Jung-Stilling in Bad Kreuznach, in Bingen und am Rhein
Einleitung
Bereits im Mai 1771 fuhr Johann Heinrich Jung an Bingen vorbei, ohne zu ahnen, welche weiteren Abenteuer er hier später mit seiner frisch angetrauten Gattin erleben sollte. (Lebensgeschichte, Hrsg. Benrath, S. 275 ff. und S. 422 f.)
Aus den Besuchen der Gärten entstanden die folgenden Texte, die einen Einblick in die Erzählkunst Jung-Stillings geben und zugleich einen Eindruck der damaligen Gartenbaukunst vermitteln. Nicht abgedruckt ist hier der Text aus dem "Häuslichen Leben" S. 407-410 (hrsg. Benrath). Er findet sich auch bei
Hilde Fieguth (Hrsg.): Bäume pflanzen wie die Wolken. Gartenidyllen der Goethezeit. (München:) Nymphenburger (1986. – ISBN 3-485-00518-5.), S. 124-127 (bei falscher Angabe S. 124: nicht 1777 sondern 1789 muss es heißen; S. 341 ist es richtig aber verwirrend angegeben).
Graf Johann Friedrich Karl Maximilian Amor Maria von Ostein (geb. St. Petersburg 12. April 1735, gest. Aschaffenburg 21. April 1809, begr. in Geisenheim) legte 1764 bis 1790 den Bergpark auf dem Niederwald an.
Über Herrn Schmerz haben wir noch keine näheren Informationen, ausser:
Gerhard Heinrich Schmertz geb. Hamm (Westf.) 13.05.1742, ehel. Kreuznach 29.04.1765 Maria Elisabeth Achenbach, befreundet mit Schwan in Mannheim; er wird genannt bei
Christian Cajus Laurenz Hirschfeld (1742-1792): Theorie der Gartenkunst, franz. und deutsch Bd. 1-5, Leipzig 1777/79-1782/85, in Bd. 3 und 5. (Siehe BDL, 3-598-51231-7; franz.: Genf/Genève: Minkoff Reprint, ISBN: 2-8266-0196-2. – In Ausz. vorgestellt, hrsg. und mit einem Nachw. vers. von Franz Ehmke, 1. Aufl., Berlin: Union-Verl. 1990. ISBN 3-372-00239-3; 3-372-00316-0. - Mit einem Vorwort von Hans Poramitti, 5 Bde. in 2 Bdn., Hildesheim: Olms 1973.)
Vgl. auch unter diesem URL mit einem kleinen Auszug (in englischer Sprache) aus diesen Texten.
Siehe detailliert:
Andrea Fink: Der Schmerzsche Garten in Kreuznach. Ein bürgerlicher Landschaftsgarten im 18. Jahrhundert. – In: Die Gartenkunst, 8, (Worms: Werner) 1996, H. 2, S. 213-220.
"Garten des Herrn Schmerz, / Handelsmannes in Kreuznach"
"Rheinische Beiträge / zur / Gelehrsamkeit. / 11tes Heft. Den 1. Windmonat 1781."
S. 337-339 unten der "Vorbericht.", unterz. "d. H.", dem dann die ausführliche Beschreibung des Gartens erfolgt.
"I. Garten des Herrn Schmerz, / Handelsmannes in Kreuznach. / -".
"I. Garten des Herrn Schmerz,
Handelsmannes in Kreuznach.
-
Vorbericht.
Als ich diesen Sommer durch Kreuznach kam, wollte ich den Garten des Hrn. Schmerz daselbst, von dem ich schon vieles gehört hatte, in Augenschein nehmen. Unglücklicher Weise war der Besizer desselben nicht einheimisch, ich konnte ihn also nur flüchtig; und weil der Gärtner nicht die Schlüssel hatte, dessen kleine Gebäude gar nicht besehen. So flüchtig und unvollkommen übrigens diese Uebersicht gewesen: so war ich doch von den mancherlei Schönheiten desselben so gerührt, daß ich eine Beschreibung davon wünschte, um solche dem Publikum mitzutheilen; und wandte mich deswegen an einen Freund, der mir die hier folgende übersandte. Ganz kann ich nicht mit derselben zufrieden sein, da sie so kalt, so flüchtig geschrieben ist, daß man glauben sollte, der Verfasser habe eine Antiquität, und nicht einen empfindsamen Garten beschreiben wollen. / Rh. Beitr. 11. Heft 1781 P Was [S. 338:]
Was mir am meisten an diesem Garten behagt, ist der erfinderische Geist des Besizers, die natürliche Lage hiezu so glücklich aufgefunden, und so vortrefflich benuzt zu haben. Denn mir ist es wenigstens ein sehr kindisches Schauspiel, wenn ich dergleichen Anlagen auf einem Kartenblate sehe, zu welchen man Berg und Thal mit Fleis aufgethürmet und vertiefet hat. Alles dieses ist hier nicht; indem der Besizer dieses Gartens die Ruinen des ehemaligen Walles und Stadtgrabens, mit all den durch die Länge der Zeiten darin entstandenen Veränderungen so benuzet hat, daß die mancherlei Berge und Thäler des Gartens gar nicht gesucht da liegen, sondern von der Mutter Natur erschaffen zu sein scheinen.; die also nur einen empfindsamen Erdensohn erwartet, der sie aufzufinden gewust, und Gefühl genug gehabt hat, daselbst die stillen Schönheiten der Natur in philosophischer Ruhe zu geniesen.
Das einzige, was man hier ausezen könnte, ist vielleicht dieses, daß die Parthien zu gehäuft, folglich die Anlagen zu gesucht scheinen. Dieser Einwurf wäre allerdings gegründet, wenn der Besizer dieses Gartens ein groser Fürst wäre, der eben so viele Morgen dazu hätte verwenden können, als der Garten nun vielleicht Ruthen im innern Gehalte hält. Aber so ist der Besizer desselben ein würdiger bürgerlicher Einwohner der Stadt Kreuznach, der zwar Gefühl, Einbildungskraft und Geschmack [S. 339:] genug hatten die Lage, die sich ihm von freien Stücken darboth, mit dichterischem Geiste zu benuzen, aber zu richtig dachte, um sich dadurch zu ruiniren. Zudem hat der Besizer die wirkliche Anlage nur benuzet, nicht erschaffen, folglich lag in dieser schon alles das Mannichfaltige, wodurch man nun alle Augenblicke überrascht wird. Vorzüglich hat mich das Pappelwäldchen gerührt, welches der Besizer am Ende des Gartens in einer Vertiefung angebracht, da es bei der grösten Sonnenhize den allerangenehmsten Schatten gewähret, und ganz dazu erschaffen zu sein scheinet, den gefühlvollen Menschenfreund in eine angenehme Melancholei zu versenken. Nur haben mir die zu häufige angebrachten Sentenzen ein wenig zu gesucht geschienen, die einen alle Augenblicke in dieser freiwillig entstandenen melancholischen Bezauberung stören, und das Gefühl unterbrechen. Wer ohne diese künstliche Aufforderungen nicht fühlen kann, den werden diese moralische Aufforderungen gewiß nicht fühlbar machen. Und was Natur nicht hervor zu bringen weis, das werden Künsteleien nicht erzeugen. - Auch die dem Andenken seines Freundes gewidmete Urne würde ohne diesen Flitterstat noch von viel mächtigerer Wirkung sein. Ich hoffe, der verdienstvolle Besizer wird mir diese kleine Anmerkung verzeihen.
d. H.
