Sehen Sie auch hier, hier und hier nach!“

 

In einem Reisebericht „über Würtemberg und Baden“ findet sich im Jahr 1809 folgender Text, der sich mit Jung-Stilling und der „Theorie der Geisterkunde“ beschäftigt. Der zweite Text bezieht sich auf den ersten und gibt neue Informationen.

Beide Berichte geben einen guten Eindruck von der Sache und der zweite zieht mit „dieses ärgste Mondkalb unserer neuern Geistesgeburten“ einen treffenden (?) Vergleich.

Text 1

"Sobald ist hierin [im Schulsystem; Me] auch wohl keine Aenderung zu hoffen; denn an der Spitze des geistlichen Departements steht für das reformirte Bekenntniß Ewald, der sich immer mehr zum Mysticismus neigt, für das Lutherische der berüchtigtste unter allen Schwärmern unserer Zeit, Jung=Stilling. Daß dieser sich alle Mühe giebt, seine Secte zu erweitern, ist begreiflich, doch scheint es eben nicht, als ob er in Baden sehr viele Proselyten machte. Auch sein chef d‘oeuvre *), die Theorie der

*) Zu wünschen wäre, daß in Betreff dieses Buches mehrere Regierungen dem Beispiele der Baseler folgten, welche den Verkauf desselben streng untersagt hat. Die nachtheilige Wirkung dieser Ausgeburt der Schwärmerei und des Aberglaubens auf den gemeinen Mann wird dadurch noch vermehrt, daß der Herr Geheime Hofrath seine Gewährsmänner meist aus dieser Klasse gewählt hat, wodurch er bei den Individuen derselben um so leichter Glauben findet, denn es liegt in der Natur des Menschen, daß z. B. ein Leinweber – eine Zunft, mit welcher der Herr Geheime Hofrath häufig verkehrt – einem anderen seiner Zunft leichter glaubt als einem Physiker oder Astronomen; daß der Herr Geheime Hofrath ferner Deductionen in seiner Art macht, und sie mit Termen spickt, über welche freilich der Kundige mitleidig die Achseln zuckt, die aber den Unkundigen irre machen. Wenn nun der Herr Gebeime Hofrath dann fortfährt: ‚hierdurch ist erwiesen‘ oder ,‘da das nun lauter ausgemachte Wahrheiten sind‘ glaubt der Unkundige, welcher in dem klaren, obschon mehrentheils schlechten, Deutsch keinen Beweis fand, er liege in den ihm unverständlichen Wörtern. – Ich habe oben erwähnt, daß der ehrwürdige Großherzog von Baden von allen seinen åltern Unterthanen als sehr gütig anerkannt wird; mich dünkt aber, darin, daß er erlaubte, ein Buch, welches ein nachtheiliges [Seite 109:]

Geisterkunde, ist bekanntlich nicht in Baden erschienen, doch weiß ich nicht, ob der Verf. dessen Buchhändler eines solches Verlages nicht würdig hielt, oder ob sie zu viel vernünftigen Tact hatten, ihre Cataloge mit einem solchen Verlagsartikel zu vermehren. Genug dieses ärgste Mondkalb unserer neuern Geistesgeburten wurde von einem gläubigen Nürnberger accouchirt. Ein würtembergischer Nachdrucker brachte es noch mehr in Umlauf. Hierdurch, wie durch Herrn Stillings häufige Jünger in der Schweiz, bewährt sich auch an ihm das alte Sprichwort, daß ein Prophet in seinem Lande am wenigsten gilt. Schon früher machte er ja diese Bemerkung in Hessen.

Bei keiner Art Schriften übte, meines Ermessens, die Censur ihre Befugniß, das Imprimatur zu versagen, mit mehrerem Rechte und wohlthätiger für die Menschheit aus, als bei solchen, welche den Aberglauben befördern. Fast unbezwinglich nistet dieser in den Köpfen des vornehmen und gemeinen Pöbels, wenn er auch nicht mehr so häufig oder sichtlich spukt, wie vor 50 oder 100 Jahren; und Schriften, welche ihn befördern, reißen schnell wieder nieder, was Vernunft mit

Licht auf unsre Literatur wirft, ihm zuzueignen, ist er allzu nachsichtig gewesen †).

Anmerk. d. Verf.

