Siehe auch unter den Würdigungen.
Ein Nachruf von 1817 zeigt Jung-Stillings
Leben und Wirken in aller Kürze
Am 2. April d. J. starb zu Karlsruhe, [...], Johann Heinrich Jung genannt Stilling, Großherzoglich Badischer geheimer Hofrath an Altersschwäche. Er war geboren den 12. Sept. 1740 in dem kleinen Dorfe Imgrund in dem Nassau-Siegenschen.
Sein Leben hat er selbst in dem vielgelesenen Buche Stilling bis auf die Zeit seines Greisenalters mit einer Wahrhaftigkeit und Treuherzigkeit beschrieben, welche sogleich alle ansprach und dem Vf. gewann. Der letzte Band davon, „Stillings Alter,“ [sic] zugleich das letzte Werk, womit er sich beschäftigte, und das er bereits angefangen hatte, ist jetzt unter der Presse und wird nächstens erscheinen.
In der Voraussetzung, daß die Hauptmomente seines Lebens wenigen unbekannt sind, werde hier bloß der Rückerinnerung wegen folgendes bemerkt:
Der Sohn armer Bauersleute mußte er anfangs das Schneiderhandwerk erlernen, aber seine früh aufstrebende außerordentliche Geisteskraft, verbunden mit praktischer Frömmigkeit, führte ihn stufenweise als Schulmeister, Handlungsdiener, Hauslehrer, Arzt, öffentlichen Lehrer der Cameralwissenschaften durch ein rastlos thätiges gehaltreiches Leben zu einer hohen Stufe von Geistes- und Herzensbildung, und zu einem Wirkungskreise, wie ihn selten ein Mann von seinem Stande erlangt, und der ihm Freund ein allen Erdtheilen erwarb.
In Straßburg studierte er Medicin, und hier war es, wo Göthe [Goethe] und Herder, die zu gleicher Zeit mit ihm sich zu Straßburg befanden, seine akademischen Freunde wurden, eine Verbindung, die Göthe für werth hielt, in seinem Leben zu erwähnen.
In Elberfeld prakticirte er nach vollendeten medicinischen Studien als Arzt, und wurde hier anfangs gegen seinen Willen veranlaßt, sich im Stechen des Staares zu versuchen. Der Versuch gelang jedoch, so glücklich, daß bald eine Menge an dem Staare Leidender zu Jung ihre Zuflucht nahmen, und durch die Geschicklichkeit seiner Hand das Gesicht wieder erhielten.
Die Anzahl derselben vermehrte sich täglich, und schon vor mehrern Jahren belief sich die Summe der von ihm vom Staare geheilten, unter welchen selbst manche Blindgeborne waren, auf mehr als Zweytausend. Viele kamen in der Folge noch hinzu, und noch in seinem hohen Alter war seine Hand, obgleich schon Krankheitssschwäche sich seiner bemächtigt hatte, fest genug, mehrere auf das Glücklichste von dem Staare zu befreyen.
Hiebey bewies er eine seltene Uneigennüzigkeit, Armen von ihm geheilten nahm er nicht nur nie für die an ihn verrichtete Cur etwas ab, sondern oft entließ er sie auch noch bebeschenkt und erfreute sie so auf doppelte Weise.
Auf seiner wissenschaftlichen Laufbahn wurde er in das Cameralistische Fach geführt, und bey der Gründung der Cameral-Hohenschule zu Kaiserslautern durch den Kurfürsten von der Pfalz, Karl Theodor, des ersten Institutes dieser Art in Deutschland (1774) war er einer der frühesten und verdientesten Lehrer derselben.
Mit eben dieser Anstalt wurde er 1784 nach Heidelberg versetzt; aber schon einige Jahre nachher als öffentlicher Lehrer in diesem Fache auf die Universität zu Marburg berufen.
Er war eine der ersten in Deutschland, welche dieses Fach wissenschaftlich bearbeiteten, und eine neue Bahn brachen. Auch schrieb er Lehrbücher über alle Zweige dieses Faches, über die Finanzwissenschaft, Polizey-Wissenschaft, Vieharzneykunde u. s. w., über welche Lehrbücher noch jetzt auf manchen Universitäten Vorlesungen gehalten werden.
Bey der ihm eigenen Gewandheit des Geistes war es ihm ein Leichtes, sich jeder Wissenschaft zu bemächtigen, welcher er sich zu widmen veranlaßt wurde. Sein mündlicher Vortrag war ausgezeichnet lebendig und klar, und nicht leicht mißlang es ihm, das Interesse und die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln.
Sowohl hierdurch als durch seine Schriften verbreitete sich sein Ruf als akademischer Lehrer selbst in das entfernteste Ausland, und wer einmal sein Zuhörer gewesen war, hing fortdauernd mit inniger Liebe und Dankbarkeit an ihm.
Indessen lebte in seinem Gemüthe ein mächtig gefühlter Beruf für christliche Frömmigkeit und Tugend zu wirken, welcher alle seine übrigen Besterbungen und seine übrige Thätigkeit weit hinter sich zurückließ.
Er verdankte es seinem erhabenen Freunde, dem verewigten Großherzog von Baden Karl Friedrich, daß er, ohne zu bestimmten Geschäften verpflichtet zu seyn, nach Heidelberg und von da nach Karlsruhe berufen, und in eine Lage versetzt wurde, worin er seinem religiösen Berufe ganz leben konnte.
Sowohl literarisch als durch die ausgebreitetste Correspondenz und besonders auch durch seinen von Hohen und Niedern, und von Menschen der verschiedensten Denkart gesuchten und wegen des Geistreichen auf der einen, und der Hochgemüthlichen auf der andern Seite geschätzten Umgang hat er stark auf sein Zeitalter gewirkt.
Mögen auch manche seiner religiösen Vorstellungen zu individuell gewesen seyn, und hin und wieder Schwärmerey geweckt haben: er selbst war nicht Schwärmer in dem Grade wie manche ihn sich dachten.
Dagegen sprach schon er bloße Anblick desselben, seiner geraden und hohen Gestalt, seines hellen, offenen und reinen Auges, noch mehr eine längere Unterhaltung mit ihm, durch die sich immer ein gesunder nüchterner Verstand aussprach und eine Richtigkeit der Ansicht menschlicher Angelegenheiten, welche mit Schwärmerey unvereinbar ist.
Als biedern und ungeheuchelten Menschenfreund, dessen Handeln aus der reinsten, ungetrübtesten Quelle fließt, zeigte er sich auf die vielfachste und seltenste Art, im Verborgenen wie öffentlich, und der schärfste Beobachter desselben sah sich gezwungen zu bekennen: er wolle nicht scheinen, sondern seyn.
Als Christ war er dies im hohen Sinne des Wortes; eine Frömmigkeit, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitete, war nicht erkünstelt, sondern in das Innerste seines geistigen Wesens verwebt, und der Leitstern, nach dem seine Blicke unverrückt gerichtet waren.
Und wie er gelebt hatte, so zeigte er sich auch noch besonders auf seinem Sterbebette, nur daß sein Geist, während er sich von seiner irdischen Hülle losarbeitete, zugleich bereits, wie aus mehreren Aeusserungen desselben erhellt, manche vielleicht zu sinnliche Vorstellungen von dem Zustande des Menschen nach dem Tode und der Ewigkeit, gegen reinere und geläutertere vertauscht zu haben schien.