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Ein Hymnus des Mittelalters/ Gebet bei der Gefangenschaft des Papstes  

 

Max von Schenkendorfs Gedicht Ein Hymnus des Mittelalters/ Gebet bei der Gefangenschaft des Papstes erschien 1810 im Königsberger „Spiegel“. Heinz Erich Stiene ordnet es 2019 in den zeitlichen Kontext ein und gibt beide Texte wieder. (Von Horaz und Ovid bis zum Archipoeta, S. 86 ff.)

Über die Bedeutung des von einem evangelischen Dichter verfassten Poems im sog. Kulturkampf (1866, 1871-1878, 1887) zwischen Preußen bzw. später dem Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. erfährt man nichts.

Bereits 1847 veröffentlichen die Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland „Glossen zur Zeitgeschichte“. In einer davon liest man.

„Die Opposition der rechtlichen Leute, die auch unter den Gebildeten zahlreich genug bestand, hatte in der deutschen Presse seit Palm‘s buchhändlerischem Martyrthum eben keine Organe mehr. – Nur in der Form der versteckten Anspielung, der Mystification, des historischen Citats konnte sie sich den Gleichgesinnten verständlich machen. So erschien in demselben Jahre 1810, wo ein excommunizirter Pfarrer in Rom die wahre Lage der Dinge so gefügig auf den Kopf stellte, und den Dränger und Verfolger der Kirche in Sta. Maria rotonda zu den Sternen erhob, in einem Königsberger Blatte eine angeblich neu aufgefundene Kirchenhymne, aus der Zeit der Gefangenschaft Clemens VII., von welcher der edle Max von Schenkendorf eine deutsche Uebersetzung, verfertigt haben wollte. In Wahrheit war die Uebersetzung das Original und der lateinische, vorgebliche Urtext eine mit großem Talente von Franz Xaver Carnier verfaßte Uebertragung. Die ‚Extremen‘ verstanden ohne Commentar, was gemeint war, die französischen Autoritäten aber erhielten von dem Attentat entweder keine Kunde, oder zogen es vor, einigen Mangel an Combinationsgabe. vorzuschützen *).“; „*) Die Hymne von Max von Schenkendorf steht in dessen Gedichten (Stuttgart und Tübingen 1815): [… Text]“.

 

Die „Bauern-Zeitung“, herausgegeben vom bayrisch-patriotischen Bauernverein, veröffentlicht 1874:

„Ein protestantisches Zeugniß.

Als Papst Pius VII. von Napoleon in die Gefangenschaft abgeführt worden, da brachte das Königsberger Wochenblatt, eine streng lutherische Zeitung, folgendes Gebet bei Gefangenschaft Papst Pius VII. [… Text; Sp. 2: …] Der Verfasser dieses Gedichtes war gewiß ein Ultramontaner? Nein. Es war ein streng lutherischer Christ, der nichts so sehnlich herbeiwünschte, als das deutsche Reich unter einem Kaiser vereinigt zu sehen, der deshalb den Namen ‚,Kaiserherold‘ erhielt, Max von Schenkendorf.

Damals erkannten die noch gläubig gesinnten Evangelischen, daß jeder Unfall, der der katholischen Kirche droht, auch eine Drohung für sie ist. Sollte es jetzt unter den von uns im Glauben getrennten Brüdern keinen Max von Schenkendorf mehr geben? (Aus dem Sonntagskalender.)

 

Ein Jahr später, 1875, nutzt das „Salzburger Kirchenblatt“ den Geburtstag des amtierenden Pontifex, um diesem mit dem Gedicht zu ehren und notiert: „Obiges Gebet, gedichtet von Max v. Schenkendorf während der Gefangenschaft Pius VII im Jahre 1810 ist auch jetzt sehr zutreffend.“

 

Besonders deutlich wird der ungenannt bleibende Lutheraner, ein „positiv gläubige Protestant“, 1874 in der „Augsburger Postzeitung“, indem er beide Texte abdruckt und einleitet.

Drei erläuternde Bemerkungen zuvor:

  • Zu Hostis urbs aboleatur vgl. 1895 Robert Sprenger S. 237 nach HAGEN ergänzend.
  • Zur Majestätsbeleidigung: Gemeint ist [Friedrich/Franz] Ludwig Heinrich Grote (1825-1887); Beiname „Welfenpastor“; vgl.: Ludwig Grot’s ‚Einsame Lieder. – In: Beilage zur Augsburger Postzeitung, Nr. 4 v. 1874-01-23, S. 16. – Grote und Bismarck oder das alte und das neue Recht. Eine Appellation an die beleidigte Majestät des Rechts und der Wahrheit, sowie des Königs von Preußen. [Motto] Erweiterte Betrachtungen aus den ‚Hessischen Blättern.‘ Melsungen: W. Hopf und Kassel: H. Jungklaus 1873; Majestätsbeleidigung von Otto von Bismarck (1815-1898) S. 18: P. Gerhardt weil ‚stolzer Tyrann‘ darin vorkam.
  • Pius VII. in seinen öffentlichen Verhältnissen *) zu Napoleon 1808 und 1809. – In: Ludwig Wachler (Hrsg.): Theol. Nachrichten 1814, Bd. 2, 1814-07/1814-08, S. 284-297.
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Nun das, was der Anonymus zu sagen hatte:

 „Gebet bei Gefangenschaft des Papstes Pius VII.

