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August Friedrich Cranz (1737-1801),
 
mit dem Pseudonym "Pater Gaßner der Jüngere" ,
 
über die "Schleuder eines Hirtenknaben" aus dem Jahre 1775 
 
 
 
Zur "Schleuder eines Hirtenknaben" selbst siehe man hier
 
 
Kaum beachtet wurde der folgende Text, wenn er auch in den Bibliographien zu Jung-Stilling verzeichnet war. 
"Dem / Hirtenknaben / zu Elberfeld, / der mit seiner Schleuder / dem / von ihm zum großen Philister kreirten / Verfasser / des / Sebaldus Nothanker / das / Gehirn zerschmettern wollte, / aber / einen Fehlwurf that / und / darüber mit dem Waffenträger des Letzten / handgemein wurde, / wiedmet / dises zweyte Stück / der / Gallerie der Teufel / Pater Gaßner Junior.", 
wobei dies das zweite Titelblatt ist zu 
"Gallerie / der / Teufel, / bestehend in einer auserlesenen Sammlung / von / Gemählden / moralisch politischer Figuren, / deren / Originale / zwischen Himmel und Erden anzutreffen sind, / nebst / einigen bewährten / Recepten / gegen die Anfechtungen der bösen Geister / von / Pater Gaßnern dem Jüngern / nach Art periodischer Schriften / stückweise herausgegeben. / Zweytes Stück. / = / Frankfurt und Leipzig, 1777." 
 
Das Werk erschien ursprünglich unter Pseudonym in 5 Bänden 1774 bis 1784 und liegt heute auch als Mikrofiche-Ausgabe, München usw.: Saur 1990-1994 auf 12 Mikrofiches in der Reihe "BDL" (ISBN 3-598-50497-7) vor. 
 
Autor ist August Friedrich Cranz (1737-1801), der sich u. a. das Pseudonym "Pater Gaßner der Jüngere" zugelegt hatte. 
 
Auf den Seiten 5 bis 12 findet sich der Text zu Jung-Stilling mit einer kleinen Ergänzung im 4. Stück auf S. 26. 
 
Gallerie / der / Teufel, / bestehend in einer auserlesenen Sammlung / von / Gemählden / moralisch politischer Figuren, / deren / Originale / zwischen Himmel und Erden anzutreffen sind, / nebst / einigen bewährten / Recepten / gegen die Anfechtungen der bösen Geister / von / Pater Gaßnern dem Jüngern / nach Art periodischer Schriften / stückweise herausgegeben. / Zweytes Stück. / = / Frankfurt und Leipzig, 1777. 
Zweites Titelblatt: 
Dem / Hirtenknaben / zu Elberfeld, / der mit seiner Schleuder / dem / von ihm zum großen Philister kreirten / Verfasser / des / Sebaldus Nothanker / das / Gehirn zerschmettern wollte, / aber / einen Fehlwurf that / und / darüber mit dem Waffenträger des Letzten / handgemein wurde, / wiedmet / dises zweyte Stück / der / Gallerie der Teufel / Pater Gaßner Junior. / A 2 
 
Hier seien die Texte mit erläuternden Anmerkungen wiedergegeben.
 
     Zu Teil 1
 
     Zu Teil 2
 
 
 
 
          5 
Mein guter Hirtenknabe! 
Es war einem meiner Freunde aus dem politi= 
schen Fache zugedacht, den ich mit der De= 
 
Dedikation: Widmung, Zueignung. 
 
dikation des zweyten Stücks meiner Gallerie rega= 
liren wollte – einem Manne, der in der Welt 
 
regalieren: köstlich bewirten; ergötzen, beschenken 
 
schon einen Namen hat, und in jedem Betracht 
dedikationsfähig ist, und selbst meiner Gallerie 
 
dedikationsfähig: einer Widmung, einer Zueignung fähig 
 
ein Lüster würde gegeben haben. Dieser Freund 
 
Lüster: Glanz, Schimmer, Pracht. 
 
mag noch ein wenig Gedult haben. Die für ihn 
bereitete Zuschrift – als ich sie genau besah’ – 
hatte noch das völlige hohe Kolorit nicht, sie mag 
 
