[Der Text wurde sicherlich an Christian Zollikofer gesandt.]
Aus einem Brief über Heinrich Stillings Jugend, Jünglings=Jahre und Wanderschaft.
Was Stilling für ein Buch sey? Gut daß Sie der Junge B ** auf die Frage brachte und Ihnen durch seinen schöngeisterischen Tadel das Buch vorläufig empfahl! Statt aller Antwort wollt’ ich Ihnen die Schrift selbst schicken, wenn ich sie jetzt hätte; da Sie in Ihrer Einsiedeley auch nicht so bald darzu kommen möchten, schreib ich Ihnen einige Gedancken darüber mit einem kurtzen Auszug –– Sie mögens dann einst an der Schrift selbst prüfen!
Sie kam mir von ungefehr –– daß ich den Meßcatalogen und Rezensionen seit lange abgestorben bin, wissen Sie –– in die Hände; ich blätterte drinnen; ward von dem eignen, sanften, reinen, schwermüthigen Tone angezogen und habe sie nun, da ich letzthin auf dem Landhause unsers R** war, ganz gelesen. –– Unvergeßlich sind mir die Abende unter der Eiche am Hügel, wo wir mit seiner Frau und Tochter sassen –– rings um die sanft abdämmernde Natur ––aus dem Gipfel der Nußbäume der ländliche Kirchthurm, und hin und wieder die Gipfel einzelner Hütten, hinter uns des Abendwindes lispeln durch den Tannwald. –– Ich mußte oft anhalten, aufathmen. O R **
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R** sah mich mit inniger Rührung an, –– „das ist: „ Wahrheit, Natur –– Religion „ der Mutter und Tochter standen grosse Thränen in den Augen. Wir giengen stillschweigend nach Hause –– es waren Festabende an stiller Rührung und Erbauung. –– ––
Ein Büchlein ohne Kunst und Zierde –– voll Einfalt, Natur, reiner Empfindung, –– Wahrheit, Religion. Durchs ganze wehet dieser Geist und hält die einzelnen Züge und Glieder in freundlicher Eintracht zusammen. Nicht Aufstutzung irgend eines speculativen oder moralischen Paradoxons –– nicht, was man so manchen neuen Producten teutscher Genies! zur Aufschrift geben könnte –– „ neuer Wein in alten Schlaüchen, oder rauher Bletz auf ein „ altes Kleid, “ nicht Roman, Dichtung, nicht Predigt und Lehre hinter dem Pult in Personen gekleidet, die den Namen haben daß sie leben –– sondern wirkliche Jugend= Jünglings= und Wanderschafts=Geschichte des edlen, liebenswürdigen D. Jung in Eberfelden Ein Buch für alle Stände, Alter und Character, wie Gras, Baum und Blumen in Gottes Natur ––frey, geruchreich und schön.
Was diese Schrift hauptsächlich von allen ähnlichen Herzens= Lebens= und Liebe=Geschichten unsers Herz= und Liebe=reichen Jahrzehends unterscheidet, ist neben dem einfaltigen, kindlich=reinen, treuen Naturtone der Geist der Religion, des Gott=Vertrauens, der Christus=Liebe, der durch alles und in allem lebet. Und was mich am meisten gerührt, erbaut, und an meinem innwendigen Menschen gestärkt hat, sind die darinn vorkommenden Gottes=Fürsehung in einzelnen Fällen. Der Gottes=Hülfe in Noth und Verlegenheit. –– Mit einem Wort die Kraft des Glaubens und des Gebets. Sie
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Sie wissen, mein Freund! wie philosophisch angeeckelt und wegbewiesen diese ausdrückliche Schriftwahrheiten in unsern Tagen sind. Eine allgemeine göttliche Fürsehung, eine Regierung des ganzen, grossen Weltplans läßt man noch gelten. Aber eine Fürsehung im Kleinen, –– eine göttliche Regierung und Lenkung einzelner Menschen und einzelner Zustände und Schicksale des Lebens –– eine besondere väterliche Aufsicht der Gottheit über ihre Kinder und Lieblinge, –– einzelne Vorsehungs=Proben in gewissen Schicksalen, Verlegenheiten, –– und Hülfe aus Verlegenheiten, das belächlet der philosophische Geist, dieser Zeit, das findet er lächerlich, schwachsinnig, schwärmerisch –– vor dem Glauben sucht er die Welt zu bewahren. Dies ist das Mode=System der reinen Philosophie und Menschen=Freundschaft. Was ist denn aber eine allgemeine göttliche Fürsehung ohne besondere auf einzelne Fälle angewandte göttliche Fürsehung? Woraus besteht das allgemeine, als aus dem besondren, einzelnen –– ? Wer kan fürs allgemeine sorgen, ohne daß er für jedes besondere sorge, dann nur aus der Sorge fürs einzelne wird ja die Sorge fürs allgemeine Und ein GOtt der höret, antwortet, hilft, durch Gebett zum helfen bewogen wird, –– auf Gebett hin etwas thut, das ohne Gebett nicht, wenigstens nicht auf diese Weise geschehen wäre –– eines solchen Gottes schämt sich diese reine Philosophie und Menschen=Freundschaft! –– Aber die Menschheit schämt sich seiner nicht. –– Die Menschheit dürstet nach einem solchen GOtt, bedarf eines solchen Gottes, und keines andren; –– Eines Gottes, der hört und Mitleiden hat, und gerne hilft, und aus der Noth errettet, eines Gottes, der die Kraft des Feuers auslöschen, das Meer zum Trocknen machen, und der Löwen Rachen verstopfen kan –– eines Gottes der nahe –– nicht fern, sondern nahe ist denen welche Ihn anrufen –– ! Was ist natürlicher, was ist menschlicher als Bedürfnisse fühlen –– und Trieb füh=
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len nach Befriedigung dieser Bedürfnissen, und Befriedigung suchen, wo sie zu finden ist –– das heißt, was ist natürlicher, menschlicher, in der Einrichtung unserer Natur gegründeter als ––betten ! und was will die Menschheit mehr, was erwartet sie mehr von ihrem GOtt –––– als daß er höre das Geschrey des Elenden, die leisen Seufzer des Ermatteten –– sehe die Thräne der Liebe und das abgezehrte Antlitz des Kummers, und helfe wo nieinand helfen kan, und ersetze mit seinem Ueberfluß die Mängel derer, die er geschaffen, denen er Bedürfnisse –– Gefühl derselben, –– Trieb nach Befriedigung –– angeschaffen hat –– ––
Nicht zu sagen, wie innig und ganz entgegen jene philosophisch=Menschen=freundliche Begriffe dem Geist und Buchstaben der Bibel sind –– Der Bibel, die uns die Gottheit nicht nur etwa als fürs Allgemeine sorgend kennen lehrt, sonder als eine Gottheit, die sich für jedes einzelne bekümmert, die sich als Freund und Helfer zu den Menschen=Kindern herab läßt, sich in ihre besondersten Angelegenheiten mischt –– gefragt wird, höret, antwortet –– anordnet, errettet, hilft — –– Gerade dadurch, daß die Bibel uns die göttliche Fürsehung als eine besondere Fürsehung zeichnet, die für jedes einzelne sorget, sich in besonderen Fällen thätig erzeigt, sich für Kleinigkeiten interessirt, für die sich jedes Regentchen einer Spanne Landes zu erhaben fühlt, giebt sie den höchsten, reinsten, würdigsten Begriff von ihrer Allgemeinheit und Umfassung des Ganzen. Und gerade dadurch, daß sie den Bedürfniß=reichen und Kraft=armen Menschen einen GOtt zeiget, der sich ihrer mit Vater=Herzen annimmt, ihre Gebette erhöret und ihnen in ihrer Noth Hülfe schaft –– einen GOtt, der reich genug ist, für alle, die ihn anruffen, und keinen hinaus stößt der zu ihm komt –– weckt sie Liebe zu diesem GOtt, –– bindet mit unauflöslichem Bande die
Her=
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Herzen der Menschen an Gottes Herz –– weckt und nährt Liebe ––·die einzige Quelle aller wahren Tugend alles Glücks, aller Seligkeit; Liebe die nur durch Liebe geweckt wird, und die kein, wenn noch so weises Gebott, noch so vollendete Demonstration aufzuwecken vermag –– die aber, wenn sie aufgeweckt ist, unaussprechlich mehr thun, wirkt und leidet, als keine Vorschrift zu fordern vermag.
