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Wie Kinder ihre Eltern behandeln

 
 
 
 
 
 
 
(mit Literaturhinweisen)
 
 
Mehrfach erzählt Jung-Stilling die Geschichte vom Großvater und Enkel (Jugend, LG S. 85).
 
Im Jahrgang 1795 (und ähnlich im Jahrgang 1798) des "Hessen=Casselischen Kalenders" sowie im "Christlichen Menschenfreund" von 1805 steht die aus der "Lebensgeschichte", den "Jünglingsjahren" (S. 85), bekannte Geschichte.
[1795:] Nun hatte auch der Schmidt einen Jungen von ungefehr fünf Jahren; als nun einmal an einem Mittag der Schmidt mit seiner Frauen am Tisch, und der alte Vater mit seiner hölzernen Schüssel hinter dem Ofen saß, und sie alle am Essen waren; so lief der kleine Junge in der Stube herum, und schleppte Stückelchen von Brettern zusammen, um damit zu spielen; der Vater sahe das so an, endlich sagte er: Peterchen, was machst du denn da? Das Kind antwortete: ich mache einen Trog, daraus sollt Ihr essen, wenn ich einmal groß bin. - Das gieng aber dem Schmidt und seiner Frau durch Mark und Bein - So! - dachte er bey sich selbst: da wird es mir recht bezahlt werden, daß ich meinen Vater hinter dem Ofen sitzen, und ihn aus eine hölzernen Schüssel essen lassen - ich soll gar wie eine Sau aus einem Trog essen, wann ich alt bin. Nun holten der Schmidt und seine Frau den alten Vater wieder an den Tisch, und liessen ihn wieder mit sich essen wie vorher.
[1798:] Als das so etliche Wochen gedauert hatte, so saßen die jungen Leute einsmals des Mittags am Tisch; hinter dem Ofens aß der Alte mit seinem hölzernen Schüsselchen auf dem Schoos, und das kleine Kind, das einzige welches die jungen Leute hatten, ein Bübchen von drey Jahren spielte in der Stube mit kleinen Brettern, die der Knabe zusammenschleppte und damit baute. Ohne an irgend etwas zu denken, sagte der junge Mann zu dem Kind: Nun, Peterchen, was willst da denn da bauen? - Ich baue einen Trog, sagte der Junge, aus dem sollt Ihr essen, wenn ich einmal groß bin. Das gieng den beyden Eltern durch Mark und Bein, im Augenblick holten sie den alten Vater hinter dem Ofen weg, setzten ihn an den Tisch, und liessen ihn nun wieder mit aus ihrer Schüssel essen bis an seinen Tod, und das hölzerne Schüsselchen wurde niemals wieder gebraucht.
 
Jung-Stilling schreibt in seinem "Der christliche Menschenfreund, in Erzählungen für Bürger und Bauern" 1803 – hier nach den "Sämmtliche Schriften", Ergänzungsband (= 14.) S. 99:
Ich hab in meiner Lebensbeschreibung und auch sonst hin und wieder eine Geschichte erzählt, die mir ewig unvergesslich bleibt. Als ich in meinem zehnten oder eilften Jahr zu Hilgenbach, im Fürstenthum Nassau=Siegen, in die Schule ging, so trug sich folgendes zu: in gedachtem Flecken lebte ein Ehepaar, das sich von einem Handwerk nährte; Mann und Frau waren fleißig, und im Grunde recht gute und brave Leute. Nun hatten sie einen abgelebten Vater, und einen kleinen Knaben von etwa 4 bis 5 Jahren; diese vier Personen machten die ganze Familie aus, und alle vier speisten auch zusammen an einem Tisch. [...]
 
 
Adalbert Stifter (1805-1868) nahm diese Erzählung in seinem gemeinsam mit Johannes Aprent herausgegebenen " Lesebuch zur Förderung der humanen Bildung in Realschulen" Pest(h) 1854 auf.
Faks.-Druck hrsg. v. Max Stefl nebst Briefen Stifters zum Lesebuch. München usw.: Oldenbourg 1938 = Schriften der Corona Bd. 18; Für die Höheren Schulen Bayerns neu hrsg. von Josef Habisreutinger. München: Bayer. Schulbuch-Verl. 1947; Mikrofiche-Ausg. München usw.: Saur 1990-1994, ISBN 3-598-52845-0 = Bibliothek der deutschen Literatur. – Zu Stifter siehe unter diesem URL.
 