Kolorit: Darstellungsart; Farbe. 
 
bis zu einem der nächstfolgenden Stücke liegen, und 
von der scharfen Tinktur, in welcher sie aufbewahrt 
wird, erst noch etwas Beize annehmen, um mein= 
 
Beize: mit Beize behandeln, beißend machen. 
 
nes Freundes würdiger zu werden. Es war mir 
also willkommen, in dem rüstigen Schleuderer aus 
Elberfeld ein nicht unschickliches Subjekt zu fin= 
den, dem ich dieses zweyte Stück zueignen könnte – 
"Der gute Mann hat mich aber nie beleidiget, 
und es könnte liebloß scheinen, ihm so ohne beson= 
den Beruf die Geissel des Satirs zu präsentiren 
 
Geissel des Satirs: Zuchtrute der Satire, des Spottes. 
 
– und wird so eine Dedikation wohl irgend je= 
mand meiner deutschen Leser aus den Grenzen von 
 
aus den Grenzen: hier außerhalb des Bereichs von … 
 
Elberfeld und Crefeld interessant seyn?" 
Dies waren ein paar Einwürfe, die man meiner 
Zueignungswahl machen möchte – sie sind leicht 
zu beantworten. 
Der Verfasser des Sebaldus Nothanker hatte 
dem Hirtenknaben auch nichts gethan, und dieser 
          A 3          fand 
 
fand doch für gut, die Historia von David und Go= 
 
Vgl. 1 Sam 17, 1 ff. 
 
liath mit ihm zu spielen, seine Schleuder mit Koth 
und ziemlich plumpen Steinen zu laden, mit Don= 
quixotischer Schwärmerey einen Riesen vor sich zu 
 
Miguel Cervantes (1547-1616): Des berühmten Ritters Don Quixotte … Geschichte; 1767 u. ö. 
 
sehn, und ihm so wenig ceremonienmäßig nach dem 
Gehirne zu zielen, als man’s immer von einem 
Hirtenknaben erwarten kann. 
Es kann also die Frage nicht mehr seyn, ob’s 
unbillig wäre, wenn sich jemand über den Knaben 
erbarmte, und ihm vor den Augen des ehrbaren 
Publikums, vor welchem er mit einer Schleuder 
öffentlich auftritt, einen gelinden Produkt gäbe – 
 
Produkt: hier Beweis; Unterrichtung. 
 
oder ihn wenigstens in die Schule schickte, um 
dessen schleudern zu lernen. 
Dies ist indessen meine Absicht nicht – ich spü= 
re keinen Beruf, den Verfasser des Sebaldus zu 
vertheidigen, oder sein Champion zu werden. Ihm 
 
Champion: hier: Held, (streitbarer) Kämpfer (für). 
 
selbst dürft’s nicht an Fähigkeit fehlen, die Zucht= 
ruthe zu führen, und Knaben zu züchtigen, ohne 
dann eben Riesenkräfte nöthig zu haben, und dann 
hat er schon einen treuen Waffenträger in Crefeld 
 
Das von Engelbert vom Bruck (1739-1813) anonym herausgegebene Werk "Anmerkungen, / über die / Schleuder / eines / Hirtenknaben / dem / verständigen Publikum / zur Einsicht / mitgetheilt. / [Ranken-Vignette] / ELBERFELD / - - / bey Abraham ter Meer, 1775." 
 
gefunden, der so boßhaft war, den Knaben zuerst 
abzufuchteln, und nachher einen manierlichen Re= 
verenz zu machen, und wegen der verrichteten Exe= 
kution um Vergebung zu bitten. 
 
[Engelbert vom Bruck:] "Abbitte an das Einsichtsvolle Publicum, / wegen der Anmerkungen über die Schleuder eines Hir= / tenknaben und einige dadurch veranlasste Briefe, nebst / Beantwortung der Frage: Wer ist ein Christ? Cre= / feld, Abr. ter Meer, 1776." 
 