-
Sie verlangen eine Beschreibung von dem Garten, den ich zu Kreuznach gesehen. [S. 340:]
Beinah ist es mir unmöglich, Ihnen solche richtig zu geben; denn der Garten besteht aus einem Theile des alten ganz unregelmäßigen Stadtgrabens, der mit einem Berge, etlichen Hügeln, tiefen Gräben, ebenem Felde, Felsen und steilen Höhen durchschnitten ist.
Inzwischen will ich einmal versuchen, ob ich Ihnen eine Darstellung davon machen kann.
Ein regelloser Weg führt vom Gartenthore bis zur ersten Anhöhe, die ohngefähr 100 Schritte beträgt, und zur Linken mit der Stadtmauer, zur Rechten aber mit einer hohen Hecke, tiefer mit einem Obstgarten, und endlich im Thale mit einem Weidenwäldchen eingeschlossen ist. Erst bei den lezten Schritten übersieht an links die erste Terrasse, die mit etwa 30 pyramidförmigen Obstbäumen besezt ist, in deren Mitte nach Süden ein kleines ganz einfaches Eremitenhaus steht, das die Ueberschrift führt:
'Was muß man, o Sterblicher! Sterblicher man muß leiden, sich im Stillen unterwerfen, anbeten und sterben.'
Aus demselben hat man eine sehr angenehme Aussicht auf diese und die zwote Terrasse, die nebst der dritten, gleich einem Amphitheater, die weitere Aussicht verschliesen. Etliche Schritte, von disem Hause komt man durch eine runde Vertiefung, die mit Rosen und Pfirsichbäumen umzäunt ist, vermittelst / eini= [S. 341:] einiger Treppen zur zweiten Terrasse hinauf, auf der hochstämmige Obstbäume und ein 60 Schritte langer bedeckter Traubengang sind, welcher leztere von West nach Osten angepflanzt ist. Am Schlusse dieses bedeckten Weges nach Westen hat man eine perspektivische freie Aussicht in einer der herrlichsten Landschaften, auf der man beständig Menschen, Heerden und Frachtwägen erblicket. Vermittelst einer zweiten Treppe steigt man zur drittern Höhe hinauf; diese ist mit einem kleinen Labyrinthe und zwei aufgeworfenen Hügeln besezt, von denen man die ganze Stadt, den sehr nächst gelegenen Fluß Nahe, das zerstörte Schloß Kauzenberg, die kurfürstlichen Salzwerke, die fürchterlichen Felsen des Rheingravensteines, alle umliegenden Gärten, eine unabbsehlige Menge von Weinbergen, Bäumen und Aeckern, Wiesen, Wäldern, Mühlen, Dörfern und einen Theil des Rheingaues mit einem Blicke übersieht. Und dennoch bleibt der nord= und westliche Theil des Gartens dem forschenden Auge verborgen, und erst aus einer angebrachten Laube, die zur Musik bestimt ist, erblickt m an einen tiefen Abgrund und ein im Felsen ausgehauenes Zimmer nach Norden. In diser Laube stehen die hagedornischen Verse:
Erkenn die im Bildem, von dieser Flur
Sei stets wie dies Gefilde, schön durch Natur.
Erwünschter als der Morgen, bald wie sein Stral,
So frei von Stolz und Sorgen, wie dieses Thal. [S. 342:]
Nun geht der Weg bis zur ersten Terrasse zurück. Zwo enge, ganz mit Kirschsträuchern bedeckten Pfäde führen zur Quelle ins Thal, an der folgende Worte angebracht sind:
Immer rinnet diese Quelle,
Niemals plaudert ihre Welle;
Komm Wandrer hier zu ruhn.
Komm, lern an dieser Quelle
Stillschweigend Gutes thun.
Die rauhen Felsenwände dieses Thals nach Norden sind zum Theile mit Weinreben bedeckt; der ganze Abhang des Berges aber nach Süden, auf dem sich die drei Terrassen befinden, ist mit vielen Obstbäumchen bepflanzt. Nach 50 zurück gelegten Schritten tritt man in oberwehntes kühles Felsenzimmer, das mit empfindsamen Geschichten, wie die von Yorik und Lorenzo, ausgemahlet ist. Wenn hier die Sele des Wanderers zur Empfindung gestimt ist, dann wallt man einen irregulären Pfad nach dem westlichen Theile des Gartens, dieser ist mit tausend italienischen Pappeln und Gesträuchen besezet. Eine kleine dunkele mit Jasmin und Rosen verwachsene Laube, ist das erste, was man versteckt erblickt. Sie enthält einen Grabhügel mit folgender Inschrift:
'Still sei alles um mich her, wie vor einem nahen Gewitter, denn ich will mich mit dem Tode unterhalten.'
In einer Entfernung zur Rechten wird man durch [S. 343:] eine Hütte überrascht, unter deren Dache in groses Faß liegt, das auserhalb folgende Inschrift hat:
'Diogenes von Synope war nicht klug! war er aber darum unglücklicher, weil er die Ehre eures Beifalls entbehren muß? Er, der sie nie zu seinem Wohlbefinden nöthig hatte! Er hatte seine eigene Art zu sehen, und das ist doch immer das ärgste, was ihr von ihm sagen könt. Unterdessen, habt ihr die Eurige nicht auch? Und sein Faß ist ein albernes Ding, das uns nicht gefällt. = = Sein Faß gefiel ihm, und - wenn es euch nicht zuwider ist - auch mir. Das ist alles, was ich = = zu glauben bitte.'
Innwendig aber stehen die Worte:
'Jeder kleine Raum, der für einen ehrlichen Mann gros genug ist - ist gut! Und was bedarf er nun mehr? Was kümmert mich Hoffnung? Ich habe nichts mit ihr zu schaffen. Wozu mir dieser Trost der Schwachen, und die Puppe des Thoren; Hoffnung? Denn jede Sprosse der ungeheuren Leiter, auf welcher wir zum Glücke hinan steigen, ist - wurmstichig. Gehab dich wohl, die groses - Spiel der Erde! Du bist der närrische Traum eines Augenblickes, den ich nicht träumen mag! Ich werde einst doch das Kästchen finden, in welchem ich einsam und ungerüttelt in Staub zerfallen werde! Und kennte ich den Baum, aus welchem es geschnit= / Y 4 ten [S. 344:] ten werden wird, ich wollte ihn für akken Bäumen lieben, und jeden Wanderer einladen, unter seinen Schatten seine Last niederzulegen und auszuruhen! - Ich erwarte nichts, ich fürchte nichts, ich besorge nichts von meinen Zeitgenossen, und auch nichts vom - Schicksale. Mag's sein, daß ich mehr bedarf, als Buffbohnen, einen Mantel und ein Faß! Wenn nur kein niedriges Verlangen mein Herz vergiftet; so seh ich nicht, was meinen Frieden, und den Frieden meiner Brüder stören könnte.'
'Schäze austheilen, und Thränen abtrocknen, ist zweierlei; und das Leztere ist das Vorrecht des guten und rechtschaffenen Mannes.'
'Ich kann nicht zahllose Heere - in meinem Fasse bergen! - Wohl mir! aber meine Tonne ist gros genug, drei oder vier gute Menschen zu beschatten, die mich lieben, weil ich sie liebe. - Jeder Lieblingsgedanke an - bringt mich dem bessern Lande näher. Eine Thräne dann, meinem Andenken, ihr Wenigen, die ihr dies Herz kennt, das, mit allen seine Schwachheiten ewig an das eurige gebunden ist.'
Nicht weit davon steht ein vom Sturme zerbrochener dicker Baum, der verdörret, ausgehölet, und nun dem müden Wanderer zur Ruhe dienet.