 
Johann Peter Hebel schrieb unter dem Titel "Kindes Dank und Undank" eine ähnliche Geschichte wie Jung-Stilling.
 
 
 
Hier im unten wiedergegebenen Text Jung-Stillings ist sie eingebettet in eine umfangreichere Darstellung des Konflikts der Generationen.
 
 
Bereits 
Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766-1837): Darstellungen aus dem Gebiete der Pädagogik als Nachträge zur Erziehungslehre hrsg. u. z. Th. selbst verf. Leipzig: Göschen 1834. (Darin S. 173-182: Zur Geschichte der pädagogischen Literatur von der Mitte des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts.)
wußte, dass dies eine Übernahme war aus "Insomis Cura Parentum" (zuerst 1641/3) von
 
Hans Michael Moscherosch (1601-1669; Pseud.: Philander von Sittewald (= Menschenfreund von Willstaet [Wilstädt bei Kehl])): Christliches Vermächtniss eines treuen Vaters an die Seinen.
Davon erschien ein Neudruck:
 
Heinrich Dittmar (Hrsg.) [1792-1866]: Spiegel der alten christlich-deutschen Erziehung, aufgestellt in dem Vermächtnisse eines treuen Vaters an die Seinen. Eine pädagogische Reliquie aus den Zeiten des dreissigjährigen Kriegs, Aeltern und Kindern, Lehrern u. Freunden der Jugend von Michael Moscherosch. Frankfurt a. M.: Brönner 1833 (siehe die Rezension in Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 154, Dienstag, 1834-06-03, S. 635 f.)
 
Aufgegriffen hat diese Information dann Hans-Jörg Uther S. 299 in:
Hans-Jörg Uther: Die Brüder Grimm und Heinrich Jung-Stilling [.] Von Jorinde und Joringel und anderen Erzählungen. – In: Paare und Paarungen. Festschrift für Werner Wunderlich zum 60. Geburtstag hrsg. v. Ulrich Müller und Margarete Springeth unter Mitwirkung von Michaela Auer-Müller. Stuttgart: Verlag Hans-Dieter Heinz Akademischer Verlag Stuttgart 2004 (ISBN 3-88099-425-0; VI, 441 S.. : Ill..) S. 294-305. = Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Bd. 420.
 
Allerdings: Vorbilder bzw. Andeutungen finden sich bereits in: Pseudo-Vincentius Bellovacensis: Speculum morale und weiteren früheren Quellen.
 

Bereits Abbé Pierre René Monnier erzählt 1773 in seinen Fabeln eine ähnliche Geschichte unter dem Titel Le Tisserand et son Fils. Dies konnte man schon im Jahr 1813 in einer Zeitschrift nachlesen ("Etwas anders und schlecht hat sie Le Monnier" erzählt).

 

Le Tisserand et son Fils.

     

 

Jacques le Tisserand logeait avec son père;

Tous deux ils travaillaient et vivaient doucement.

Le bonhomme était vieux; il devint impotent,

Hors d'état de pouvoir rien faire.

Son fils le traîne à l'hôpital.

Quand un fils a deux bras, un métier, de l'ouvrage,

A nature peut-il faire un pareil outrage ?

Aussi tous les voisins trouvèrent cela mal.

Sois honte, ou soit pitié, les jours de bonne-chere,

Les jours qu'on fait la soupe au lard,

Jacques a soin de faire

Pour le pauvre vieillard

Une petite part.

Par son fils Colin il l'envoie,

Et l'enfant s'acquite avec joie

De la commission. Le bon papa mourut.

Le pleura qui voulut.

Jacques alors dit à sa femme:

" Voilà mon père mort, Dieu veuille avoir son ame.

Il faut vendre le pot d'étain

Dans quoi nous mettions sa pitance.

C'est toi qui l'as serré, va le chercher, Colin.

- Le vendre, mon papa ! voyez la belle avance !

Et quand vous serez vieux et que je serai grand,

Il me faudra bien cher en acheter un autre.

- Et pourquoi faire un autre ? - Afin que mon enfant

Vous porte à l'hôpital ... - Serais-tu si méchant !