Nicht schwer ists, alle die Einwendungen, Zweifel und Bedenklichkeiten jedem Redlichen mit den einleuchtendesten Vernunft= und Schrift=Beweisen zu lösen –– es ist schon geschehen und wird immer einleuchtender, immer stärker geschehen, beweisender als alle Wort=Beweise sind freylich gegenwärtige Thatsachen, Erfahrungen für Gelehrte und Ungelehrte, für Denker und Nicht=Denker. Und ich bin gewiß, es ist keine Stadt, kein Dorf –– berühmt oder unberühmt, aufgeklärt oder im Finstern sitzend wo es nicht einzelne Menschen wenigstens gebe, die dergleichen Erfahrungen von besonderer göttlicher Fürsehung, in Erhörung des Gebetts, in Errettung aus Leiden –– n unvermutheter Erfüllung heisser Herzens=Sehnsucht u. s. f. aufweisen, und damit alle die hochvernünftigen Einwendungen, Zweifel und Spöttereyen beschämen könten. Freylich macht man das Heilige nicht gern gemein und wirft Perlen nicht für die Schweine [ ]. Darum weiß die Welt so wenig von diesen Erfahrungen und spricht mit hönischem Triumph: wo bleibt die Erfüllung seiner Verheissung ––!
Wann sie aber auch ausgekündet würden diese Erfahrungen –– was würden sie auf die vermögen, die auch nicht glaubten, wenn ein Todter auferstünde –– . Es gibt einen Punckt, ––wenn Herz und Kopf einmal über den hinaus ist, so ist die Sonne am Mittag Finsternis.
Aber für diejenigen die durch dergleichen ungeschlachten Einwendungen und stoltzttönende Zweifel irre gemacht
werden.
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werden, die bald nicht mehr wissen, ob sie dem unauslöschlichen Naturtrieb –– Hülfe zu suchen, wenn sie sich selbst nicht helfen können –– ob sie ihrer Bibel trauen –– in ihren Aengsten zu GOtt schreyen und in der Noth den HErren anrufen –– oder aber mit allem, woran ihre Seele hängt, sich stumm einem gehörlosen und unerbittlichen Naturlaufe überlassen sollen ––für diese sind dergleichen Proben der besonderen GOttesVorsehung und GOtteshilfe, wie Thau auf welcke Blumen, wie Regen auf dürres Land .
Vorläufig ein paar Beyspiele aus Stilling, die ich mir auszeichnete ––Bis ich Zeit habe Ihnen einen aneinander hängenden Auszug zu senden oder das Buch selbst. – Ich weiß, es wird Ihnen Stärckung und Labsal seyn, wies mir und unserm Freunde war –– Nein, der HErr hat nicht vergessen gnädig zuseyn; es ist nicht aus mit seiner Liebe –– sein Wort gereut ihn nicht ! –– ––
Von äusserster Bettelarmuth, einer immerfort daurenden Einkerkerung und einem unerträglichen Mistrauen und daher entstandener äusserster Verachtung seiner Person –– von diesem dreyfachen Elende gedrückt, lief Stilling an einem Morgen von Herrn Hochberg einem Kaufmann, dessen Kinder er unterrichtete, weg, ohne zuwissen wohin? Gegen Mittag kam er noch Waldstätt, da gieng er zu einem Thor ein und zum anderen wieder heraus. Nach einer kleinen halben Stund gerieth er in einen Wald, die Strasse verlohr sich, und nun fand er keinen Weg mehr, er setzte sich nieder, denn er hatte sich müde gelaufen. Jeht besonn er sich, daß er keinen einzigen Heller Geld bey sich habe; doch war er hungerig. Er war in einer Einöde und wußte weit und breit um sich her keinen Menschen, der ihn kannte.
Jetzt
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Jetzt fieng er an und sagte bey sich selbst: Nun bin „ ich dann doch endlich auf den höchsten Gipfel der Verlassung gestiegen, es ist jetzt nichts mehr übrig als betten oder sterben; — das ist der erste Mittag in meinen » Leben, an welchem ich keinen Tisch für mich weiß ! Ja die Stunde ist gekommen, da das grosse Wort des Erlösers für mich auf der höchsten Probe stehet! Auch ein Haar von eurem Haupt soll nicht umkommen. — Ist das wahr, so muß mir schleunige Hülfe geschehen, denn ich habe bis auf diesen Augenblick auf ihn getraut und seinem Worte geglaubt; ich gehöre mit zu den » Augen, die auf den HErrn warten, daß er ihnen zur rechten Zeit Speise gebe, und sie mit Wohlgefallen sättige, bin ich doch so gut sein Geschöpf wie jeder Vogel der in den Bäumen singt und jedesmahl seine Nahrung findet, wens ihm Noth thut. “ Stillings Herz war bey diesen Worten so beschaffen wie eines Kindes, wenn es durch strenge Zucht endlich wie Wachs zerfleußt, der Vater sich wegwendet und seine Thränen verbirgt. GOtt! was das für Augenblicke sind, wenn man siehet, wie dem Vater der Menschen seine Eingeweide brausen; und er sich vor Mitleiden nicht länger halten kan! –––
Indem er so dachte ward es ihm plötzlich wohl im Gemüth, und es war als wenn ihm jemand zuspreche: Geh’ in die Stadt und such einen Meister ! Im Augenblick kehrte er um. Als er in die Stadt kam, sah’ er einen Bürger vor seiner Haußthür stehen, diesen grüßte er und fragte: wo der beste Schneidermeister in der Stadt wohne? Dieser Mann rief seinem Kind und sagte ihm: da führe diesen Menschen zu dem Meister Isaac. Stilling kam hin, grüßte die Frau, und fragte : Ob er hier Arbeit haben könnte? Die Frau antwortete: Ja ! Bald hernach kam auch Meister Isaac, und war froh über seinen neuen Gesellen. Nun nöthigte ihn die Fran an den
Tisch
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Tisch und so war seine Speise schon bereitet gewesen, als er noch im Wald irre gieng und nachdachte: Ob auch GOtt diesen Mittag die nöthige Nahrung beschehren würde. Meister Isaac versorgte ihn auch hernach mit guten Kleidern, so daß nun sein ganzes Elend unvermuthet aufgehoben wurde.