[… dt. Text]

Wir erhalten diese kostbare Reliquie zur Wiedererinnerung und zum Wiederabdruck in unserm Blatte aus der Hand eines positiv gläubigen Protestanten, der uns dazu folgende erhebende Worte schrieb: Ich glaube, geehrter Herr und Mitstreiter, Ihnen einen kleinen Dienst zu erweisen, wenn ich Sie auf das vorstehende Gedicht hinweise, das einen der edelsten Männer zum Verfasser hat, der ein Deutscher und ein Christ war. Es geschieht nichts neues unter der Sonne! Max von Schenkendorf, der ‚Kaiserherold‘, der aber ein Kaiserthum à la Bonaparte in den Abgrund der Hölle verflucht haben würde, gehörte der lutherischen Kirche an. Das hinderte ihn aber nicht, seine Zeugenstimme gegen die ‚Räuber‘ zu erheben, welche sich mit Hohn und Pochen wider das Heiligthum der römischen Kirche verschworen hatten. So erkennen auch jetzt alle treuen Glieder der lutherischen Kirche, daß der Sturmlauf des modernen Heidenthums nicht gegen Ultramontanismus und Jesuitismus, wie man vorgibt, sondern gegen die römische Kirche selbst gerichtet ist, und zwar in ihr nicht gegen das, was uns trennt, sondern was uns einigt, also gegen das wahrhaft katholische Christenthum, gegen den Glauben an den dreieinigen Gott, der seine Kirche auf Erden gegründet hat und nicht eine Polizeianstalt des Abgotts, der sich Staat nennt. Deßhalb, geehrter Herr, glauben wir Lutherischen, daß zwischen Ihnen und uns alle häuslichen Streitigkeiten – denn als [Sp. 2:] solche müssen unsere Differenzen in Vergleich zu dem klaffenden Abgrunde, der uns von dem heidnischen Berlin trennt, bezeichnet werden – zu vertagen sind und daß wir im Namen des gemeinsamen Herrn und Heilands als christliche Brüder zusammen zu stehen haben gegen den modernen Staatsleviathan, der Sie wie uns zu verschlingen droht. Als ein Zeichen dieser gottlob immer mehr als nothwendig erkannten Bundesgenossenschaft über sende ich Ihnen das Gedicht eines Lutheraners, der in schweren Tagen dieselbe Pflicht erkannte und denselben Kampf mit uns stritt. Max von Schenkendorf ist unser ,Kaiserherold.‘ Die Nationalliberalen haben nicht ein Haar an ihm. Darum wagen sie auch nicht, an ihn zu erinnern. Wir aber sollten seinen Namen auf unsere Fahne schreiben. Ueber das vorstehende Gedicht ist noch zu bemerken, daß es zuerst 1810 ohne Unterschrift in einer Königsberger Wochenschrift erschien, und zwar angeblich als Uebersetzung aus einer Sammlung von Kirchenhymnen des 16. Jahrhunderts : In ecclesiae calamitatibus. Man sieht daraus, wie viel Mühe man es sich damals (1810!) kosten ließ, aber auch wie erfinderisch und keck man war, die überwachende Censur zu hintergehen. Und doch war jener Zustand noch erträglicher, als der von Anno 1873, wo ein lutherischer Pastor der Majestātsbeleidigung angeklagt werden konnte, weil er in einem Kalender den einfachen Abdruck eines Paul Gerhardt‘schen Liedes, ohne jeden Zusatz und Veränderung, besorgt hatte. Nun, mag man wüthen mit Tendenzprocessen und Einkerkerungen! Es soll ihnen nicht gelingen! Wie es damals dem ‚Aergsten aus dem argen Heere‘ ergangen ist, so wird auch jetzt der Ausgang sein: ‚Verschwunden wie Sodoma!‘    Ein Lutheraner.

Wir geben nachstehend auch noch die lateinische Uebersetzung des vorstehenden Liedes, die den Augen der französischen Spione immerhin als ‚alter Kirchenhymnus‘ erscheinen mochte:

In ecclesiae calamitatibus. *)

[… lat Text]

*) Dieser lateinische Hymnus, der zuerst in der Königsberger Zeitschrift ,Spiegel‘, Jahrg. 1810, Nr. 18, erschien, ist von Franz Xaver Carnier, einem Freunde Schenkendorf‘s verfaßt, und zwar in der Absicht, um Schenkendorf‘s ‚Gebet bei der Gefangennahme des Papstes‘ gegen die Censur zu schützen. Die Carnier‘sche Uebersetzung des Gebetes wurde nämlich für ein altes Original ausgegeben. Das Latein ist nicht immer classisch. Ausdrücke wie vulnere detectus, sanantes properati, hostis exulesceatur dürften keinen Anspruch auf Classicität haben. Hält man aber fest, daß es nur auf eine Täuschung abgesehen war, so wird man nicht zu hohe Anforderungen stellen. Für den letzten Vers hat jemand die Correctur vorgeschlagen: Hostis urbs aboleatur.“