Ton père à l'hôpital ? - Vous y mîtes le vôtre."

 

 

Bei Moscherosch findet sich der Text in:   

Insomnis. Cura. Parentum. /   Christliches /  Vermächtnuß. / oder, /  Schuldige Vorsorg /  Eines Trewen Vatters. /  bey jetzigen /  Höchbetrübtsten gefährlichsten Zeiten / den seinigen zur letzten Nachricht / hinderlassen. / Durch / Hanß=Michel Moscherosch. /[Vignette] / Straßburg, / Bey Johann Philipp Mülben, / Im Jahr 1643.
 
Darin S. 258 ff. der „Kinderspiegel.“ mit diesem ähnlichen Text.
 
Kinderspiegel.
EIn Altes Sprichwort wird gemelt:
            Wie einer seine eltern helt
      So wird er wider ghalten
Mit der zeit von den Kindern sein /
      Wir habens von den Altten.
 
EIns mahls ein Sohn gewesen ist/
            Wie man in den Historien lißt/
      Der wider all gebühre
Sein Vatter bey den Haaren gschläpt
      Biß an die Stubenthüre.
 
ALs derselb Sohn kam in Ehestand/
            Beschert ihm Gott auch zu der Hand
                  Ein
 
Eines trewen Vatters.   259
----
      Ein Sohn nach wenig Jahren / Cap. 32.
Derselb schlept ihn auch biß an d’schwell
      Bey seinen grauwen Haaren.
 
DA schreyt er laut/verschone Sohn/
            Du hast mir geben meinen Lohn :
      Dan biß an diese schwelle
Hab ich meine Vatter auch geschlept/
      Meß mir mit gleicher Ehle.
 
ES steht auch ferner diß dabey/
      Daß en Alt Mann gewesen sey/
      Welcher bey seinem leben
Die Güter sein/ all seinem Sohn
      Mit willen ubergeben.
 
DEr Vatter Alt ward zu eim Kind
            Wie man der Elttern noch viel find/
      Zittert mit Mund und händen /
Und sich nicht wohl behelffen kund/
      Was krumm und Lam in Lenden.
 
AUch sein Gesicht nam mercklich ab /
      Er schliech herumb an einem stab/
      Weil ernichts kund erwerben.
Dem Sohn was zeit und weil gar lang
      Biß der Alt möchte sterben.
 
DIe Sohns=frau sprach zum Mann ohn schew/
            Ewr Vatter frißt gleich wie die Säuw/
      Daß mir darüber grauwet/
Macht daß er bsonder Eß und trinck /
      Und ihm ein Kübel bauwet.
 
                  Der
 
250   Schuldige Vorsorg
------
Cap. 32.    DEr Sohn sprach/Frißt er wie ein Schwein/
            So mach ich ihm ein trügelein.
      Als er es aber hauwet /
Da stund sein kleines Söhnelein
      Und Ihm fleissig zu schauwet /
 
ALß ob es wollte lernen fein.
      Daß Kind sprach lieber Vatter MEin !
      Was thut ihr da abmessen ?
Er sprach/ich meß ein trögelein/
      Drauß soll der Großäu Essen.
 
DAß Kind Sprach: Lieber Vatter mein /
            Wand an auch ich groß werde sein/
      Und ihr Altten und Grauwen/
Wie jeztund mein GroßVatter thut
      So will ich lernen bauwen
 
UNd machen eüch ein Trögelein/
            Wie für Meinem GroßVätterlein/
      Darauß ihr auch solt Essen.
Der Sohn ließ bald die Arbeit stehn /
      Und that deß bauws vergessen.
 
IHr Kinder/Reich/arm/groß und Klein/
      Last daß Lied ewern Spiegel sein/
      Haltt Vatter und Muttr in Ehren/
So wird eüch Gott auch mit der Zeit
      Fromme Kinde rbescheren.
DRumb ewre Elttern ehrlich hatt /
            So werdet Ihr mit Ehren alt /
      Und wird euch hie auff Erden
Wohlgehn/ auch haben glück und heyt/
      Und Ewig Seelig werden.
 
      Wan
 
Wann ihr den Eltern guts thut/     Cap. 32.
so seit Ihr fromme Kinder. Wie ihr
die Elttern Ehret unnd liebet / so wird
eüch Gott widerumb lieben.
 