Stilling entschloß sich im 30sten Jahr seines Alters durch manche Wincke der Vorsehung und den trieb […] seines Herzens geleitet, die Arzneykunst, von der er schon einen guten Theil inne hatte, noch vollends zu studieren, und nahm sich deßwegen vor nach Straßburg zugehen, ob er gleich kein Geld darzu hatte, noch wußte; er setzte sein Vertrauen vest auf GOtt und machte diesen Schluß.
„GOtt fängt nichts an, oder er führt es auch herrlich aus. Nun ist es aber ewig wahr, daß er meine gegenwärtige Lage ganz und allein, ohne mein Zuthun so geordnet hat.“
„Folglich ist es auch ewig wahr, daß er alles mit mir herrlich ausführen wird.“
Dieser Schluß machte ihn öfters so muthig, daß er lächelnd zu seinen Freunden sagte, „ Mich soll doch verlangen, wo mein Vater im Himmel Geld für mich zusammen treiben wird! „ Indessen entdeckte er keinem Menschen etwas davon, sondern beschloß auf Michaelis 1769. mit einem seiner Freunde der auch nichts minder als Ueberflus hatte, nach Straßburg zu reisen.
Herr Friedenberg der Vater seiner Braut gab ihm 40. Thaler und so reißte er mit seinem Freunde nach Franckfurt. Weil er sich hier 11 Tage lang aufhalten mußte, gieng sein Geld bis auf einen Thaler zusammen. Er entdeckte
niemand
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niemand etwas, sondern wartete auf den Winck seines himmlischen Vaters. Doch fand er bey allem seinem Muth nirgends Ruhe, er spazierte umher und bettete innerlich zu GOtt, da traf er einen Kaufman an, der ihn wohl kannte und den er Liebmann nannte, dieser lud ihn auf ein Zimmer zum Nachtessen ein, welches Stilling gern annahm.
Des Abend gieng er an den bestimmten Ort. Nach dem Essen fieng Hr. Liebmann an: Sagen Sie mir doch mein Freund, wo bekommen Sie Geld her zum Studieren. Stilling lächelte und antwortete : „ Ich habe einen reichen Vater im Himmel der wird mich versorgen. „ Herr Liebman sah ihn an und erwiederte: Wie viel haben Sie noch? Stillig [sic] versetzte: „ Einen Reichsthaler- und das ist alles? „ So! –– fuhr Liebmann fort : Ich bin einer von Ihres Vaters Rentmeistern, ich werde also jetzt einmahl den Beutel ziehen, herrliches Wort edle Seele! Damit zehlte er Stillingen 33 Reichsthaler hin, und sagte : mehr kan ich anjetzo nicht missen. Sie werden überall Hülfe finden. Können Sie mir das Geld dermaleinst wiedergeben, gut! wo nicht, auch gut ! –– Stilling fühlte heisse Thränen in seinen Augen. Er danckte herzlich für diese Liebe und versetzte: „ Das ist reichlich genug ich wünsche nicht mehr zu haben. „ Diese erste Probe machte ihn so muthig, daß er gar nicht zweiflelte : GOtt werde ihm gewiß durchhelfen .
