Max von Schenkendorfs Eintrag in das Koppenfremdenbuch - Schneekoppe, 7. Juni 1813:
Wenn ich liebe Lili Dich nicht liebte,
Welche Wonne gäb’ mir dieser Blick!
Und doch - wenn ich Lili Dich nicht liebte,
Fänd’ ich dort, und fänd’ ich hier mein Glück?
Göthe.
Auf dem Rükwege von Hirschberg - wo am / HimmelfahrtsTage mein einziger Bruder, an seinen / bei Bautzen freudig erhaltenen Wunden, schönen neidenswerthen Tod starb - nach unserm HauptQuar= / tier, hab’ ich, am zweiten Pfingsttage, den siebenten / Junius 1813, die Koppe zum erstenmal, bei günstigem Wetter, bestiegen. Der Regen und die Nebel, welche mi > nur zur magischen Beleuchtung ein= / zelner Stellen beitrugen, zerstreuten sich um Mittag völlig, und mit dem lezten / Schritt auf den Gipfel erschien die entwölkte / Sonne über meinen Häupten.
Max von Schenkendorf.
Was Menschen bauten können Menschen stürzen
das > Das Haus der Freiheit hat nur Gott gegründet.
Schiller. (Wilhelm Tell)
H: Stadtmuseum Hirschberg/Jelenia Gora (Mikrofilm in der UB Breslau).
Zwei Foliobände von 45 mm Dicke bei einem Format von 227 x 352 mm; senkrechte Rippen im Abstand von 25 mm), fünf Rippen am Buchrücken durch die Fadenheftung. Bd. 1, Bl. 1-410 reicht von 1800 bis 1811, auf seinem Einband des aufgeklebte Etikett mit der Inschrift „Fremdenb. / der / Hampelbaude“. – Der Bd. 2 reicht von 1812 bis 1820 und enthält noch wenige Eintragungen aus späteren Jahren. Seine 215 Bll sind handschriftlich paginiert mit Bleistift auf 430 S. –
Beide Bände waren ehem. im Besitz des Riesengebirgsvereins Hirschberg/Schlesien mit der Signatur „XVI. 7.“ und „1“ bzw. „2“ für die Einzelbände. Die spätere und heutige (?) Signatur ist „M J G/ A H - 5085“.
Ursprgl. war die Seite mit Schenkendorfs Eintrag S. „61.“ (Tintenpaginierung); dann wurde das Blatt herausgerissen und hinten als letzte Seite eingelegt. Dadurch erhielt sie bei der neuen Paginierung, die durch die nun unstimmig gewordene Seitenzählung zu ersetzen, die lfd. Seiten-Nr. „429“ (Bleistift). Der alte chronologische Zusammenhang ist an dieser Stelle zerstört. Schenkendorfs Eintrag folgen die a) vom 1813-06-11 durch Marie Zöllern, b) vom 1819-02-23, c) vom 1740-02-35 <sic> und d) und e) vom 1813-06-11.
Schenkendorfs Eintrag gehört mit zu den umfangreichsten aus dieser Zeit in diesem Buch. Wie in seinen Briefen wird ihm auch hier der Raum am rR knapp. Deutlich setzt er sich von den anderen Eintragungen ab durch a) den Beginn einer neuen Seite: Otto Wentscher findet am 1813-05-31 noch Platz auf der vorhergehenden Seite, die mit einem Eintrag vom 1813-05-31 abschloß; b) durch den abschließenden und damit trennendenen Schlußstrich.
RABENAU: Bücher schreibt S. 1: „zwei Fremdenbücher von der Hampelbaude aus dem Anfange dieses Jahrhunderts. Das eine umfaßt den Zeitraum von 1800-1806, das andere von 1812-1819. Man könnte diese Manuskripte billig als Koppenbücher bezeichnen, da fast alle Bemerkungen in denselben sich auf die Besteigung unseres Sudetenhauptes beziehen.“ Ebd. S. 4, Sp. 1: „Unter den Dichtern nimmt der Sänger der Freiheitskriege, Max von Schenkendorf, die erste Stelle ein.“ von allen, die sich hier einschrieben.