Ich bitte GOtt für eüch / Liebe
Kinder von erewem Hertzen. Amen.
O Herr Jesu Christe / erbarme dich
uber uns/umb deines H. Bitgtern Ley=
dens und Sterbens willen. Amen.
 
      den 29 Herbstmonats 1641.
 
Herztliebe Kinder /
 
      Ewer Getrewer Vatter
 
      H. M. M.
   
 

 

Die Äußerungen Jung-Stillings:

Ausser diesen bisherigen allgemeinen Aufforderungen zur Buße und Bekehrung, muß ich euch auch besondere Gräuel mit ihren natürlichen Folgen und Farben vor Augen mahlen, die hin und wieder unter euch im Schwange gehen: das Erste was mir gerad einfällt ist: daß oftmals Hausväter und Hausmütter ihre alte Eltern so verächtlich behandeln, wohl gar Noth leiden lassen, und mißhandeln; das hat entsezliche Folgen. Dieienigen [sic; diejenigen] welche sich dieses Verbrechens schuldig machen, können sich vest darauf verlassen, daß aller Seegen von ihnen und ihrer Familie weichen und daß es ihnen ihre Kinder reichlich vergelten werden, wie sie an ihren Eltern gehandelt haben. Man kann oft nicht begreifen, warum ganze Familien so äußerst unglücklich werden, alles ihr Arbeiten, Ringen und Streben hilft nichts, sie sind arm und bleiben arm, untersucht man die Sache genau, so wird man immer so etwas finden, das einen Fluch auf eine solche Familie gebracht hat.
 
Vgl. Johann Heinrich Jung: Bildungsfehler und Überfeinerung. Sozialer Abstieg von Familien und Staaten. Neu hrsg. und mit Anm. vers. v. Gerhard Merk. Siegen: Jung-Stilling-Gesellschaft (1992. ISBN 3-928984-04-5 (verdruckt zu -9) = Jung-Stilling-Schriften, Bd. 5.
 
Vielleicht wendet mir der Eine oder der Andere ein, daß dieser Fluch doch vielmehr darinnen zu suchen sey, daß solche Hausleute, oder Erwerber ihren Beruf nicht gehörig verstünden, nicht vorsichtig, oder auch nicht sparsam genug wären – hierauf antworte ich: bey aller Vorsicht und Sparsamkeit, und bey den besten Kenntnissen wird auch nicht Glück und Gelingen im Handel, Wandel und Gewerbe erfordert, von wem hängt aber dies ab? – Von wem anders als vom grosen Weltregenten, der dies Glück und Gelingen zu wenden kann wem Er will; und eben dieser Weltregent hat gesagt, daß Er die Missethat der Väter heimsuchen wolle an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied; dies ist nämlich so zu verstehen; Er wolle sie durch Entziehung seines irrdischen Seegens, und durch allerlery Trübsal auf die Missethat ihrer Eltern aufmerksam machen, um sie dadurch zu bewegen und zu warnen, daß sie sich dafür hüten möchten, übrigens sollen die Kinder nicht die Sünden ihrer Eltern tragen, das ist: Gott will die Kinder nicht strafen um der Missethat ihrer Eltern willen, sondern Er will sie blos darüber heimsuchen, sie belehren, und ihnen zeigen, was es heiße gegen Ihn sündigen. Eins der schrecklichsten Vergehen, welches einen solchen Fluch Gottes nach sich zieht, ist die verächtliche Behandlung der Eltern. Jehovah sagt in den zehn Geboten: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lang lebest im Lande, das dir der Herr dein Gott giebt. [Ex 20, 12] Also, wer Vater und Mutter ehrt, soll zeitliches Glück und Seegen haben; daraus folgt ganz natürlich: wer Vater oder Mutter verachtet, den soll Unglück und Fluch verfolgen. So gar heißt es an einem Ort in der Bibel: Spr. Sal. 30. v. 17. Ein Auge, das den Vater verspottet, und verachtet der Mutter zu gehorchen, das werden die Raben am Bach aushacken, und die jungen Adler fressen. Das heist: der wird so verfallen, ein solcher Bößwicht werden, daß ihm Galgen und Rad zu Theil werden wird; und sollte das auch nicht immer wörtlich in Erfüllung gehen, so ist das doch eine ausgemachte, und durch viele Erfahrungen bewährte Sache, daß ein solcher Eltern=Verächter nichts als Fluch und Unglück zu erwarten hat, und wohl ihm! wenn es ihm noch in diesem Erdenleben trift, und nicht in jenes Leben verschoben wird.
 