In der Mitte eines geraden und etwas breiten Weges, der tiefer ins Wäldchen führt, stehen zwei Mosbänke mit der Inschrift: [S. 345:]
Durchforschet Sterbliche des Lebens kurzen Raum!
Was kommen soll, ist Nacht, was hin ist, ist ein Traum!
Der gegenwärt'ge Punkt ist allzu kurz zur Freude,
Und doch, so kurz er ist, nur allzu lang zum Leide.
Der Schluß dieses Weges macht ein hingeworfener eichener Kloz, mit den Worten:
Zeit, die der Mensch wild von sich gestosen, wünschet er zurück.
Jahre verwirft der Verschwender, und ist ins Leben verliebt.
Heiset es lang, schilt es kurz, und fürchtet und wünschet zu sterben.
Links steht ein Moshäuschen mit einem Tische von Rinden, auf dessen Ruhebank die Aufschrift steht:
'Dein Leben, Mensch! ist eine Reise.
Der Weg verführt - geh, hoff, sei weise.
Ein halb gezirkelter Weg führt eine Urne im dicken Gesträuche mit folgender Inschrift:
'Schlumre sanft, du edle fromme Sele, bis auf ewig dieser Schlummer flieht! Bis dich einst --- o! wär' es bald – mein Auge im Gewande der Vollendung sieht.'
Dem Herrn Daniel Achenbach gewidmet.
Rechts gegen eben erwehntem Moshäuschen über ist ein anderes von verschiedener Gestalt, auf dessen Ruheplaz steht:
Du suchest Ruh. Doch, findest du sie nicht in dir,
So suchst du sie vergebens hier.
Nun geht ein Weg bergauf nach Süden. Ganz unerwartet, so wie alle Gegenstände, erblickt man hier / Y 5 ein [S. 346:] ein mit Rinden und Stroh bedecktes Badhaus, das inwendig mit kleinen Seemuscheln an der Decke und Nebenwänden artig ausgezieret ist.
Von hier geht ein nördlicher Pfad nach dem im vorigen Herbste erst angelegten englischen Garten, der sich oberhalb den Felsen des Felsenzimers von Norden nach Süden um den halben Garten zieht. Gleich auf der Höhe, linker Hand, ist ein im Boden ausgegrabenes und mit mannichfaltigem Gebüsche umseztes, aber nicht zu sehendes Lusthaus angebracht. Ein zwoter geschlängelter Weg führet nach einem leren Plaze, auf dem ein kleiner Tempel für den Schuzgott der pfälzischen Muse zu stehen kommen soll; von hier hat man die Aussicht auf das diogenesische Faß und die Urne. In einer schicklichen Entfernung steht ein mit Jasmin umlaubtes Frühlings= sodann ein mit wilden Reben bewachsenes Sommerhaus. Dann folgen am Anhange des Felsens einige Ruhebänke; ein Tanzplaz; ein mit Trauben bedecktes Herbst= und mit Epheu bezogenes Winterhaus; den Schluß desselben macht ein Zwerg= oder Kinderhaus, und aus dieser leztbeschriebenen Anlage siehet man nur den untersten Theil des Gartens. Nun zieht sich der Weg nach dem Weidenwalde, den man beim Eingange des Gartens zur Linken läst. Dieser ist zur Menagerie bestimt."
"Stilling und Selma in den Schmerzischen und Osteinischen Gärten"
"Pfalzbaierische[n] Beiträge[n] / zur / Gelehrsamkeit. / 8tes Heft. Den 1. Erndemont [= August] 1782."
S. 186-192:
"X. Stilling und Selma in den Schmerzischen und Osteinischen Gärten". (Fortsetzung im September-Heft.)
Im Jahr 2004 förderte das Land Hessen den Ostein’schen Landschaftspark und sogte für die Instandsetzung der ‚Zauberhöhle mit Rotunde’. Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland, Wiesbaden. Rhein-Taunus, Freitag, 25. Juni 2004, S. 64.
"X. Stilling und Selma in den Schmerzischen / und Osteinischen Gärten.
Was ist Schönheit? - Was unsere Sinnen vergnügt, vorzüglich das, was unsern Augen gefällt. Das höchste Ideal der Schönheit, versammelt in einem Gegenstand, ist nicht unsrer Welt; vielleicht in einer andern, vielleicht da, wo dereinst vortrefliche Menschen die Belohnung edler Thaten geniesen sollen. Indessen ist doch wohl alles, was sinnlich=schön ist, auf unserm Erdballe zerstreuet.
In der Seele des Menschen liegt eine Fähigkeit, aus dem Anschauen des Schönen Vergnügen zu schöpfen; diese Fähigkeit ist ein unbekanntes Etwas, ein qeion ti, ein göttliches Etwas, ein Funke der Gottheit. Allein auch der schönste Gegenstand ver= / liert [S. 187:] liert seine Reize durch die Gewohnheit; neue Schönheiten, immer was Neues, sucht der unsterbliche Geist; ihm ist eine unendliche Weite voller verschiedener Schönheiten nothwendig, wenn er vollkommen vergnügt seyn soll; er muß immer und ewig suchen und finden können.
Diesen sonderbaren und höchstmerkwürdigen Karakterzug des räthselhaften Menschen mußte ich erst aussuchen und hinstellen, eh ich weiter gehen konnte; er ist eigentlich die grose Triebfeder der menschlichen Handlungen. Alle Gattungen des Prachtes und der Ueppigkeit, und eben so alle schöne Künste und Wissenschaften sind Kinder dieser Vatters; durch ihn wird jeder Schönkünstler belebt.
Der Maler reiset durch die Welt, um Gegenden zu finden, wo die Natur ihre schönsten Schaupläze unerwarteter Schönheiten angelegt hat; er copirt sie, entwirft sie auf Leinwand oder aufs Papier, und ahmt die Natur nach, mit Licht und Schatten, und mit natürlichen Farben. Der Landschaftsmaler gewähret uns doppelt Vergnügen, das erste verhält sich wie die Uebereinstimmung des Gemähldes mit der Natur, und das zweite wie die Vorstellung, die sich unsere Seele von dem Grade der Kunst macht, zu welchem der Künstler aufgestiegen ist.
Entwirft der Maler mit dem Pinsel auf ein klei= / nes [S. 188:] nes planes Stück Tuch ein schwaches Nachbild der Natur, so stellt uns der Gartenkünstler die Gegenstände selbst dar; er zeichnet mit Grabscheid, Schaufel, Hacke und Karst, und malt mit Berg und Thal, Quell und Felsen, Rasen und Blumen, Bäumen und Sträuchern, er malt mit der Natur selbst.
