „Der tierische Magnetismus beweist unwidersprechlich, daß wir einen inneren Menschen, eine Seele haben.“ (Theorie 1808, S. 363, § 9); andererseits warnt er vor Mesmer, dessen Werke er zur Kenntnis nahm (SCHWINGE: Lit); ebenso las er 1813 gleich nach seinem Erscheinen das Werk von
Friedrich Karl von Strombeck: „Geschichte eines allein durch die Natur hervorgebrachten animalischen Magnetismus und der durch denselben bewirkten Genesung; von dem Augenzeugen dieses Phänomens, dem Baron Friedrich Karl von Strombeck, [Titelei ….]. Mit einer Vorrede des Herrn Geheimen-Raths Dr. Marcard. -Braunschweig, 1813. Bei Friedrich Vieweg.“ – Henrich/Heinrich/Hinrich Matthias Marcard, geb. Walsrode 18.11.1747, gest. Hannover 16.03.1817.
Gernot und Hartmut Böhme machen darauf aufmerksam, dass Jung-Stilling im Zeitalter Mesmers lebte und er die wissenschaftlich fundierte Elementenlehre ignoriert. Die „Theorie“ wurde damals also im Rahmen des Mesmerismus und des animalischen Magnetismus gesehen (SCHWINGE: Diss S. 268; BRIEFE S. 211-212, Anm. 5; Jung-Stilling an Lavater1797-07-12 (Brief S. 209-213)) – M. M. Backus [evtl. Mary Moorhead Backus (Transactions of the American Art-Union fort he Year 1847, S. 57, Sp. 1. – Evtl. geb. McCord, die Andrew Backus ehelichte)] meinte 1844: Jung-Stilling brachte den „mesmerism“ in die Romanwelt ein – , Nils Freytag sieht Jung-Stilling eher in der Tradition Swedenborgs aber auch von Kant (Träume …, 1766; Aberglauben im 19. Jahrhundert, S. 273 f.).
1777, „seitdem ein Gaßner selbst Lavatern hingerissen hat, etwas auf fremde Aussagen anzunehmen“ konnte ein Rezensent sich selbst ohne eigene Prüfung zu nichts entscheiden. (x). Ein anderer schreibt wenige Wochen später: „Herr Mesmer macht anitzt wahre Wunderwerke, … da sie glauben zu sehen, daß eine Blinde, die wirklich nicht sieht, so gut sehe, wie sie selbst.“ (x).
Sieben Jahre später schreibt ein Beobachter über diese Wunderwerke: „In der That ist Herr Mesmer sehr glücklich damit, erwirbt sich aber auch erstaunliche Reichthümer. Er wird bald alle Hauptstädte Europens besuchen, und wenn seine Ernde dort auch so reichlich ausfällt, als wie hier, so wird dieses der reichste Arzt in der Welt.“ (x) Er hatte „gegen anderthalb Millionen Liver gesammelt“ und sich „dadurch die Aufmerksamkeit der Franzoesischen [sic] Aerzte und Naturkundiger, und endlich ihren Neid auf sich“ gezogen; denn „noch Niemand, den Hr. Mesmer nach seinem Geheimnis behandelt hat, [hat sich] über Hrn. Mesmer beschwert“. (x).
1786 meinte man: „Daß der Mesmersche Magnetismus Charlatanerie war, glaubt nun jeder Vernünftige in Paris. Jezt haben sich aber andere Magnetisten gefunden, die noch größere Wunder als Mesmer thun. Sie bewirten eine magnetische Nachtwandlung (somnambulisme magnetique,) und eine Desorganisation. Die magnetisirten Personen weissagen sogar ! Wir werden unsern Lesern nächstens von diesen Wundern mehreres bekannt machen.“ (x) Zu diesen Nachfolgern gehörte Armand Marie Jacques de Chastenet de Puységur, der Marquis de Puységur, geb. 1751, gest. 1825; er war zunächst Schüler von Franz Anton Mesmer, dann zerstritt sich mit seinem Lehrer und gründete eine eigenständige Seitenlinie des Mesmerismus, die in Folge einige Jahrzehnte den Mesmerismus in Frankreich dominierte. Ausschlaggebender Unterschied zur Auffassung Mesmers ist, dass Puységur den Aspekt des Fluidums vernachlässigte und den psychologischen Aspekt des Hypnotisierens als wesentlich für das Zustandekommen des Rapports zwischen Mesmerisierer und Mesmerisierten betonte.
de Puységur/Puisegur arbeitete mit der Societé harmonique in Straßburg zusammen (gegr. 1785-08-25, in Paris gegründet 1784-05-18) und heilte z. B. Katherine Gagnier magnetisch; darüber entstand ein Bericht, der bei einer Auflage von 150 Explaren, die verschenkt werden, 82 Sitzungen enthält; darin u. a. zu Lavater, der seine Frau magnetisierte; über Frau Reich, die in Straßburg magnetisierte, eines ihrer Gespräche wird hier abgedruckt; über die Herren Pichler und Weiler; Ehrmann ist Vorsitzender; eine Somnambule verschreibt Rezepte.