Auch das ist die Absicht nicht, über einen Ro= 
man, der ganz artig zu lesen ist, und das besonde= 
re Verdienst eines deutschen Originals hat, mit ir= 
gend jemand eine gelehrte Balgerey anzufangen, 
und über den ächten Pietistendialekt kritische Spee= 
re zu brechen – zur Beförderung des Reichs der 
          Wahr= 
 
          7 
Wahrheit dürfte dies einen eben so unbedeutenden 
Gegenstand der Untersuchung geben, als wenn 
so respecktable Männer als Semler und Lavater 
 
Johann Salomo Semler (1725-1791); Johann Kaspar Lavater (1741-1801). 
 
über gaßnerische Possen im ganzen Ernste Korre= 
 
Johann Joseph Gaßner (1727-1779). – Vgl. u. a.: Johann Salomo Semler: Sammlungen von Briefen und Aufsätzen über die Gaunerischen und Schröpferischen Geisterbeschwörungen, 2 Bde., Halle 1776. – Briefe von J. C. Lavater und an ihn und seine Freunde, betreffend Lavaters Ruf nach Bremen, und die in Bremen versuchte Desorganisation zweyer junger Frauenzimmer, nebst einem merkwürdigen Briefe J. C. Lavaters an den berüchtigten Teufelsbanner Joseph Gaßner. Bremen u. Leipzig. 1787. 
 
spondenz führen, und unser einem dadurch in’s Ge= 
hege kommen, maßen die Teufelsbanner und Ge= 
spensterseher schlechterdings nur vor’s Forum der 
Satire gehören, und nur persifflirt werden müssen, 
 
persiflieren: auf feine, spitze Art verspotten. 
 
wenn man sie nicht etwa ganz und unbemerkt laufen läßt, 
und sie bloß mit Verachtung ansieht. – 
Aber der Hirtenknabe scheint’s gegen alle dieje=  
nigen gefaßt zu haben, welche das Laster, die Narr= 
heiten, oder Schwächen – selbst bis in’s Aller= 
heiligste verfolgen, und dem Bösewicht oder dem 
Narren die Zuchtruthe fühlen lassen, der die Hör= 
 
Vgl. Ex 38, 2 und passim. 
 
ner der Altars gefaßt hat, und im Gewande der 
Kirche das inviolabile noli tangere seyn will. 
 
Etwa: das unverletzliche Rühr-mich-nicht-an 
 
Eben war mein zweytes Stück der Gallerie im 
Begriff, öffentlich zu erscheinen – und in dem= 
selben ein Hofprediger, der eben nicht vortheilhaf= 
ter vorgestellet wird, obgleich nach seiner besondern 
Lage in einem andern Geschmack, als Stautzius 
 
Siehe Nicolai: "Sebaldus Nothanker". 
 
mit seinen orthodoxen Kollegen. 
Daß es zu Ehren des Herrn Hofpredigers, dem 
elberfeldischen Hirtenknaben nicht etwa auch ein= 
fällt, seine Schleuder noch einmal zur Hand zu neh= 
men, und auch mir nach dem Hirnschädel zu zieh= 
len, dacht’ ich – es ist besser, ich gehe zu ihm, 
und rede freundlich mit ihm – oder suche ihn zu 
bestechen, und gebe mir die Ehre, ihm meine Gal= 
lerie zu dediciren, dies ist die Absicht meiner Zu 
          A 4          eignungs= 
 
eignungsschrift, und wenn diese also der Welt auch 
nicht interessant wäre; so ist’s mir doch heilsam, 
wenn ich aus einem furchtbaren Feind mir einen 
Freund mache, und ihn gewinne, meine Gallerie 
besser zu empfehlen, als den verderblichen Nothan= 
ker, wenn der Hirtenknabe, als Arzt, seinen elber= 
feldschen Patienten Diät vorschreibt und mit der 
ihm eigenen Gründlichkeit ihnen erklärt, was Gift 
oder gesunde Seelenspeise sey – – 
So ganz unbedeutend kann indessen dieser Um= 
stand, der meine Zuschrift veranlaßt, dem übrigen 
deutschen Publikum nicht seyn – es gehört zur 
Geschichte der Litteratur, zu beobachten, wie es nach 
und nach in solchen Gegenden Deutschlands zu tagen 
anfängt, in welchen es noch lange finster war, als es 
schon in andern Theilen des H. Röm. Reichs lichten 
Tag machte. Boileau hat die Gegenden Westphalens 
nicht sehr vortheilhaft geschildert, und der Verfas= 
 