Der Maler malt was er will, der Gartenkünstler aber nur was er kann. O wer Lezteres ins Erste verwandeln könnte, was wäre da zu machen? Indessen bleibt doch immer ein naturgetreuer Gartenkünstler, der die Schönheiten wohl zu wählen, und wohl zu ordnen weiß, einer der ersten Schönheitsschöpfer; er schöpft in seine bestimmten Gränzen immer neue Reize, deren Plan er der Natur anderwärts abborgt, und sie so gut ausführt, als es ihm seine Lage erlaubt. Das größte Geheimnis des Schöngärtners bestehet also darin, daß er erst die schicklichste Lage wähle, so gut er sie bekommen kann, und dann, daß er jedes Hügelgen, jedes Thälgen, jeden Baum, jeden Strauch, jede Quelle, jedes grose und jedes kleine Felsenstück, kurz alles so zu brauchen wisse, daß es Grundlage, Skelet zu einer individuellen Schönheit werde. Gros und weitläuftig ist also das Studium eines solchen Mannes; er durchreißt die wildesten Wüsteneien, und merkt der Natur die schönsten Stellungen ihrer Gegenstände ab; bald findet er das starke schauderhaft / Schö= [S. 189:] Schöne, bald das thränenreiche Melancholische, dann das erhabene Melancholische, dann das üppig Schwelgende, dann das reiche Paradiesische u. s. w. Alles bringt er auf seinen Plaz an, so gut es ihm möglich ist; er ordnet dann alles einzelne zusammen in ein schönes Ganze, in Miniatur=Gemählde der Natur. Er hat, wie jeder Schönkünstler, den Zweck Vergnügen zu schaffen, zufolge oben angeführtem Grundtriebe des menschlichen Geistes, muß das, was vergnügen soll, so mannigfaltig als möglich, so treu der Natur nachgeahmt als möglich, und so künstlich seyn, als möglich ist, dies alles sind Regeln für den Schöngärtner.
Doch ich vertiefe mich in eine Wissenschaft, die noch heut zu Tage in der Wiegen liegt, wovon wir alle wenig, und ich vielleicht am allerwenigsten weiß. Hirschfelds Werk von der schönen Gartenkunst kenne ich und habs gelesen,
Christian Cajus Laurenz Hirschfeld, der Apostel der Gartenkunst in Deutschland, geb. Rüchel bei Eutin 16. Februar 1742, gest. 20. Februar 1792; 1775 kleine "Theorie der Gartenkunst"; 1777-82 in 5 Bdn. auf dt. und franz.: "Theorie der Gartenkunst"; 1773 "Anmerkungen über Landhäuser und Gartenkunst". - Neudruck Hildesheim: Olms 1973, ISBN 3-487-04669-5; erneut 1985, ISBN 3-487-04668-7; 5 in 2 Bdn., Register in Bd. 5.
es kommt mir in seinem Fache vor, wie Lavaters physiognomische Fragmente in dem ihrigen; lauter Ahndungen auf die Zukunft, Symptomen der schwangeren Wahrheit zu künftigen grosen Geburten. Ich hatte hier nur den Zweck, Lesern, die vielleicht noch nicht so viel von dieser neuen Wissenschaft wissen, das zu sagen, was sie, folgendes zu empfinden, nöthig haben, oder auch, um meinem kleinen Gebäude ein kunstmäßig scheinendes Portal und Oberfläche zu geben. / Vie= [S. 190:]
Viele haben schon den berühmten Schmerzischen Garten zu Creuznach gesehen, und viele den Osteinischen zu Niederwald; keiner aber vielleicht mit meinen Augen, und in meiner Seelenlage. Als ich beide Gärten so kurz aufeinander sahe, da wars mir als einem Soldaten, der einen schrecklichen Feldzug glücklich überstanden, Kummer und Gefahren erduldet hat, und nun im Schose seiner Familie mit Lorbeer gekrönet, geliebkoset, gesegnet und erquickt wird; noch mehr! ich hatte eine liebenswürdige Braut, eine Selma an meiner Seite, und der Empfindsame weiß, daß einem der Glanz der Braut auch die gewöhnlichsten Gegenstände der Natur vergöldet, in welchem Lichte mußte ich jene Gärten sehen? Doch ich will erzälen.
Gegen Ende des verwichenen Heumonats reiste ich auf etliche Tage nach Creuznach, um meine jezige Gattin, als Braut bei ihrer Tante zu besuchen. Herr Schmerz, welcher nahe bei der Tante wohnet, und mich blos aus meinen Schriften kannte, bezeigte Verlangen, mich persönlich zu kennen, und ich war schon längst sehr begierig, ihn, als den Besizer, und noch mehr, als den Künstler eines so berühmten Gartens zu sehen; ich eilte also bald zu ihm, und fand an ihm den edlen empfindsamen Mann, der sonst so selten unter Menschen seines Standes angetroffen wird: wir kannten uns bei der / er= [S. 191:] ersten Zusammenkunft, und jetzt erwartete ich schon in dem Anblicke seines Gartens, überraschende und wahre Vergnügen.
Den 27. des Nachmittags, war ich mit meiner Braut zu Besuche und Abendessen bei einem würdigen Offiziere, wo uns Herr Schmerz beim Anfange der Abenddämmerung abholte. Wir giengen zum Binger Thore hinaus, welches an der Nordseite der Stadt ist; alsbald vor dem Thore ist linker Hand ein Gehänge, und in demselben eine Thüre, durch welche man in den Garten geht. Dieser bestehet aus einem Thale, welches sich von Westen gegen Süden in einem Zirkelbogen herum lenkt, einen Theil des alten Stadtgrabens ausmacht, der aber hier ziemlich tief und breit, und etliche hundert Schritte lang ist. Südwärts um die Stadtmauer ist ein steiler Berg, um dessen Fuse das Thal herum liegt; und die Nordseite stellt ein Felsengebirge vor, welches sich um das Thal krumm herum zieht. Der südliche Berg ist hoch, und die Ebene auf der Höhe sowohl als die ganze Fläche der nördlichen Höhe gehören noch zum Garten. Gegen Morgen wird er also von der Landstrase nach Bingen und dem Hundsrück, gegen Norden von dem Gefilde, gegen Abend ebenfalls durch ein Gehäge, gegen Mittag aber durch die Stadtmauer von der Stadt abgesondert. / Wir [S. 192:]
Wir traten also durch das Thor hinein: alsofort wurde ich durch den Anblick überrascht, ich befand mich mit dem ersten Schritte auf einem Fuspfade im Gebüsche, linker Hand hatte ich den südlichen Berg, dessen ganze nördliche Seite voller Bäume und Gesträuche, theils von einheimischen., theils von fremden Arten, steht, unter dem Schatten derselben wandelt man den Fussteig nordwestlich abwärts; rechter Hand stehen ebenfalls langs dem Wege hin, und tiefer im Thale allerhand angenehme Sträucher, Stauden und Gewächse, gleichsam wild und ungeordnet durcheinander; doch fällt einem hin und wieder ein als verloren angebrachtes Gartenbeet in die Augen.
Die erste Empfindung, die sich der Seele mit Gewalt bemächtigt, wenn man in den Garten tritt, ist ein beruhigendes Gefühl der Genügsamkeit, da mögte man wohnen, und mit der ganzen Welt die Rechnung schliesen, ein so vertrauliches Thälgen voller Reize der ungekünstelten Natur, in welches man so hinabwallt, scheinet einem zuzulispeln:
'Komm Freund der stillen Freuden, walle herab in den Schoos der heiligen Natur, hier bist du sicher vor Neid und Sorgen, wenn du sie nicht mitbringst - sammle dich - stille alle Wogen deines Geistes, so wird sich der reine Glanz der Wahrheit und Weisheit in ihm spiegeln, und du wirst gestärkt und zufrieden wieder heraus gehen.
(Die Fortsezung folgt.)"
"Fortsezung von Stilling und Selma in den Schmerzischen und Osteinischen Gärten"
"Pfalzbaierische[n] Beiträge[n] / zur / Gelehrsamkeit. / - / 9tes Heft. Den 1. Herbstmonat 1782."
S. 228-248:
"III. Fortsezung von Stilling und Selma in / den Schmerzischen und Osteinischen / Gärten."
"III. Fortsezung von Stilling und Selma in den Schmerzischen und Osteinischen Gärten.