Ich hab in meiner Lebens=Beschreibung und auch sonst hin und wieder, eine Geschichte erzählt, die mir ewig unvergeßlich bleibt. Als ich in meinem zehnten oder eilften Jahr zu Hilgenbach [sic; Hilchenbach], im Fürstenthum Nassau=Siegen in die Schule gieng, so trug sich folgendes zu: in gedachten Flecken, lebte ein Ehepaar, das sich von einem Handwerk nährte; Mann und Frau waren fleisig, und im Grund recht gute und brave Leute. Nun hatten sie einen abgelebten Vater, und einen kleinen Knaben von etwa 4. bis 5. Jahren, diese vier Personen machten die ganze Familie aus, und alle vier speißten auch zusammen an einem Tisch.
 
Siehe dazu LG S. 85.
 
 
Heinz Rölleke: Das Exempel vom undankbaren Sohn (KHM 78/AT 980 B) in einer Fassung Moscheroschs von 1643. - In: Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung [...]. Hrsg. v. Kurt Ranke. Bd. 14, Berlin, New York: de Gruyter 1973, S. 237-242.]
  
Heinz Rölleke: [Artikel] „Großvater und Enkel“). Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begr. v. Kurt Ranke. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. v. Rolf Wilhelm Brednich zus. mit ... Berlin usw.: de Gruyter 1977 ff. Bd. 6, S.p. 252-256.
  
König, Julia /Elisabeth Leembruggen-Kallberg: Perspectives on Elder Abuse in Germany. – In: Educational Gerontology, ISSN: 1521-0472 (electronic) 0360-1277 (paper) Bd. 32, Januar 2006, S. 25-35; DOI: 10.1080/03601270500338591.
 
Hans W[alter]. Panthel: Stillings Märchen in neuem Licht. Johann Heinrich Jung-Stilling als Mythen-Schöpfer. - In: Siegener Zeitung v. Samstag, 20.07.1996, S. 27, "Unser Heimatland", Sp. 1-3 (m. 1 Porträt Jung-Stillings nach Wocher, der hier fälschlich zu "Margret Wocher" wird.)
 
Hans W[alter]. Panthel: Zu Jung-Stillings Marburger Schicksal. Ein Brief der Königin Friederike von Preußen. - In: Germanic Notes 9, 1978, H. 1/2, S. 5-7.
 
Walter Scherf: Das Märchenlexikon. Erster Band A-K. München: Beck (1995. ISBN 3-406-39911-8) S. 634-635 zu "Jorinde und Joringel", S. 19: "Die Alte im Walde" = KHM 123 erinnert mit den traumhaften Szenen an "Jorinde und Joringel". – Ebd. Bd. 2, L-Z (ebd.) S. 914: "Die Nixe im Teich" = KHM 181 erinnert mit der Schwermut ebenfalls an "Jorinde und Joringel".
 
 
Nun wurde der alte Vater immer schwächer, sein Gesicht blöder [Me: kurzsichtiger], er zitterte, konnte den Eßlöffel nicht, ohne etwas zu verschütten, zum Munde bringen, und wurde also im Essen etwas eckelhaft. Dies bewog den Sohn und die Schwiegertochter ihn von dem Tisch, an welchem er über siebenzig Jahr gespeißt, an dem er eben diesen einen einzigen Sohn ernährt, und gros gezogen hatte, zu entfernen, und ihn allein hinter dem Ofen essen zu lassen; der Alte schwieg, und – gieng hinter den Ofen; da bekam er nun sein Essen in einem irrdenen Schüsselchen. Weil er aber keinen Tisch hatte, und dies Schüsselchen auf seinen bebenden Knien halten muste, so entfiel es ihm oft, und zerbrach. Um diesen Verlust zu entgehen, wurde ihm endlich ein hölzernes Näpfchen gegeben, aus dem er nun essen sollte. Dies bemerkte der kleine vierjährige Knabe; er schliech vom Tisch weg, fieng an Brettchen zusammen zu tragen, und zusammen zu stellen; gleichsam für die lange weile fragte ihn sein Vater: Junge was machst du denn da? die Antwort des Knaben war: ich mache ein Trögelchen aus dem Ihr essen sollt, wenn ich einmal gros bin, Diese Worte waren ein Donnerschlag in den Ohren und Herzen der Eltern, und sie erkannten beyde wohl, daß der furchtbare Gesezgeber auf Sinai, nach der Nämliche sey, und durch ihr Kind gesprochen habe. Flugs stunden sie beyde auf, mit Thränen baten sie den alten Vater um Verzeihung, und behielten ihn nun gern an ihrem Tisch so lang er lebte. Auf diese Weise entgiengen sie nun dem traurigen Schicksal. in ihrem Alter aus einem hölzernen Trog essen zu müßen.
 