HOFMANN: Gebirge S. 116: „Zehn Tage vor dem für Körner verhängnißvollen Ueberfall von Kitzen stand ein anderer Sänger der Freiheitskriege, Max v. Schenkendorf, an derselben Stelle und fand zur Beschreibung der von ihm auf dem Koppengipfel genossenen Naturschönheiten keine eigenen dichterischen Worte. Er citirt zum Anfang die von Goethe bei dem Rückblick über den Züricher See auf der Paßhöhe des Schindeleggi in Erinnerung an Lili empfundenen Verse: <... S. 117: ...> Häupten’. Das Naturschauspiel, das Theodor Körner am Morgen des 22. August auf der Schneekoppe genoß, war aber nicht minder schön, wie wir aus dem Reisebericht des 23. August weiter erfahren:“ (Körner schrieb dazu das Sonett: Sonnenaufgang auf der Riesenkoppe.)
Zitiert werden von Max von Schenkendorf:
„Johann Wolfgang von Goethe: Goethe‘s Schriften. - Achter Band. [Vignette/Kupfer] Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, 1789.“ Erste Sammlung, S. 145: Vom Berge.
„Theater von Schiller. -Wilhelm Tell. Phädra. […] Fünfter Band.-Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1807.“, S. 27: Tell spricht in I, 3: „Was Hände bauten, können Hände stürzen. (nach den Bergen zeigend.)“
DOROW: Erlebtes Bd. 3, S. 153: „Auch D. wollte nun diese Zeit benutzen und eine Reise in’s Riesengebirge und nach Glatz machen. Die Reise wurde glücklich zurückgelegt und D.’s Gesundheit, wenn auch nicht hergestellt, so doch bedeutend verbessert.“ Auch Dorows Eintrag im Schneekoppenbuch ist erhalten.
Die Hampel- oder Wiesenbaude war der Ausgangspunkt für Wanderungen zur Schneekoppe (Riesenkoppe), denn die bereits 1668 vom Grafen Schaffgotsch begonnene kleine runde Kapelle, dem St. Laurentius geweiht, diente erst seit 1824 als Gastherberge; 1850 dann Bau eines Gasthauses ebd., der die Kapelle dem Kultus zurückgab. Von der 1602 m hohen Schneekoppe hatte man einen Rundblick, von 300 km im Durchmesser über Niederschlesien, die östliche Oberlausitz, Böhmen und die Gebirge der Grafschaft Glatz (heute zu Polen und der CSSR gehörig). –
Vgl.: LETZNER: Riesengebirge; A. Hoffmann: Die Schneekoppe in Wort und Bild. Warmbrunn 1925. – J[ohann]. H[einrich]. Fritsch: Taschenbuch für Reisende ins Riesengebirge. Mit 2 Karten. Leipzig. Gerhard Fleischer d. J. 1816 = FRITSCH: Gebirge.
Drucke des Eintrags:
D: 1. 1886: RABENAU: Bücher Nr. 49, S. 4, Sp. 1. –
D: 2. 1897: HOFFMANN: Dichter S. 116 (ohne Hinweis auf Rabenau; nur Zeile 6-12). –
D: 3. WERTH: Bote (ohne Hinweis auf 1. und 2.). –
D: 4. CZYGAN VIII S. 151, Nr. 3. Czygan zitiert nach dem Abdruck des Eintrages Werth; hier heißt es nach der Überschrift „Schenkendorfs Eintrag in das Koppenfremdenbuch.“ und dem Text: „Der Verfasser des Aufsatzes in der Festschrift setzt (S: 91) hinzu: „Wir können hier den Gedanken- und Empfindungsgang des Dichters sehr deutlich verfolgen. Er hat die Koppe bestiegen. Noch ist seine Seele ergriffen vom ruhmvollen Tode des Bruders, dessen frisches Grab er eben verlassen; nun genießt er hier oben ein ganz ungewohntes Spiel der Farben und Formen im vollen Sonnenlicht nach einer Wanderung durch Wolken und Nebel. Aber sein Blick schweift sofort zu der unter ihm liegenden Menschenwelt. Dem 30jährigen jungen Mann taucht zuerst das Bild der Geliebten auf, die ihm als Goethes Lili erscheint; aber alsbald wird es verdrängt von dem Gedanken an das geknechtete, nun zum Verzweiflungskampf sich aufraffende Volk, und Schillers Hoffnungsworte kommen ihm in die Feder.“-“
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Vgl.:
Danksagung Schenkendorfs im Boten aus dem Riesengebirge, 10. Juni 1813 Der Bote aus dem Riesen=Gebirge. / Eine Wochenschrift für alle Stände. / No. 23. / Hirschberg, Donnerstag den 10ten Juni 1813. Nachtrag / zu No. 23. des Boten aus dem Riesengebirge. (S. 2)