Nach einer Weile lenkt sich der Fussteig rechts um mitten ins Thal. Hier trift man nun linker Hand einen Pump= oder Ziehbrunnen nebst kleinen Gartenbeeten, Gebüschen, und Lauben an. Wenn die Sonne nun über den südlichen Berg herscheint und man nordwärts von der getreuen Felsenwand umschlossen ist, so fühlt man sich gesichert und unbemerkt im lieblichsten Sonnenglanz zwischen den Gebüschen, man möchte aus dem Brunnen trinken, Blumen pflücken, hinsizen in die Laube; / und [S. 229:] und - und allen Menschen verzeihen, alle Menschenlieben. Hier an dem Brunnen steht nun die Inschrift von dem nie genug gekannten und zu früh gestorbenen Superintendenten Göz:
Immer rinnet diese Quelle,
Niemals plaudert ihre Welle,
Komm Wandrer hier zu ruhn;
Komm lern an dieser Quelle
Stillschweigend Gutes thun.
Etwas weiter fort, und nun nordwärts hinauf an die Felsenwand; da trift man eine Thür an, man öfnet sie, und findet in dem Felsen ein räumliches schönes ausgeweistes Zimmer, dessen Wände mit lauter empfindsamen Geschichten bemahlt, und darunter mit passenden Sinnsprüchen beschrieben sind. Die zwo gegenüberstehenden Wände haben bequeme Sofa's, sonst finden sich da ein paar Stühle, dessen mit der Trompete nicht zu vergessen, und ein Tischgen; hier ists kühl, vertraulich, die ächte Wohnung für einen Mann, der aus Ueberladung des Magens und der Sinne, gern einmal ein Stündgen allein und kühl auf einem Sofa sizen, oder schlafen möchte. Freilich wird er die empfindsamen Gemälde an der Wand nicht sehen, die sind aber auch nur für den Herrn Schmerz und seines Gleichen da, denen das hohe Organ nicht versagt ist. Auch Damen die von dem Thor bis dahin schon müde / P 3 sind, [S. 230:] sind, denen es zu ärmlich beim Brunnen aussieht, Und die bisher noch nichts empfanden, die gehen nicht weiter als ins Felsenzimmer, trinken Limonade oder Caffee mit Biskuit, machen sich dann etwas weiter Motion, kehren wieder zum Felsenzimmer zurück, und gehn dann wieder nach Haus, vorm Thor sagen sie, und fächern:
C'est un beau Jardin ma foi!
Aber auch dem Mann, dessen Seele aus reinerem Aether eingehaucht ist, ist in diesem Kämmergen wohl. Hier gränzt der herrliche Schmerzische Garten an die Kunst, man steht zwischen der ehrwürdigen Mutter Natur und ihrer Magd, und geniest beide. Dieses vertrauliche Gemach ist nothwendig zum Ganzen; zurückgeführt an die Gränzen der Bürgerlichen Baukunst, überraschen einen nun die folgenden Scenen desto mächtiger, man geht heraus und wendet sich nun westwärts durch krumme Wege zwischen Gartenbeeten, Gesträuchen und Gewächse hin und her, und hin kommt man an den bezaubernden Pappelwald; mit ihm erhebt sich das Thal südwestlich allmählich bis an die Stadtmauer; vorn im Wald, wenn man vom Felsenzimmer kommt, da sieht man links hin am südlichen Berg eine einsiedlerische melancholische Laube mit einem Grabhügel und der Inschrift / "Stille [S. 231:]
"Stille sei alles um mich her, wie vor ei=
"nem nahen Gewitter, denn ich will mich
"mit dem Tod unterhalten!!!
Wie's mir hier war! - das Hüttgen, das Grabmal in dem lichtdunkeln Wald - an der Nordseite des Berges - im Schatten, gegen über Wald - halbgesehen Diogenes Faß - das alle menschliche Befriedigungsmittel in sich schliesen konnte - weiter hin den nördlichen Felsenberg, auf welchem die Sonnenstrahlen zurückprallten - an meiner Seite Selma - eine hofnungsvolle schöne Zukunft - zu meinen Füsen ein Grabmal - Christinens Grabmal - dereinst auch Selma's - Weg schrecklicher Gedanke! Nein komm wieder wie ein nahes Gewitter, mit dem Tod will ich mich auch vertraulich machen . wie mit dem meinigen, denn beide Tode sind - mir - ein Tod.
Von hier schlendert man zu einer Hütte, zu welcher nordwärts ein Pfad führt, unter dieser Hütte liegt ein Faß, vorne mit einer Thür, man öfnet sie und findet ein stilles vertrauliches Kämmergen, mit Sprüchen beschrieben, die hieher passen. Da möcht ich mich nach frohen Scherzen, n ach tausend mislungenen grosen Planen hinsezen - und schämen, und bedenken, daß es einmal einen - einen Thoren - nein einen Weisen gab, dem ein solches Haus gut und gros genug war. / P 4 Jetzt [S. 232:]
Jetzt nordwestlich ein enges steiles Pfädchen hinan. - Nun was ist denn? da vor mir steht ein tausendjähriger dicker eichener Knorre weit und breit in die Erde gewurzelt, denn er ist da gewachsen, oben ein paar spockrigte geschälte dürre Aeste, unten aber noch überall starke eichene Borke voller Borsten. Schon sein Stand und Verhältniß mit Diogenes Faß, der ganze wilde Flußsteig zu ihm, und um ihn das Leere, giebt schon die gehörige Empfindung, es ist wahre Natur [.] Aber wie benuzte diesen Gegenstand der geschmackvolle Herr Schmerz? Warlich! als ein meisterhafter Schüler der wahren Natur! -- rathet Leser - oder sagt, was würdet ihr mit dem Baum gemacht haben? - jetzt seht wie ihn Schmerz benuzte: Er selbst gieng vor mir und Selma her, und führte uns zu dem Baum; ein Schlüssel schloß eine Thür auf, Schmerz öfnete sie; ein heiliger Anachronte mit einem ehrwürdigen Bart, die Stirn auf die Hand gestüzt, vor sich ein Tischgen, auf demselben ein Todenkopf, auf welchem die Hand ruhte, saß in dem Baum. Wie sich die Thür öfnete, so erhub der Einsiedler das Haupt, blickte uns an, und sagte - sagte nichts; aber der Genius dieses heiligen Pläzgens lispelte uns zu: Raum, Hülle und Fülle genug, für einen Mann, der ein Menschenalter zu früh in der Ewigkeit lebt. Stilling und Selma sollten ihre / Ta= [S. 233:] Tage mit Gutes thun erfüllen, und dann sterben. Weder das faß noch der hole Baum sind Wohnungen des Christen, wo die mehrsten Menschen sind, da wohnt, lebt und liebt er. Doch aber sind solche Pläzchen herrlich, dahin zuweilen zu wallfahrten. Der Schmerzische Garten ist ein lebendiger Tempel Gottes voller Erbauung.
Wenn man vom Faß und vom Einsiedler wieder herab ins Thal kommt, so geht man wieder südwestwärts einen schönen ebenen geraden Gang fort; hier ist der Pappelwald am schönsten, er ist dunkel, gleichförmig, und wölbt fast obern den Gang, welcher allmälig aufsteigt, und auf eine Ruhebank stöst, die überquer steht, und wo sich der Gang rechts und links lenkt; hinter der Rasenbank geht nun der herrliche Wald etwas steiler in die Höhe bis oben an die Mauer, einige Schritte hinter der Ruhebank mitten im Wald steht eine grose steinerne Urne, einem Anverwandten des Herrn Schmerz gewidmet, so wie man den Gang herauf kommt, so sieht man die Urne im Gebüsche dort erhaben stehen, sie thut gute Wirkung, ungefehr so wie in Hirschfelds Kupfer Sulzers Grabmal im wilden Wald; vorne ein Schilfsee in welchem sich der Vollmond spiegelt. Hier erlebte ich die frappanteste Scene, die ich je erlebt habe.