Diese Geschichte ist zuverläßig wahr, und sehr merkwürdig.
 
Um zu beweisen, daß das alte Sinaitische Gesetz auch noch im Neuen Testament gültig ist, von dem nämlichen Gott noch immer gehandhabt wird, und die darauf gelegte Verheißungen und Drohungen erfüllt werden, will ich noch eine Erzählung dieser Art hinzufügen.
 
Ich habe eine Familie gekannt, an die ich noch immer nicht anders als mit einem wehmüthigen Schauer gedenken kann. Zween alte Männer, welche Brüder waren, hatten ehemals ihre Mutter, theils aus Fühllosigkeit, theils aus Geiz, im eigentlichen Sinn zu Tod hungern lassen; freylich geschah das nicht so geradezu; in dem Fall würde man sie wohl bey dem Kopf genommen haben; auch hatten sie wohl die Absicht nicht, ihre Mutter ums Leben zu bringen, sondern man gab ihr so wenig, und so schlecht zu essen, daß sie endlich aus Schwäche starb; klagen mochte die alte Frau nicht, und das würde sie auch nichts geholfen haben, denn es wäre zum Proceß gekommen, und die Behandlung wäre noch schlimmer geworden. Von nun an wich aller Seegen von diesen beyden Söhnen, beyde hatten sich in einem Dorf verheurathet, beyde plagten sich mit ihren Weibern und Kindern vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, und assen Kartoffeln mit Salz, um sich durchzubringen, aber es half alles nicht, sparen, geitzen, arbeiten Tag und Nacht, alles war vergebens, beyde Brüder waren und blieben sehr arm.
 
Einer von ihnen, wo ich nicht irre, der Aelteste, war ein roher ruchloser Mann, der Ehre darinnen suchte, vermessene und Gottesvergessene Reden zu führen, und mit schmutzigen und Gotteslästerlichen Späßen die Gesellschaft zu unterhalten.
 
Lieben Leser! ich habe ihn sterben gesehen! – schrecklicher ist mir nie etwas vorgekommen, er saß in einem Lehnsessel, starrte dorthin, als wenn er die ganze Hölle offen vor sich sähe, und mit verzweiffelndem Brüllen hauchte er die Seele aus.
 
Er hinterließ eine Tochter, und eine sehr brave und rechtschaffene Frau, sie hatte einen armen einfältigen Tropf geheurathet, der aber, nachdem er einen Haufen Kinder mit ihr gezeigt [sic; gezeugt] hatte, sich hinlegte und starb, wodurch sie auch eben nichts verlohr.
 
Wie sich die arme Frau plagte, um sich und ihre Kinder durchzubringen, das ist unbeschreiblich, sie arbeitete sich zu tod, ihre Kinder geriethen an den Bettelstab, und ihr Haus und Güter in fremde Hände. Ihr einziger Bruder war genau ein solcher Gottesvergessener Mensch wie sein Vater, auch er starb schrecklich, und seine Frau und Kinder musten betteln. Dies ist die Geschichte des einen Sohn, der zu Tod gehungerten Mutter, nun auch die Geschichte des andern:
 
Dieser alte Greiß, war kein unebener, sondern im Grund ein gutmüthiger Mann, nur daß er gern prahlte und gros that. Seine Frau war auch ein gutes einfältiges Weib, aber doch eine treue, fleisige, und gute Husmutter [sic; Hausmutter]. Alle ihre Kinder – einen Sohn ausgenommen – waren recht brave, ungemein fleisige, und ich darf wohl sagen, Gottesfürchtige Leute, aber das half alles nicht, die alten Eltern arbeiteten sich tod, und kamen nie zum ordentlichen Sattessen. Der älteste Sohn hatte sich ins Haus verheurathet, und eine vortrefliche Frau bekommen, beyde plagten sich Tag und Nacht, aber sie konnten nicht weiter kommen, daß sie satt Brod gehabt hätten, mit Kartoflen mußten sie sich nachhelfen.
 