†) Der Herr Einsender ist aber in seinen Aeußerungen über den Herrn Geheimen Hofrath Stilling eben so zu streng gewesen. Welcher Vernünftige wird wohl so befangen seyn, im Ernst glauben zu können, daß es› Herrn, Stilling, dem es weder an Kopf noch Herz fehlt, mit jenem drolligen Producte einer ungezügelten Phantasie Ernst gewesen sey. Das einzige könnte ihm zum Vorwurfe gereichen, daß er sein Werk in deutscher Sprache abfaßte, wodurch es dem gemeinen Manne in die Hände fallen, und alles das zerstören muß, was unsere edelsten und würdigsten Gelehrten so mühsam ́aufzubauen sich bemühten, daß er dadurch absichtslos dem finstern Aberglauben wieder Thor und Thür öffne; und nur in sofern darf man mit dem Herrn Einsender wünschen, daß jede Regierung es streng verbiethe. Man verhindere aber das, daß der Ungebildete Gift daraus saugen kann, und der Gebildete wird, wenn es ihn in die Hände fällt, darüber lachen.

Note d. Red.

jahrelanger Mühe aufbauete. Zu diesen gehören auch die wieder aufgewärmten vergessenen obsoleten Prophezeihungen, welche beschränkte Köpfe verwirren, wenn nur Einiges sich darin befindet, was sich auf unsere Zeiten deuten läßt, indeß das Meiste nicht auf die entfernteste Art in Erfüllung gegangen ist. Nicht minder schließen sich an diese Reihe viele sogenannte wundervolle Erzählungen an, deren man jetzt eine Menge schon sattsam widerlegter aufrafft, sobald sie, wenn auch nur für den Pöbel, einen Schein des Wunderbaren haben. Sonderbar genug, daß die Beyspiele und dicta probantia, welcher sich Herr Jung-Stilling für seine neue Lehre bedient, auf solche gestützt sind. Doch genug von diesen tiefen Schattenseiten unseres aufgeklärten Zeitalters.“ [… Frage: was geschieht nach dem Tode des alten Großheerzogs.]

 

Text 2:

"Die Stillingische Theorie der Geiste rkunde erhält die verdiente Rüge. Sie ist allerdings eines der verderblichsten Bücher unter allen, welche die neueste Literatur hervorgebracht hat, und ein höchst gefährlicher Versuch, einen Aberglauben, der bereits so glücklich bekämpft war, aufs Neue zu begründen. In ganz Deutschland zählt Stilling eine Menge Schüler, und auch solche, welche nicht gerade auf seine Worte schwören, legen doch ein Gewicht auf sie, wegen des frommen, wohlmeinenden, arglosen Sinnes, mit dem sie ausgesprochen werden. Auf beyde macht diese sonderbare Lehre tiefe Eindrücke. Es ist vergebens, daß der Verfasser immer dagegen protestirt, daß er die Absicht habe, die Menschen für das Reich der Schatten zu interessiren; indem er ihnen dasselbe aufthut, kann die Aufmerksamkeit auf die in seinem Innern erfolgen den Erscheinungen ja wohl nicht fehlen; wie denn auch die Sensation, welche diese neue Offenbarung im südlichen Deutschland gemacht hat und noch immer macht, die Beweise davon ablegt. Man hat diese Sensation durch die Verbote verstärkt, durch welche einige Regierungen die Geistertheorie zu unterdrücken suchten; der Erfolg war der gewöhnliche, sie wurde nur desto eifriger gesucht und desto aufmerksamer gelesen; denn die Verbote der schlimmen Bücher haben dieselben Wirkungen, wie die Verbote der Guten. –

Uebrigens ist es uns unbegreiflich, wie man den Verfasser dessen sonstige Verdienste und Tugenden aller Ehren [S. 113:] Ehren werth seyn mögen durch die Behauptung entschuldigen kann, daß er dieses Produkt der leidigsten Schwärmeyen als ein bloßes curiosum, oder als ein lusus ingenii in die Welt hinein geworfen habe. Der hohe, religiöse Ernst ist ja gerade der herrschende Charakter dieses Buchs, und Stillings bekannte Denkungsart erlaubt ihm nimmermehr, die übersinnliche Welt und ihre Bürger zum Gegenstande eines sSchalkhaften Witzes zu machen.“