Exkurs
Lavaters Aufenthalt in Bremen im Jahr 1786 erregte großes Aufsehen im Kreis derer, die sich mit dem Magnetismus beschäftigten. Johann Ludwig Ummius (1736-1796), Rektor in Bremen, schrieb dazu ein Spottlied, in dem es heißt:
“[...]
Wie schön leucht uns von Zürich her
Der Wunderthäter, Lavater,
Mit seinen Geistesgaben.
Sein neues Evangelium
Hat uns bezaubert um und um;
Thut blöde Seelen laben.
[…]
Was er an seiner Frau gethan,
Bracht er bey uns wohl auf die Bahn;
Den Jüngern zum Vermächtniß.
[…]
Befingert nur die Mädgen all;
Sie sind ja klüger tausendmal
Im Schlaf, als ihr im Wachen.
Heil euch!
[…]“
Die Straßburger Gelehrten Nachrichten berichten ausführlich über dieses Thema, das Georg Friedrich Seiler 1787 geschickt in einem zusammenfassenden Überblick über die Literatur darstellt. Baldinger, Birnstiel, die Berlinische Monatschrift und die Allgemeine deutsche Bibliothek werden u. a. genannt.
Im Jahr 1810 versuchte ein „O.“ Mesmer wieder bekannt zu machen. Er schreibt „Ueber Mesmer.“, der „groß, stark, und ungeachtet bereits 75 Jahr alt, doch sehr munter, lebendig und gesellig“ ist. Auch ist er „wirklich sehr reich und thut gar nichts ums Geld.“ Dieser O. hält es „für heilige Pflicht“, Mesmer wieder in die medizinische Forschung einzubeziehen, damit dieser nicht „unbenutzt stirbt“ und sein „unschätzbares Gut für die Menschheit verloren“ ist. x)
Mesmer war bereits 1887 in Karlsruhe und wiederholte diesen Besuch im 1788-06. In einem Bericht aus Frankfurt vom 1788-07-01 berichtet eine Zeitung am 1788-07-08, dass Mesmer und von Krock in Karlsruhe angekommen seien. (x)
Baron Johann von Krock/Kroock bekleidete seit 1766 den Posten eines russischen Gesandtschaftssekretärs und war seit 1779 Chef der deutschen Abteilung im auswärtigen Amte zu Petersburg. 1783 wurde er außerordentlicher Gesandter; er ehel. Anna Helena von Dietz (geb. Petersburg 25.08./5.09.1752, gest. Dresden 28.10./9.11.1834); mit ihrer Tochter besuchte ! sie 1786 Lavater und wurden dabei begleitet von dem Kaiserlichen Rat von Maria Theresias Gnaden R. M. Cuninghame van Goens. von Krock gab den Reisebericht seiner Frau heraus. (x)
1787 gibt das „Journal von und für Deutschland“ einen gutem Überblick „Ueber Meßmers Magnetismus. Vom Bodensee den 23sten März 1787.“
Im 17. Heft des „Grauen Mannes“, im Jahr 1805, schreibt Jung-Stilling: „Zu unsern Zeiten hat man die Kunst erfunden, Leute, welche kränklich sind, und sehr empfindsame Nerven haben, in diesen Zustand zu versetzen; man nennt diese Kunst, den thierischen Magnetismus.
Da man die Krankheit des entwickelten Ahnungs=Vermögens nicht kannte, und zugleich glaubte, kein Mensch könne irgend et was von der Zukunft ahnen, so sahe man die Sache als etwas Göttliches an, und bezog sie auf die Propheten des alten Testaments; die Kranken glaubten dies nun selbst, ihre glüende Imagination alterirte das Ahnungs=Vermö gen, und so kamen abscheuliche Sekten und Schwärmereyen zum Vorschein, die Christum und seine Religion entehrten.“
Das Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeine Literatur-Zeitung vermerkt im Nekrolog (x): „Am 6 März zu Mörsburg am Bodensee der als Entdecker des thierischen Magnetismus hinlänglich bekannte Arzt, Anton Friedrich Mesmer, im 81 Jahre seines Alters.“
Soweit war dies alles bekannt. Weniger bekannt dürfte das im folgenden Text Dargestellte sein.
Jung-Stilling, Mesmer und Hartmann
Gustav Benjamin Schwab (1792-1850) berichtet ähnlich wie Luise Mariette Zöppritz geb. Hartmann (1802-1874) über Johann Georg August von Hartmann: „In Heidelberg war er von Jung=Stilling, Professor an der dortigen Kameralschule seit 1783, als Haus= und Tischgenosse aufgenommen, und wurde diesem nahe befreundet, so daß sie sich später gegenseitig Töchter aus der Taufe hoben. Daß sie in ihren Ansichten nicht immer übereinstimmten, that ihrer gegenseitigen Liebe keinen Eintrag; weil aber doch oft wiederholter Streit und dabei Mangel an Nachgiebigkeit von beiden Seiten auch der innigsten Liebe hätte Eintrag thun müssen, so trafen sie die Uebereinkunft, nicht mehr zu streiten, wenn sie entgegengesetzter Ansicht waren, sondern zu schweigen. Einmal nahm Stilling seinen jungen Freunde zulieb den wohlverwahrten alten Schneiderhandwerkszeug wieder hervor, um ihm eine Mütze zu ändern, die sich Hartmann angeschafft hatte und die dem Kennerauge Stilling mißfiel. Dieses lange sorgsam bewachte Andenken kam unserem Hartmann zu seinem innigen Bedauern abhanden.“ (Vgl. unter 1792 die von Johan Gerhard Carel Kalckhoff berichtete Anekdote.) – (Hartmann imm. Heidelberg 9.11.1785 (Scient. cameral cultor wirtembergicus; hier August als einziger Vorname), imm. Tübingen 7.10.1782 (Nr. 38124).)
In Heidelberg schloß Hartmann auch mit Matthisson das erste Band einer dauernden Freundschaft. Dieser konnte so an J. von Müller schreiben: „Heidelberg, den 28. Januar 1787. Hartmann und von Rieben, zwei edle Jünglinge, die sich durch Kenntnisse und Fleiß, vorzüglich aber durch reine Herzensgüte vor allen hier Studirenden auszeichnen, werden nach Mainz kommen, um Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, mein theurer Müller. Sie verdienen von Ihnen gekannt zu seyn, und deswegen empfehle ich Ihnen diese meine Freunde angelegentlich und herzlich.
Johann Georg August von Hartmann schloss sich der „damals von Mesmer und Pichegru in Carlsruhe errichtete[n] Gesellschaft zur Anwendung des thierischen Magnetismus als Heilmittel, an der alle dortigen Aerzte Theil nahmen und für die eine schöne Localität im Schlosse eingeräumt war“ an. Er „wurde später auch Mitglied derselben und vollzog in der Folge selbst mehrere magnetische Kuren.“
Jung-Stilling wurde von Hartmann in diese Kreise einbezogen und am 1787-03-26 initiiert Baron Karl Wilhelm von Rosenfels (geb. 1761, gest. (Suizid) Graz 9.09.1811 (; n. A. Wien 6.02.1811)) ihn in Karlsruhe in die Puisegursche Form des Mesmerismus, die in Frankreich dominierte. Bereits am 1787-03-04 hatte von Rosenfels die bei Johann Georg August von Hartmann (1764-1849) getan.
von Rosenfels war Sohn des Prinzen Eugen von Baden und erwarb 1786-09-20 in Straßburg das Patent der dortigen Société harmonique des amis réunis, das ihm erlaubte, als ‚Lehrer‘ tätig zu werden. (Kur-Badischer Hof- und Staats-Calender für das Jahr 1805, S. 32: In der Liste der „Titular=Officiers à la Suite vom Corps und Pensionaires“ findet er sich unter den „ObristLieutnants“.)
Über die Karlsruher und Straßburger Tätigkeiten im Sinne Mesmers sind wir durch vielerlei Zeitungsberichte usw. gut informiert.
Ebenso findet sich Literatur zum Thema:
Journal von und für Deutschland 1787, 11. Stück. S. 449-453 und Fortsetzungen 1788, 2. Stück: S. 119-121, 267: „Aussichten einer collegialischen Verbindung mehrerer Aerzte in Carlsruh den Thiermagnetismus betreffend.
Journal von und für Deutschland 1788, 2. Stück, S. 121-127: „III. Hofrath Boeckmanns Erklärung über die Bittschrift der Carlsruher Aerzte an seinen Fürsten den Marggrafen [sic] von Baden.“ – Böckmans Brief v. 1788-02-09 an Publikum
Archiv für Magnetismus und Somnambulismus: Fünftes Stück, Straßburg: akadem. Buchhandlung 1787, S. 101-103: Böckmann: „Nachahmungswürdiger Entschluß der Aerzte in Carlsruhe.“
Journal von und für Deutschland 4. Jg., 1787, H. 11, S. 449-458: „XVVI. Aussichten einer collegialischen Verbindung verschiedener Aerzte in Carlsruh, die Lehre des Thiermagnetismus betreffend.“ – Darin Brief an Großherzog 1787-12-17 von Leuchsenring, Schrickel, Stückelberger, Walz, Gmelin; an Schweickhardt und Maler vom 1787-12-14 von denselben, deren Antworten.
Journal von und für Deutschland 4. Jg., 1787, H. 10, S. (III f. des Umschlags): „Nachricht den Magnetismus betreffend“ Walz aus Karlsruhe 1787-12-27: Böckmann bemüht sich um Untersuchung
Archiv für Magnetismus und Somnambulismus: Fünftes Stück, Straßburg: akadem. Buchhandlung 1787, S. 101-103: Böckmann: „Nachahmungswürdiger Entschluß der Aerzte in Carlsruhe.“
Journal von und für Deutschland 4. Jg., 1787, H. 11, S. 449-458: „XVVI. Aussichten einer collegialischen Verbindung verschiedener Aerzte in Carlsruh, die Lehre des Thiermagnetismus betreffend.“ – Darin Brief an Großherzog 1787-12-17 von Leuchsenring, Schrickel, Stückelberger, Walz, Gmelin; an Schweickhardt und Maler vom 1787-12-14 von denselben, deren Antworten.
Beispielhaft sei genannt:
Heinrich Funck: Das magnetische Hellsehen und Schlafreden in Alt=Karlsruhe und in der badischen Markgrafschaft. – In: Die Pyramide- Sonntags-Beilage des Karlsruher Tagblatts Nr. 48 v. So 1917-12-03, S.
Meyer, Werner: Heinrich Jung-Stilling [,] ein Bahnbrecher der Parapsychologie. - In: Neue Wissenschaft. Zeitschrift für Grenzgebiete des Seelenlebens, Olten, Schweiz 7, 1957, S. 22-30, 73-82, 103-119.
Baier, Karl (1954-): Meditation und Moderne: zur Genese eines Kernbereichs moderner Spiritualität in der Wechselwirkung zwischen Westeuropa, Nordamerika und Asien, Bd. 1, Würzburg: Königshausen & Neumann 2009, ISBN 382604021X, 9783826040214. = Wien, Univ., Habil-Schr., 2008.
Bittel, Karl: Der berühmte Hr. Doct. Mesmer vom Bodensee. Zweite veränderte Auflage. Friedrichshafen a. B.: See-Verlag (1940. - 1. Aufl. 1938.)
Jörg-Ulrich Fechner: Erfahrene und erfundene Landschaft Aurelio de’ Giorgi Bertòlas Deutschlandbild und die Begründung der Rheinromantik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1974; ISBN 13-978-3-531-09052-8 = Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaft. – Die Bemerkung S. 98: „Die Gestalt des Majors von Rosenfels läßt sich in keinem Nachschlagewerk finden.“ läßt sich hier also mit Inhalt zur Person füllen; dto. zu den Personen Anm. 40 ff.; ebenso finden sich dort Ergänzungen.
C[hristian]. H[einrich]. Pfaff: Ueber und gegen den thierischen Magnetismus und die jetzt vorherrschende Tendenz auf dem Gebiete desselben. Hamburg: Perthes & Besser 1817; Vorwort datiert 1817-10-26; S. VII: Böckmann behandelte 1789 Pfaff. – S. 56 Schutzgeist im Hades besonders durch Jung-Stilling im südlichen Deutschland „zu Credit gekommen“; Hofrat Klein bemüht ihn auch.
- 104: Somnambüle erklärt nach Jung-Stilling, dass der Mensch aus Körper, Seele und Geist bestehe
Eberhard E[mil]. von Georgii-Georgenau: Biographisch-genealogische Blätter aus und über Schwaben. Stuttgart: Emil Müller 1879, S. 320 und passim.
Mesmer in Königsberg
Nicht unbemerkt soll auch sein die folgende Information zu Greis – Weiss – Weiß – Gries: ##318
Am 1812-03-05 disputiert in Königsberg der stud. med. Karl Ludwig Klose (geb. Breslau 21.08.1791, gest. Dresden (n. A. Breslau) 23.09.1863; PRUTZ: Albertina S. 167.) über seine Dissertation: Historiam Mesmerismi s. magnetisme animalis criticam exhibens.“ In ihr erscheint Greis unter: „Opponentium spartam tuebuntur: Ioannes Fridericus Greis, Argentoratensis, et Ferdinandus Guilielmus Raddatz, Schievelbein. - Neomarch, Medicinae Cultores.“