Herr Schmerz, ich, Selma, und noch andere / P 5 gute [S. 234:] gute Freunde, wir verbrachten den Abend damit im Garten, daß wir, so lange wir sehen können, alle heilige Oerter bewallfahrteten; nun wars Nacht, der ganze Himmel war eine Gewitterwolke, aber ohne Sturm und Donner, doch blizte es beständig unter den Wolken her. Wir giengen alle ins Felsenzimmer, wo wir bei der Kerze einige Erfrischungen nahmen. Nach einer Weile, als es nun ganz stockfinster war, sagte Herr Schmerz zu uns: Kommen Sie, Freunde! jetzt ists feierlich schön draussen, ich nahm Selma an eine, und eine andere Dame an die andere Hand, Schmerz gieng stille neben uns, wir wandelten fort. Vorne in den Gang - Gott! ein hellgrünes Licht durchschimmerte den Wald, und hundert Lämpgen erleuchteten die Urne! - Gott, welch ein Anblick, über uns glänzte der Himmel in sanften Blizen, und dies Schauspiel da! - Selma jauchzte und wankte - ich riß mich los, Thränen rollten mir die Wangen ab - eine sanfte blasende Musik erhob sich hinter der Urne im hellgrünen Licht, es schwamm ein Adagio aus Zemire und Azor zu unsern Ohren herüber, ich rief:
"Schmerz erleuchtet mir Christinens
"Urne, der Himmel blizt Wohlgefallen
"auf mich und Selma herab, und der
"Wald tönt mit sanfter Freude." - / Ich [S. 235:]
Ich und Selma, wir schwuren uns ewige Liebe, aber wir schwuren auch Gott und die Menschen zu lieben, in aller Fülle menschlicher Kräfte. Nun giengen wir nach Haus und zur Ruhe.
Jetzt will ich nur noch vollends beschreiben, was mir in diesem herrlichen Ort merkwürdig war:
ich hab oben gesagt, daß unterhalb der Urne ein Quergang vom südlichen zum nördlichen Berg führe, in welchem jener schöne Gang, der das Thal herauf kommt, gerad vor der Urne eintritt, hier lenkt sich rechter Hand und steigt hinan an das südwestliche Ende des nördlichen Bergs; da kann man nun unter dreien wählen, entweder man dreht sich rechts herum und wandelt erst nordöstlich, dann ostwärts über die ausgeebnete Höhe des nördlichen Berges hin; auf welcher ein mit lauter labyrintischen Wegen versehener englischer Garten angelegt ist, oder man tritt gerad vor sich ins Badhaus, oder in eine Zwergenwohnung, oder man geht linker Hand zwischen der Stadtmauer und dem Wald hin, wo man links in der Mitte gerad oberhalb der Urne, eine Bank, oder eine Art von Orchester antrifft; geht man nun weiter fort, so stöst man ans Abendende des südlichen Berges, hier steigt man noch ein wenig hinan, und nun findet man drei Terrassen südwärts angelegt; die unterste enthält Obstbäume, und in der / Mitte [S. 236:] Mitte ein kleines Eremitenhaus, an der Thüre ist ein Eremit in Lebensgröse gemalt, über ihm stehet die Inschrift. Was muß man o Sterblicher? - Sterblicher man muß leiden, sich im Stillen unterwerfen, anbeten und sterben.
Gerad gegen diesen Eremiten und sein Haus schwingt sich die Schaukel, deren zween Pfosten auf der Scheidung zwischen der ersten und zweiten Terrasse stehn, so daß sie mit ihren Schwingen beide durchstreift, der Eremit scheint dem Schaukeln zuzusehn, zu lächeln und zu sagen: Mensch! dein ganzes Leben ist eine Schaukel, die sinkst, du steigst - sinkst wieder - steigst wieder - bist immer in Gefahr zu fallen - schwindelst - dir wird übel - du steigst von der Schaukel - und die Rolle dieses Lebens ist gespielt, wohl dir! wenn du anstatt zu schaukeln, Saamen auf die Ewigkeit säest!
Von hier geht man auf die zweite Terrasse. Diese enthält einen gewölbten belaubten Gang, an dem westlichen Ende desselben wird man durch das perspektivische Gemälde eines Schubkarrens und einer Tonne getäuscht, denn beide Stücke sind am Ende nichts anders als Skizze. In der Mitte des Gangs ist eine Bank oder Ruheplatz, der einem aber den Kopf wäscht, und das östliche Ende gewährt einem die herrlichste Aussicht ins Hohe Thal. / Von [S. 237:]
Von hier kommt man nun endlich auf die dritte Terrasse, welche die höchste Höhe des südlichen Bergs ist: sie enthält folgende Merkwürdigkeiten: zwo achteckigte abgestuzte Pyramiden, von Erde und Rasen ausgeführt, und mit Latten zusammengehalten, stehen westlich und östlich etwa 20 bis 30 Schritte von einander. Oben hat jede Pyramide eine achteckigte Pläne mit Geländer und Bänken umzogen, dahin führt eine Treppe, die von aussen hinauf führt, auf diesen Pyramiden sizt man im Säuseln der Luft, und übersieht ganz Creuznach, das Hohe Thal hinauf, die fürchterlichen Felsen des Rheingrafensteins, die Salinen, dies alles südwärts, ostwärts hat man die herrlichen Gefilde der Stadt Creuznach, die Hohe mit Wiesen und Gebüschen; nordwärts schaut man das Rohthal hinab, und in der Ferne jenseits dem Rhein und Bingen die Gebirge des Rheingaus. Westwärts hat man die Hügel, welche den Anfang des nahen Hunsrücks ausmachen.
Die Ebene um die Pyramiden herum besteht aus niedrigen schönen Hecken, welche Irrgänge bilden. An der Ostseite der östlichen Pyramide ist eine Ruhebank, auf welcher man die Landstrase, dann die Hohe, weiter hin die herrlichen Gefilde im Auge hat. Hier ruhten wir in der Abenddämmerung eine Weile, uns war wohl, der Ostwind fächelte / um [S. 238:] um uns her und der ganze Himmel war eine Wolke.
Ich weiß nicht, wie sonderbar mir hier zu Muth war? - Der Osten hat für die Menschheit so etwas feierlich großes, er ist das hohe Bild ewiger Erwartungen. Hier muß die Morgenröthe die beste Wirkung auf den Kenner und Empfinder der geistigen Schönheiten der Natur thun. Wir hatten von vornan den Garten durchwandert. Ein wahres Bild des Gangs des menschlichen Geistes! - Wir traten durchs Thor hinein, wanderten durchs Thal hin, lauter schone Gegenstände umgaben uns. - Das Felsenzimmer, alles zusammen eine wahre Copie der ersten Hälfte des menschlichen Lebens, - nun der Pappelwald! - der gerade Gang durchhin! Ruhebänke - feierliche Erinnerungen an Eitelkeit und Vergänglichkeit, kein buntes Gewirr mehr, einfache hohe feierliche Natur, - das männliche Alter. Nun aufwärts entweder zum englischen Garten, ein Magazin voller nüzlicher Gewächse, so auch das Alter, ein Magazin nüzlicher Kenntnisse; oder links um auf den südlichen Berg, drei Terrassen, weite Aussichten, Ueberschauung des Ganze, Blicke vom Hohen ins Weite, dann endlich hingesessen; man ist am Ende, und schaut in den Osten hin, und erwartet das Erwachen des ewigen Tages. / Von [S. 239:]
Von hier läuft man herab zum Thor, denn man ist nun im Kreis herum, und fertig.
Bald hätte ich den vertraulichen zahmen Storch vergessen, der auf den höchsten Terrassen zwischen den Irrgängen herumschwankt; doch ich habe nur das, was auf mich den mehresten Eindruck machte, aufgezeichnet; noch vieles habe ich vergessen, und vielleicht auch nicht bemerkt. Ein vortreflicher Gedanke des Herrn Schmerz, der durchaus ausgeführt werden muß, ist der Gedächtnißtempel berühmter Pfälzischer Gelehrten, dieser soll eine Rotunde mit einer Kuppel sein, und auf der nördlichen Höhe mitten im englischen Garten stehn, ich war auf dem Plaz, man übersieht da das ganze Thal und hat gerad den schönen Gang im Pappelwald mit der Urne im Gesicht. Der südliche Berg mit den zwoen [sic] Pyramiden steht einem da gerad gegenüber.
Noch ein Gedanke, den mir Herr Schmerz sagte, war: er wollte auf dem südlichen Berg einen Thurn [sic; Turm] auf antike Art ausführen, auf dessen Höhe man noch eine schönere Aussicht haben würde; ich habe nichts dagegen, allein ich muß ihn bitten, daß er denn doch die zwo Pyramiden läst, sie gefielen mir gar wohl [.] Doch wer weiß, ob nicht der schöpferische Geist dieses grosen Gartenkünstlers / noch [S. 240:] noch was schöners erfindet, ich kan ihm nichts vorschlagen, sonder nur nachempfinden.
Wer indessen noch eine etwas umständlichere Beschreibung dieses Gartens mit allen Sinsprüchen verlangt, der lesen den ersten Aufsatz des eilften oder Windmonats=Heft der Rheinischen Beiträge 1781.
Bei meinem zweiten Besuch zu Creuznach, wo ich mich mit meiner Gattin trauen ließ, stellte Herr Schmerz eine Lustfahrt nach dem Hochgräflich Osteinischen Park zu Niederwald an. Die Zeit war zu kurz, um alles merkwürdige dort zu besehen, ich will also nur das, was ich sah und empfand, beschreiben:
Den Tag nach Mariä Himmelfahrt, fuhren wir, Herr Inspektor Wund, Herr Schmerz und ich, in einem, und das Frauenzimmer in einem andern Wagen, das herrliche Hohethal hinab nach Bingen, dies sind vier Stund, wir kamen daselbst im 8 Uhr des Morgens an. Bingen liegt bekanntlich unmittelbar am südlichen Ufer des Rheins, in dem östlichen Winkel, den die Nohe in ihrem Einfluß in den Rhein macht; gegen über ist ein sehr steiler und sehr hoher Berg, an dessen Seite der herrliche Rüdesheimer Wein wächst, stell ich mich also vor Bingen, ans Rheinufer, so hab ich hinter mit Süden, die Stadt und das Nohethal; vor mir den Rhein und gegen über den hohen Berg, oben / mit [S. 241:] mit einer langen Anhöhe von Osten nach Westen. Gegen Morgen hat man das vortrefliche Rheingau, das mit Rüdesheim, welches Bingen schief gegenüber auswärts liegt, anfängt; gegen Westen liegt, links dem Rhein, ein sehr hoher steiler Berg, zwischen welchem und dem nördlichern Berg der Rhein sich hindurch zwängt, und sich nordwestlich herum lenkt. In dieser Biegung des Stroms, zwischen den zween Bergen, steht etwas aufwärts mitten im Rhein der berühmte Mäusethurm, und etwas abwärts, mehr nördlich, befindet sich das bekannte Bingerloch.
Der Berg, welcher also Bingen nordwärts gegen über liegt, und an dessen Fus sich das Bingerloch befindet, ist es, auf dessen Höhe sich der vortrefliche Osteinische Park befindet, und wohin also unsere Lustfahrt gerichtet war.
Herr Schmerz, der alles veranstaltete, ließ uns also auf einer Nähe übersezen, darauf fuhren wird durch Rüdesheim ein Stündchen weiter ins Rheingau hinauf, zu einem Dorf, welches Geisenheim heist, und wo der Herr Graf von Ostein einen vortreflichen schönen Pallast gebauet hat, welchen wir überall besahen, und uns an dem ungemein niedlichen und feinen Geschmack, mit welchem sowohl das Schloß, als der Garten hinter demselben angelegt ist, ergözten. Pracht und Verschwendung find= / Pfalzbaier. Beitr. 9. Heft 1782. Q det [S. 242:] det man nirgends, aber doch noch weniger übelangebrachte Sparsamkeit, jedes Zimmer, jeder Saal ist reizend schön, ohne daß einem weder der Gedanke einfallen kan, dies da hätte können gespart werden, oder dort hätte doch noch etwas sollen gemacht werden. Denkt euch Leser dies Feen - nein nicht Feen - wie soll ich sagen? philosophische Feenschloß im paradiesischen Rheingau!
Nach einem zweistündigen Aufenthalte, fuhren wir nun nordwestwärts das Gebirge hinan, um endlich westwärts auf den, Bingen gegenüber liegenden, hohen Berg, und auf dessen Höhe liegenden Park Niederwald zu kommen, wozu eine Fahrt von einer starken Stunde lang erfordert wurde. Der Weg führte uns über eine Höhe hin, dann in ein sehr einsames aber entzückend schönes Thälgen, mit einem eben so schönen Kloster Noth Gottes genannt Von hier kletterten wir den Berg hinauf, und kamen nun auf die Höhe. Hier in dieser einsamen Gegend, wo gewiß nie eine Landstraße durchgehen wird, fanden wir eine Chausee eine halbe Stunde lang mit unglaublicher Mühe abtragen, erhöhen, und dergleichen Arbeiten durch den Wald hin, angelegt. Hier eine Chausee? - dachte ich, und hätte bald den erlauchten Besizer einer sehr unnöthigen Verschwendung beschuldiget, allein Schmerz erzählte sehr rührend die Geschichte diese Hoch= / wegs: [S. 243:] wegs: welche kürzlich darin besteht, daß der Herr Graf von Ostein, um in den Jahren der Theurung den armen Leuten reichlich Brod zu geben, ohne es ihnen gerad schenken, oder eine Heerde Müßiggänger und Bettler zu erzeugen, ihnen damals auf diese Weise Arbeit gab, und viele Familien ernährte.
Dieser Hochweg führt durch den Wald hin, zu zweien sehr niedlichen Häusgen, welche mitten im Wald auf einem grosen freien Plaze stehen, den in einiger Entfernung lauter Hochgewäld umgiebt.
Die Höhe auf diesem Berge ist sehr weitläuftig, und besteht aus einem ganz flachen kaum merkbaren Thal, welches sich gegen Westen zu erniedrigt; dieses Thal ist ein einziger Wald von viel hundertjährigen Eichen und Buchen, welche dicht und dunkel unter einander stehen, und dieser Wald macht eigentlich den Park aus; mitten im Thale stehen die Häuser, wo wir eine ländliche angenehme Mahlzeit bereitet fanden. Nachdem wir zusammen gespeiset hatten, so führte und Herr Schmerz in den Wald hinein, ein einsamer Holzweg leitete uns südwärts; nach einer guten Viertelstunde Gehens grif mich Herr Schmerz am Arm, und sagte mir: schliesen Sie ihre Augen! nach einer kleinen Weile sprach er: nun öfnen Sie die Augen! - Gott, welch ein Anblick! - Wir standen auf einer Altane an der südwestlichen Ecke des Berges, es ist ein / Q 2 geebne= [S. 244:] geebneter Fels, mit einem Geländer und Ruhebank umgeben, hinten hat man eine Felsenhöhle mit Bänken und einen Tisch, vorwärts aber eine ganz unvergleichliche Aussicht: gegen Morgen übersieht man das ganze prächtige Rheingau mit allen Städten und Dörfern, durch dessen Mitte der majestätische Rhein breit daher wallt; weiter hin sieht man über Maynz und Frankfurt weg, blau, kaum kennbar, den Spessart in Franken, mehr südlich die Gebirge des Odenwalds, noch mehr mittagwärts eben diese Gebirge die Bergstraße hinauf über das schöne Oberamt Alzey hin, das man ganz übersieht. Ganz Mittagswärts hat man zehn Stunden weit den ganzen Donnersberg im Auge, an dessen westlichen Spize hin sieht man die Gebirge im Oberamt Lautern gegen Landstuhl zu. Südwestlich und westwärts begränzen die Berge des Hundsrücks die Aussicht. Vor sich unter den Füßen steil hinab hat man den Rhein, südöstlich Rüdesheim, südlich Bingen, nun sieht man das ganze Nohthal hinauf die Creuznacher Gefilde, den Rheingrafenstein u. s. w. Südwestlich hat man den Mäusethurm, und das Bingerloch unter den Füsen, und westlich sieht man den Rhein sich zwischen grausenden Gebirgen hinab zwängen, auf Bacherach und Caub zu. Dieser Anblick ist erstaunlich gros und erhaben; und übertrift alles, was / ich [S. 245:] ich noch gesehen habe: nicht als ob man noch keine weitere und bessere Aussichten hätte; auf dem Odilienberg, fünf Stunden jenseits Strasburg, hat man eine viel weitere und vielmehr umfassende Aussicht, ja man hat Berge, wo sie noch gröser ist; allein auf solchen Höhen sieht man gleichsam die Länder um sich her, wie auf einer Landkarte, man unterscheidet wenig; aber hier ist noch so viel Überraschendes beisammen gedrängt, man zählt die Fenster in Bingen, unterscheidet die Wellen des Rheins, zählt die Bäume des Rheingau hinauf, dazu kommt noch das Romantische, welches über aller her verbreitet ist, es paßt alles so zusammen, als wenn es aus dem Reichthume der grosen Natur ausgesucht wäre, um gerad da der Altane zu dienen.
Man sizt da in den ländlichen Häusern in der grösten Stille und Einsamkeit, man schaut zu den Fenstern hinaus, und sieht den grünen Rasen, und dann ins Dunkel des Waldes, überall ewige tiefe Ruhe, und Vögelgezwitscher, der ganze Himmel ruht auf lauter Eichen. Man spaziert den einsamen Weg durch den Wald hin, überall rauschendes Laub hin und wieder Rasensize, man weis nicht ob sie die Natur oder Menschen gemacht haben; auf einmal erhebt sich der Boden etwas, man steigt hinauf, und sieht vor sich eine Oefnung des / Q 3 Wal= [S. 246:] Waldes, aber weiter noch nichts, drei Schritte - man ist auf der Altane - und nun sieht man so viel auf einmal, daß man nicht weiß, was man sagen soll? - Stilles Getümmel der Natur, durch das Sausen des Bingerlochs belebt, das ist so ein schwacher Ausdruck, ich finde jetzt keinen bessern.
Von hier giengen wird durch den Wald ostwärts, Rasensize, Lustgänge, Kohlmeiler, die inwendig ein Kämmergen hatten, eine ungemein artige Einsiedelei, ein Lusthaus mit dreien sonderbaren Aussichten, und noch andere Sachen mehr, besahen wir, aber nur gleichsam im Strich, denn der Wald hat vier Stunden im Umfang, und wir hatten nur einen Nachmittag vor uns.
Ist der Schmerzische Garten eine wahre griechische Schönheit im einfältigen Schmuck der Natur, ein Mädgen voller hoher Grazie und angebohrner und ungekünstelter Anmuth, so ist der Osteinische Park zu Niederwald ein hoher philosophischer Greis, voller Majestät, über alles kleine erhaben.
Dieser Idee ist alles angepaßt, der natürlich Wald scheint sich da droben auf der Höhe selber genug zu seyn, sein Gedränge von tausendjährigen Eichen, sein feierliches Dunkel, seine Stille, sein rauschendes dürres Laub, seine bemoosten Stöcke, alles das würkt auf das Herz, und stimmt die Seele Jahrtausende zurück ins patriarchalische Zeitalter. / Dieser [S. 247:]
Dieser Grundbegrif, oder Vorstellung duldet daher auch hier nichts gekünsteltes; ich möchte hier nicht einmal einen antiken Tempel haben, aller Marmor muß hier wegbleiben; kein modernes Stück darf in dem ganzen Park seyn, allenfalls ein altes gothisches halbverfallenes Gemäuer, wo kein Fenster regelmäsig ist. [Ruine]
Der erlauchte Besizer hat alles das aufs genaueste eingesehen, und empfunden, selbst die zwei Häuser sind ländlich edel und einfach, nur muß ich gestehen, wahre Baurenhäuser, oder ein Schloß im Gothischen Geschmack würde noch bessere Würkung thun. Uebrigens findet man im ganzen Walde nichts künstliches, alles scheint entweder von der Natur selbst, oder doch vor hundert Jahren, irgend von einem Kohlenbrenner oder Einsiedler, oder sonst einem ehrlichen Biedermann gemacht worden zu seyn, und gerad so, und nicht anders erfordert es der Genius des Orts. Indessen trift man auch hie und da, wo es sich schickt, und es der Gegenstand erheischt, Anlagen von höherm Werthe. Kurz die ganze grose Idee des Osteinischen Parks ist erhabene eisgraue Einfalt, wo der Wanderer nichts anders, als ernste hohe Gedanken haben, und wahrhaft feiern kan.
Auch hier muß ich viel Merkwürdiges vorbeigehen, weil ich nicht alles gesehen habe. Auch / Q 4 wird [S. 248:] wird der Herr Graf noch immer den Park mehr und mehr vervollkommnen, und so kan nach und nach eines der edelsten und erhabensten Gartenwerke Deutschlands daraus werden; aber nur für den schon ziemlich hochrectifizirten empfindsamen Geist, tausende sehen nichts da, und ennuiren sich."
Literatur
Die Reise Jung-Stilling auf dem Rhein von Straßburg nach Köln im Jahre 1771. - In: Beiträge zur Rheinkunde. Hrsg. v. Rhein-Museum e. V. Heft 28, Koblenz 1976, S. 47-49 und 59. [= Abdruck aus der Lebensgeschichte, S. 274 ff.
Palm, Claus: Jung-Stilling in Bingen. Begegnungen und Erlebnisse im 18. Jahrhundert. - In: Heimat am Mittelrhein (= Beil. zur Allgemeinen Zeitung [Mainz], Bingen, 22. Jg. Nr. 1, Januar 1977) 22, Bingen 1977, Nr. 1. [M. 1 Porträt.]
Nachdruck:
Palm, Claus: Jung-Stilling in Bingen. Begegnungen und Erlebnisse im 18. Jahrhundert. - In: Siegerland 54, 1977, H. 5-6, S. 192-194.