Nicolas Boileau-Despréaux geb. Paris 1.11.1636, gest. ebd. 13.03.1711; 1677 neben Racine durch Ludwig XIV. zum Hofhistoriographen ernannt, begleitete er diesen auf Feldzügen. 
 
ser des Candide verräth von dem Lande der Tun= 
dernduntunks, worunter auch das bergische begrif= 
fen war, nicht die beste Meynung. Noch bis jetzt 
 
Candide, der Held von Jean Marie Arouet de Voltaires (1694-1778) "Candide, ou l’optimisme", in dem er Leibnitz’ Lehre, dass diese Welt die beste aller denkbaren Welten sei, persiflierte. 
 
sucht mancher in den Städten Elberfeld und Cre= 
feld nur Zeugfabriken - und wenn er zusieht oder 
hinkömmt, so geht’s ihm wie Saul, der auszog ei= 
nen Esel zu suchen, und ein Königreich fand – 
 
Vgl. 1 Sam 10, 16. 
 
er kann Litteraturliebe, aufdämmernde Wissenschaf= 
ten, Schriftsteller finden, die über andere Schrift= 
steller aus lichtern Gegenden kontroversiren – und 
selbst einen Hirtenknaben kennen lernen, der sich 
auch schon sein Kunstauge ausreibt, der den Vor= 
satz faßt, mit dem koketten Mädchen, der lustigen 
Laune, ein wenig zu buhlen, und aufgeweckt zu 
          schrei= 
 
          9 
schreiben, ob’s ihm gleich damit das erstemal nicht 
so recht gelungen ist, und er statt Kinder des auf= 
geweckten Witzes zu erzielen, nur ein Windey zur 
 
Windei: törichter Plan, der sich als unausführbar erweist. 
 
Welt gebracht hat. 
Doch dies beyläufig. Um weder dem schleu= 
dernden Hirtenknaben, noch den übrigen guten Kin= 
dern zu Elberfeld, oder wo sonst die Söhne West= 
phalens wohnen, unschuldiger Weise ein Aergerniß 
zu geben, wenn sie der Repräsentation eines Hof= 
predigers im Schattenspiel an der Wand auf dem 
Blocksberge zusehn, will ich nur flüchtig und bloß 
in seiner Oberfläche die Frage erörtern: ob ein je= 
der zuverläßig ein Feind Gottes und der Religion 
ist, der einen Menschen, welcher ein kirchliches Amt 
bekleidet, demaskirt, ihn in Naturalibus beleuch= 
 
in naturalibus: nach der Wirklichkeit. 
 
tet, und das Lächerliche, was er an sich hat, in sein 
eigenthümliches komisches Licht setzt, das Boßhaf= 
te hassenswürdig vorstellt, und die Thorheiten – 
oder vermeidliche Schwächen an einem Geistlichen 
nach Gebühr züchtiget? – ob Satiren auf satiren= 
fähige Prediger – den Stand, oder die Religion, 
deren Diener sie sind, verächtlich machten? 
Wenn der Herr Doktor Jung, der wohl ein 
guter Mann seyn mag, aber die Schwachheit oder 
Uebereilung hatte, die Rolle eines schleudernden 
Hirtenknaben zu spielen, ehe er zu zielen gelernt 
hatte – und mit dem ich bey alledem säuberlich 
verfahren will – die beyden obigen Fragen aus 
ihrem gehörigen Gesichtspunkte genommen, und sich 
beantwortet hätte, wie ich doch glaube, daß er wohl 
wäre fähig gewesen, wenn ihn nicht ein kleiner Ei= 
          A 5          fer 
 