Die älteste Tochter heurathete einen geschickten Mann; allein was halfs? sie arbeitete sich tod, und ihm hab ich selbst noch, als er mir mit seinem Bettelsack begegnete, ein Allmosen gegeben; die Kinder sind in die weite Welt gerathen, wohin – das weiß ich nicht.
 
Der zweyte Sohn war ein elender Mensch, er strozte von Stolz, gieng aus Stolz weder in die Kirche, noch zum Nachtmahl, und kein Mensch konnte begreifen, worauf er sich etwas einbildete. – Kurz! er lebte und betrug sich so, daß ihm, als er starb ein ehrliches Begräbnis versagt wurde, er war nie verheurathet, hatte aber doch Kinder, und auch als einmal einen falschen Eid geschworen, Wo die zweyte Tochter hingekommen ist, das weiß ich nicht, sie war ein besonderes gutes, christliches und edles Mädchen.
 
Der älteste Sohn quälte sich indessen mit seiner Frau durch allen Jammer durch; nach und nach fieng das Haus an, ihm über den Kopf zusammen zu fallen: denn er hatte nicht so viel übrig, daß er es ordentlich repariren lassen konnte. endlich kam er auf den Einfall diese Jammerwohnung zu verlassen, und sich auf einen andern Plaz ein neues Haus zu bauen; gegen alles Vermuthen fand der Mann Credit, er brach das alte Haus ab, baute ein neues, und nun gelung ihm alles, er fand Glück und Seegen, und da wo seine Grosmutter Hunger starb, wachsen nun Dornen und Disteln. Wer sieht hier nicht die Erfüllung der göttlichen Drohung? denn wenn Jehovah auf dem Berg Sinai den Kindern, welche ihre Eltern ehren, langes Leben auf ihrem väterlichen Erbe verheist, so folgt aus dem Gegensatz, daß diejenigen, welche ihre Eltern mißhandeln, auf ihrem väterlichen Erbe keinen Segen, sondern Fluch finden sollen, und daß der Herr, auf diese Weise, die Missethat der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Doch müßen wir uns sehr hüten, daß wir nicht alsofort auf ein solches Verbrechen schliesen, wenn wir Hausleute, oder Familien im Unglück sehen – die Vorsehung hat viel weise Ursachen, warum sie Kreuz und Trübsal über die Menschen verhängt; aber wenn man weiß daß Kinder ihre Eltern mishandelt haben, und man sieht dann augenscheinlich, wie der Herr seine Drohung erfüllt, so mag man wohl, ein warnen des Beyspiel daran nehmen, und dieses dann auch als einen Beweiß der Wahrheit und Göttlichkeit der Bibel ansehen.
 
Ein junges Frauenzimmer, eine Tochter rechtschaffener Eltern, welche übrigens sehr häußlich, und von untadelhafter Tugend und Ausführung war, hatte die Unart an sich, ihre sehr fromme aber etwas einfältige Mutter verächtlich zu behandeln, sie zu Zeiten blos zu stellen, und die schuldige Ehrerbietung aus den Augen zu setzen. Was geschah? – sie heurathete, dem Ansehen nach sehr glücklich, aber sie bekam eine Schwiegermutter die sie fürchterlich quälte, viele Jahre lang mit äussersten Verachtung drückte, und so sehr sie sich auch nach Kindern sehnte, so bekam sie doch keine, und die Erinnerung konnte ihr nicht entgehen, daß sie dies harte Schicksal an ihrer Mutter verdient habe.
 
Oft kommt es auch nicht so weit, daß Kinder ihre alten Eltern würklich verachten, oder beleidigen, aber ihre Unterhaltung ist ihnen doch eine Last, eine Beschwerde; besonders ist dieses bey armen Hausleuten der Fall, denen es schwer wird sich und ihre Kinder ehrlich durchzubringen. Aber auch dieses ist sündlich – hier fehlt es am Glauben und Vertrauen auf dem Vater im Himmel.
 