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In Straßburg wurde nach Martini das Collegium der Geburtshülfe angeschlagen; Stillingen war dieses ein Hauptstück und er gieng mit anderen hin, um zu unterschreiben. Er dachte nicht anders, als daß dieses Collegium eben so wie die andere erst nach Endigung desselben bezahlt würde, allein der Herr Docktor kündigte an, daß sich die Herren möchten gefallen lassen, künftigen Donnerstag Abend 6 neue Louisdor fürs Collegium zubezahlen. Wenn nun Stilling
den
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den Donnerstag nicht bezahlte, so wurde sein Name durchgestrichen. Dieses war schimpflich und schwächte den Credit der Stillingen absolut nöthig war. Jetzt war also guter Rath theuer. Sein Reißgefährte hatte schon 6 Carolinen vorgeschossen, noch war kein Anschein da, sie wiedergeben zukönnen .
So bald Stilling in sein Zimmer kam, und dasselbe leer fand, so schloß er die Thür zu, warf sich in einen Winckel nieder und rang recht mit GOtt um Hülfe und Erbarmen, indessen äusserte sich nichts tröstliches für ihn, bis den Donnerstag Abend . Es war schon- 5 Uhr und u m 6 Uhr war die Zeit, daß er das Geld haben mußte . Stilling begonnte fast im Glauben zuwancken, der Angstschweiß brach ihm aus und sein ganzes Angesicht war naß von Thränen. Er fühlte weder Muth noch Glauben mehr und deßwegen sah er von ferne in eine Zukunft, die der Hölle mit allen ihren Qualen ähnlich war. Indem er mit solchen traurigen Gedancken in dem Zimmer auf und abgieng, klopfte jemand an die Thür. Er rief: Herein! es war der Patron des Hauses Hr. R... Er erkundigte sich ob Hr. Troost und Stilling mit seinem Zimmer zufrieden seyen? Stilling antwortete, das Zimmer sey nach beyder Wunsch.
Hr. R... versetzte: das macht mir Freude. Aber ich wollte doch vornehmlich noch eins fragen: „ Haben Sie Geld mitgebracht oder bekommen Sie Wechsel? „ –––
Er antwortete: Nein ich habe kein Geld mitgebracht.
Hr. R... sah’ ihn starr an und versetzte: „ Brauchen Sie wohl jetzt etwas Geld? „ Ja, sagte er, ich habe diesen Abend 6 Louisdor nöthig, und ich war verlegen.
- R... entsetzte sich und erwiederte: „ Ja das glaub‘ ich! Nun seh ich: GOtt hat mich zu Ihrer Hülfe hieher gesandt. „ Nun gieng er zur Thür hinaus.
Wie
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Wie er wieder kam brachte er 8 Louisdor, zählte sie ihm dar, und sagte: „ Da haben Sie noch etwas übrig und wann das all ist, fordern sie mehr „ !
Vierzehn Tage nach dieser schweren Glaubensprobe bekam Stilling ganz unvermuthet einen Brief von Herrn Liebmann, nebst einem Wechsel von dreyhundert Reichsthalern, den er und Stillings Schweher=Vater zusammen gebracht hatte. Stilling lachte hart, setzte sich gegen das Fenster, sah mit freudigen Blick gen Himmel und sagte:
„ Das war nur dir möglich du allmächtiger Vater !
Mein ganzes Leben sey Gesang !
Mein Wandel wandelnd Lied der Harfe !
Nun bezahlte er alles was er schuldig war und behielt noch gnug übrig, den ganzen Winter auszukommen.
In dem Kreis, in dem sich Stilling jetzt befand, hatte er taglich Versuchungen genug, ein Religions=Zweifler zu werden. Er hörte alle Tage neue Gründe gegen die Bibel, gegen Christenthum, und die Grundsätze der christlichen Religion. Alle seine Beweise, die ihn ehmal beruhiget hatten, waren nicht mehr hinlänglich, seine strenge Vernunft zuberuhigen; bloß diese Glaubens=proben, deren er so viele erfahren hatte, machten ihn ganz unüberwindlich. Er schloß also:
Derjenige der augenscheinlich das Gebet der Menschen erhört, und ihre Schicksale wunderbarer Weise und sichtbarlich lencket, muß unstreitig wahrer GOtt, und seine Lehre GOttes Wort seyn.
Nun hab ich aber von je her JEsum Christum als meinen GOtt und Heiland verehret und ihn gebeten. Er hat mich in meinen Nöthen erhört und mir wunderbar beygestanden und mir geholfen.
Folglich
220 Von den ComplimenteN.
Folglich ist Jesus ChriStus unstreitig wahrer GOtt, seine Lehre ist GOttes Wort, und seine Religion, so wie Er sie gestiftet hat, die wahre.
Ja! Amen!
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(Die Fortsetzung gelegentlich.)