10 
fer und Paßion, die ihn mehr übernahm als Muth= 
willen und Laune, verblendet hatte, so wäre seine 
ganze Schleuder gewiß nie in’s Publikum er= 
schienen. 
Mantel und Kragen, eine gepuderte oder schwar= 
ze Perücke – und alles äussere Karakteristische 
eines Dieners der Religion macht nur in so fern 
respektable, als der rechte Mann drinn steckt. Der 
Mann, der Mann, und wenn’s ein gemeiner 
Bürger wäre, der den Unwissenden unter= 
richtet, den Irrenden zu rechte weiset, dem 
Lasterhaften warnet, den Traurigen tröstet – 
der, wenn nichts in der Welt ist, wodurch 
er seine Mitgeschöpfe glücklich zu seyn lehren 
kann – ihnen die Hoffnung der Unsterblichkeit 
giebt in der Hoffnung der Zukunft, Muth, Gedult, 
Liebe zum Guten einflößen kann, so ein Mann ist 
der Seegen seiner Zeitgenossen, er mag Priester 
oder Levit, oder wie Sie, Medicinä Doktor seyn - 
und der Thor mag Zeno’s Bart und Mantel bor= 
 
Zeno: Begründer des Stoizismus; nach Stoa = Säulenhalle, stoa poikile: wo Zeno und seine Nachfolger lehrten; Stoiker: sich durch Sittenstrenge und unerschütterlichen Gleichmut auszeichnend. 
 
gen, er ist immer ein Thor – der scheinheilige 
Bösewicht mag einen kleinen Kragen oder eine Hals= 
krause mit hundert Pfeifen tragen, und ehrbar 
dabey aussehen, es bleibt immer ein scheinheiliger 
Bösewicht – der Dichter und Geschichtschreiber 
muß einen jeden mahlen, wie er ihn findet – und 
kein Stand in der Welt ist so inviolabel, daß die 
 
inviolabel: unverletzlich, unangreifbar 
 
Fehler einzelner Glieder – der Würde des Stan= 
des wegen sollten ungerügt bleiben. 
Die Klugheit mag’s gut heißen, in gewisse 
Wespennester nicht zu stören, um, wenn die drinn 
befindliche Kreaturen gar zu giftig sind, nicht 
          Schwulst 
 
11 
Schwulst und Beulen davon zu tragen – und in 
gewissen Gegenden wollte ich’s selbst niemand ra= 
ten, nicht einmal die Unwissenheit, Dummheit, 
Faulheit, Herrschsucht, Aberglauben, und Unzucht 
zu genau zu karakterisiren, um nicht als ein Hei= 
ligthumslästerer gelegentlich gesteinigt zu werden – 
aber das Recht, und – in aufgeklärten Gegen= 
den wahrer Freyheit, selbst in monarchischen Staa= 
ten – wo der Souverain selbst Geist hat – nimmt 
das Laster und die Thorheit und das Lächerliche 
unter keiner Maske in Schutz – – 
Was der Hirtenknabe zur Behauptung seiner 
These in seinem Gleichniß von Gesandten an= 
führt, denen wegen ihres Karakters, und weil 
sie ihren Herrn repräsentiren, gehörig begegnet 
werden muß, beweißt nichts. Das versteht sich, 
daß man so eine durch’s Völkerrecht inviolable 
Person nicht beleidigen, und nicht beschimpfen 
muß – aber darum kann man das Portrait eines 
Gesandten mahlen – den Gott für die Versuchung 
bewahrt, die Geheimnisse des Hofs zu verrathen, 
an den er akkreditirt ist – 
 
bevollmächtigt; im diplomat. Dienst: beglaubigt. 
 
Nehmen wir ein noch stärkeres Gleichniß aus 
der Lehre der Subordination – König Karl von 
 
Subordination: Unterordnung, Unterwürfigkeit; Dienstgehorsam 
 
Schweden wollte einst seinen Stiefel denen Sach= 
 
Evtl: Karl XII. (1682-1718). 
 
sen zum Statthalter senden – wenn er’s gethan 
hätte, so wären die Sachsen schuldig gewesen, vor 
den Stiefel den Huth abzuziehn – – und wenn 
irgendwo ein Vorgesetzter ein ausgemachter Stock= 
fisch wäre, so ist der Sobordinirte verbunden, ihm 
 
Stockfisch: hier: wenig gesprächiger, langweiliger Mensch 
 
eine Verbeugung zu machen – darum darf er aber 
doch in seinem Herzen denken: du bist ein Stock= 
          fisch – 
 