Nichts ist gewisser, als daß eine liebreiche Verpflegung der alten Eltern, wenn auch nicht immer in dieser, doch gewiß in jener Welt reichlich vergolten, und aß auch oft eine solche gleichsam gezwungene Verpflegung der Eltern, geahndet wird; eine sehr arme, aber rechtschaffene Frau, die sichs nebst ihrem Mann blutsauer werden ließ, klagte oft, und sagte: Ja! wenn nur unsre gute Mutter nicht wäre, sie kann mit nichts mehr thun und sie ißt noch wie eine gesunde Person; und ich darf es ihr auch an nichts fehlen lassen, u. s. w. Endlich starb die alte Mutter, und nun freute man sich – aber man irrte sehr: denn nun wurde es den guten Leuten noch schwerer sich durchzubringen; endlich starb der Mann, seine Wittwe verheurathete eine Tochter bey sich ins Haus, und dieser gieng es so elend, daß sich die Mutter als Haushälterin bey einer andern Familie vermiethen muste, sie fand nirgends Unterkunft, besuchte bald hie, bald da, und dann starb sie. Dagegen weiß ich auch eine andere ehrwürdige Hausmutter, die ihren uralten Schwiegervater, der ganz kindisch geworden, und bettlägrig war, und wie ein Kind behandelt und gereinigt werden muste, mit vieler Mühe und Unkosten verpflegte, und doch noch um Fortdauer seines Lebens ernstlich bätete: denn sie war überzeugt, daß er ein Segensstifter für ihr Haus und Familie sey.
 
Am häufigsten findet man die Mißhandlung der alten Eltern, unter den Bauersleuten, und zwar in dem Fall, wenn die Eltern so thöricht sind und ihren bey sich verheuratheten Kindern, Haus und Güter übergeben, und sich dann einen gewissen Unterhalt ausbedingen; da folgt ein Fluch und ein Unsegen auf den andern; gemeiniglich haben auch die Alten ihre Eltern ehemals gemißhandelt und zur Vergeltung geht es ihnen nun eben so; und die Kinder kaufen sich dann dadurch ebenfalls wieder einen Schweinstrog, aus dem sie im Alter essen müßen. Nach und nach gehen solche Familien zu Grunde, und sie sind in Zeit und Ewigkeit unglücklich. Hieher gehört die bekannte Geschichte: Ein Sohn schleppte seinen alten Vater an den Haaren gegen die Hausthür zu, um ihn hinaus zu werfen; der Alte litte das ohne ein Wort zu sagen, aber als er an die Thürschwelle kam, so fieng er an: jezt hör auf, ich hab meinen Vater auch nicht weiter an den Haaren geschleppt. Der Sohn ließ sich das sagen, und ließ den Vater loß: vermuthlich deswegen, damit er dereinst auch nicht weiter geschleppt werden möchte. O des grundlosen Verderbens! – Die Prediger auf dem Lande, müßen besonders auf diese schreckliche Sünde aufmerksam seyn, und sie sowohl auf der Kanzel, als in häußlichen Unterredungen ernstlich rügen; besonders soll das auch eine Hauptmaterie in den Katechisationen seyn, um die Kinder mit der ganzen Abscheulichkeit dieses Verbrechens bekannt zu machen.
 
Nun will ich euch aber auch, meine lieben Leser! Geschichte von solchen Kindern erzählen, welche wahre Liebe und Treue an ihren Eltern bewiesen haben; jeder suche sie, je nach seiner Lage, nachzuahmen.
 
 
So viel ist wahr, wer seine Eltern vernachläßigt, oder gar verachtet, der kann unmöglich ein Christ seyn, aber auch schon in der menschlichen Natur ist die Pflicht, den Eltern alle nur mögliche Liebe und Hochachtung zu erzeigen, gegründet: wer sie versäumt, ist nicht allein kein Christ, sondern nicht einmal ein Mensch, er sinkt zur Classe der wilden Thiere herab. Daher findet man schon unter den Heyden, die von Christo und seiner Religion nichts wissen, musterhafte Beyspiele der kindlichen Liebe: