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Krünitz schreibt noch 1798 im Band 73 seiner „Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft“ S. 739 im Artikel „Leichenhaus“, dass er nicht entscheiden könne, wem die Erfindung dieser Leichenhäuser zukomme: Hufeland, Göchhausen oder Dr. Knigge. – Bereits 1795 hatte Paulus Usteri den Hinweis auf Jungs Lehrbuch (wohl nach Vincke) gegeben.
Hufeland hatte in „Der neue Teutsche Merkur, 5. Stück, May 1790”, S. 11-39 als: „D. Hufeland.”:


“II. Die Ungewißheit des Todes und das einzige untrügliche Mittel, sich von seiner Wirklichkeit zu überzeugen und das Lebendigbegraben unmöglich zu machen.“


publiziert, und dies dann als erweitertes Büchlein unter dem Titel

„Ueber die Ungewißheit des Todes und das einzige untrügliche Mittel, sich von seiner Wirklichkeit zu überzeigen, und das lebendig begraben unmöglich zu machen, nebst einer Nachricht von der Errichtung eines Leichenhauses in Weimar“. Weimar: Glüsing 1791.

Karl Siegmund Anton von Göchhausen Eisenach (1740- 1824) hatte auf dem Dienstwege ein solches für Eisenach vorgeschlagen gehabt. – Unberücksichtigt blieb in der Diskussion, dass die Herrnhuter Gemeine in Gnadenfrei bei Reichenbach schon vor 1792 ein solches Gebäude gehabt haben sollte.

1793 schrieb Friedrich Wilhelm Ludwig Philipp Freiherrn von Vincke (Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp Freiherrn von Vincke geb. Minden 23.12.1774, gest. Münster/Westf. 2.12.1844) seinen „Beitrag zur Geschichte der Leichenhäuser […]“, in dem es heißt:

 
„neben Herrn Leibarzt Hufeland, den Hrn. GR. v. Gähhausen [sic; recte Göchhausen] als Mitbewerber um die Ehre der Erfindung der Leichenhäuser aufzustellen – sie veranlassen jetzt auch mich, einen dritten verdienstvollen Theilnehmer dieser Ehre anzumeldern – Es ist dieß der Hr. Hofrath und Professor Jung in Marburg, welcher noch 2 Jahr vor beiden andern würdigen Männern schon im Jahre 1788. im 93. §. seines Lehrbuchs der Staatspolizeiwissenschaft mit einem Vorschlage zur Errichtung von Leichenhäusern öffentlich auftrat. [s. u.] Er ist also ursprünglich der erste, welcher obgleich nur kurz un in den Schranken des Kompendiums einer weitläuftigen Wissenschaft, die Folgen des zu schnellen Begrabens der Todten schilderte und darauf den Gedanken zur Errichtung besonderer Häuser gründete, worin während 2 mal 24 Stunden den Zeichen des Lebens in todtscheinenden Körpern von sorgsamen Wächtern nachgespürt würde. Dieß wurde darauf vom schätzungswürdigen GR. v. Gähhausen [sic] zu wirklicher praktischer Ausführung im Weimarischen vorgeschlagen, und bald darauf erwarb ein schöner und gehaltvoller Aufsatz in einer der allgemein gelesensten Zeitschriften Herrn D. Hufeland in Weimar das neue und gewiß sehr große Verdienst um die gute Sache, beinahe ganz Teutschland für sie aufzuregen und sie jedem Menschen, dem sein Leben nicht ganz gleichgültig war, anziehend zu machen. So wurde denn wirklich mancher Orten Jungs, Hufelands und Gähhausens [sic] gemeinschaftlicher treflicher Plan wirklich ausgeführt – und darüber muß sich gewiß jeder Menschenfreund freuen, denn, – ohne zu untersuchen ob gerade dieß der allerwichtigste dringendste Gegenstand einer Medizinalpolizeiverbesserung sey – ist es doch immer schon wichtig genug, daß unter 800 Menschen vielleicht auch nur einem einzigen dadurch das Leben erhalten wird – und auf dieses Verdienst hat gewiß keiner so gerechten Anspruch als Hr. Dr. Hufeland, welcher in seiner gelehrten und vortreflichen Abhandlung der ganzen Menschheit die Sache so dringend ans Herz legte. – P. =“

 

Benennt von Vincke hier nur Jungs „Lehrbuchs der Staatspolizeiwissenschaft“, so ist schon von diesem im Jahr 1782 folgendes geschrieben worden:

 

„Der beste Rath bei dieser Sache wäre, wenn man bei jedem Dorfe an einem abgelegenen Orte vor etliche zwanzig Gulden ein kleiens festes Häuschen mauerte, welches man wohl verschließen könte; in dieses Häuschen würden die Leichen aus dem ganzen Dorfe gebracht, so bald sie im Sarge lägen und also angekleidet wären; dort deckte man dann den Sarg nicht zu, sondern ließ ihn offen stehen; auch könten des Nachts noch ein paar Freunde bei ihm wachen, weil das doch so üblich ist. In diesem Todtenhäuschen stünde dann die Leiche je
nach Befinden zwei, drei, auch wohl bis an den vierten Tag, je nachdem die Umstände es erfordern; denn es gibt Leute, welche nach dem Tode stark überlaufen; alle aber, die überlaufen, sind gewiß todt, und brauchennicht länger zu stehen.
Andere sind dick und vollblütig, und fangen bald an zu faulen, auch diese sind gewiß todt, wenn sie anfangen zu riechen u. s. w.
Durch ein solches Todtenhäuschen erreicht man eben den Zweck, den man bei dem frühen Begraben sucht; die Leichen kämen aus den Häusern an einen abgelegenen Ort, wo sie nicht mehr anstecken könten, besonders wenn man in solchen Todtenhäuschen vor dem Wegfahren, auch so lange ein Todter da liegt, Feuer flammen und brennen liese, oder oft mit Essig räucherte.
Daß auch ein vermeinter Todter noch am dritten Tage erwachen kan, davon weiß ich ein so rathe ich zum Todtenhäuschen ausser dem Dorfe oder der Stadt, dahin müssen die Leichen gebracht werden, so bald sie im Sarge sind, dann schaden sie den Lebendigen nicht mehr, und werden doch auch nicht lebendig begraben; dort kan sie der Todtengräber bewahren, und mit seinen Gehülfen auch wohl heraus und auf den Kirchhof bringen und begraben.“

 

1797 macht Leonhard Johann Carl Justi darauf aufmerksam, dass neben Ärzten und Theologen auch Kameralisten sich des Themas bemächtigt hatten: So „Unser Herr Hofrath Jung z. B.“, der dies bereits 1788 „als eine Polizeyanstalt gegen das Lebendigbegraben empfohlen“ hatte.

 

Im

Lehrbuch / der / Staats=Polizey= / Wissenschaft / Von Johann Heinrich Jung / der Weltweisheit und Arzneygelehrtheit Doctor, und / öffentlicher ordentlicher Lehrer der Oeconomie, Finanz= / und Cameral=Wissenschaft zu Marburg. / - / Leipzig, / in der Weidmannischen Buchhandlung / 1788.
liest man S. 39 f.:

 
„§. 93.
Bey gefährlichen ansteckenden, oder sonst auch sehr ekelhaften Krankheiten, ist es freylich erschrecklich und höchst polizeywidrig, wenn die Todten zween bis drey Tage lang in den Sterbhäusern stehen bleiben; die Befehle aber, sie gleich nach dem Verlauf von 24 Stunden zu begraben, sind noch weit schrecklicher, denn wir haben Beyspiele gnug, daß Menschen lebendig begraben worden. Daher soll außerhalb den Städten und den Dörfern ein so genanntes Todtenhäusgen auf gemeine Kosten gebaut werden; in dieses wird jede Leiche, so bald sie ordentlich ausgerichtet, und im Sarge ist, gebracht, zween Tage und zwo Nächte bewacht, und dann ordentlich begraben. Es versteht sich von selbst, daß alsdann der Sarg nicht zugedeckt, und das Wachen nicht versäumt werden darf.“

 

 


 

Siehe auch:

„Johann Heinrich Jung-Stilling. ‚Wenn einen der König des Himmels und der Erden zum Werkzeug macht’“. – In: Harald Salfellner (Hrsg.): Mit Feder und Skalpell. Grenzgänger zwischen Literatur und Medizin. Prag: Vitalis 2014, ISBN 978-3-89919-167-7, S. 21-56. – Geschrieben Dezember 2010, erschienen 2014.


Vgl. z. B.: Irle, Lothar: Tod und Begräbis im Siegerland. Siegen: Selbstverlag 1966 = Siegerländer Beiträge zur Geschichte und Landeskunde. Hrsg. i. A. des Siegerländer Heimatvereins v. Wilhelm Güthling. Heft 17.

 

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