12 
fisch – auch steht’s ihm frey, ein Kapitel von 
Stockfischen zu schreiben – und zu sagen, wodurch 
sich so ein Geschöpf von andern Geschöpfen unter= 
scheidet – kein würdiger Mann, von welchem Stan= 
der er immer seyn mag, wird beleidiget, wenn eine 
lächerliche Kreatur – von gleichem äussern Range 
und Karakter, lächerlich gemacht wird – und der 
ehrwürdigste Stand bleibt immer ehrwürdig, wenn 
einzelne Glieder mit ihren Fehlern so gezeichnet wer= 
den, daß jedermann siehet, wie wenig sie ihrem 
Stande Ehre machen. Höflicher kann überdies 
kein satirischer Dichter oder Romanschreiber seyn, 
als daß er keine würkliche Person, sondern eine er= 
dichtete sich selbst schaft – die zum Sündenbock 
macht – dem die Fehler wirklicher Personen aufla= 
det, und wohl gegeisselt, zum erbaulichen Bey= 
spiel in die weite Welt laufen läßt. Stören Sie 
sich an nichts, mein lieber Herr Doktor! – legen 
Sie ihre Schleuder ab, und seyn Sie kein Hirten= 
knabe mehr – die Religion wird ihre Würde be= 
halten, und rechtschaffane [sic; recte rechtschaffene] Geistliche, die sich nicht 
selbst lächerlich und verächtlich machen, werden 
immer in Ehren gehalten werden, ohne daß Sie 
nöthig haben, ehrlichen Leuten den Hirnschädel ein= 
zuschmeißen, und so sans façon zu verdammen – Ich 
 
sans façon: Ohne Umstände. 
 
bin wie in allen meinen Dedikationen mit Anwün= 
schung guter Besserung und gebührenden Achtung. 
des Herrn Doktors 
nicht mehr 
des Hirtenknaben 
wohlmeynender Freund und Diener 
Pater Gaßner Junior. 
          Beschluß 
 
  
Teil 2:
 
Gallerie / der / Teufel, / bestehend in einer auserlesenen Sammlung / von / Gemählden / moralisch politischer Figuren, / deren / Originale / zwischen Himmel und Erden anzutreffen sind, / nebst / einigen bewährten / Recepten / gegen die Anfechtungen der bösen Geister / von / Pater Gaßnern dem Jüngern / nach Art periodischer Schriften / stückweise herausgegeben. / Viertes Stück. / = / Frankfurt und Leipzig, 1777. 
 
 
26    Zuschrift 
== 
Zuschrift 
an mich selbst. 
-- 
Wird wohl hoffentlich niemand etwas einzuwen= 
den haben, wenn ich mir selbst ein Stück 
meine Gallerie dedicire. Ein jeder, der andere 
gute Freunde zur Tafel bittet – jedem Freyheit 
verstattet, zuzugreifen, was für den, der Lust und 
Belieben hat, öffentlich hingesetzt wird – seinen 
Lieblingen besonders einen ausgesuchten Bissen dar= 
reicht, wie ich dem Herrn Senior Götz in Ham= 
 
Johann Melchior Goeze (1717-1786); er verschonte keinen aufgeklärten Schriftsteller seiner Zeit mit seiner streitsüchtigen Schriftstellerei. 
 
burg, dem Herrn Doctor Jung in Elberfeld, und 
dem Herrn von Moser, Verfasser der Beherzigun= 
 
Friedrich Karl von Moser (1723-1798) gab anonym Frankfurt 1761 die "Beherzigungen" heraus. 
 
gen, Reliquien &. jedem seine besondere präsentirt 
habe – der wird, mit euer aller Erlaubniß, sich 
selbst mit an seinen Tisch setzen dürfen, auf welchem, 
nach alt patriarchalischer Weise, Brod und Salz 
aufgetragen ist, um auch für sich selbst sein Theil 
zu nehmen. Mir selbst also dedicire ich dieses 
Stück – ich habe diesmal nur wenig Raum zu 
meiner Zuschrift, und Höflichkeits halber muß ich 
schon die kleinste Portion für mich behalten, wie’s 
allen Vorlegern geht, die andern reichlich mitthei= 
len und dann vor sich mit dem Ueberrest zufrieden 
seyn müssen. 
[...]