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(Georg Gottfried Gervinus [1805-1871]:) Neuere Geschichte der poetischen National=Literatur der Deutschen von G. G. Gervinus. Zweiter Theil. Von Göthes Jugend bis zur Zeit der Befreiungskriege. Mit einem Register über das ganze Werk. Leipzig: Engelmann 1842.

S. 268-276:
 
Der berüchtigte Arzt Christian Dippel hatte ja auch nach seinen vielen Irrzügen in Berleburg Zuflucht gefunden; er knüpfte seine mystische Morallehre zuletzt an die Theorien der neuen aufgeklärten Theologen und Christus ward ihm eine gleichgültige Person. Sein Schüler Edelmann war unter den ersten verrufenen Freigeistern; auch Er war vom Mystiker zum Leser Spinozas und der englischen Deisten,, zuletzt ein Spötter der Religion geworden. Aber diese Beispiele wirkten auf das Volk nicht herunter. Aberglaube, Pietismus, magische Wissenschaft und Charlatanismus aller Art reichte in den Gegenden, wo Joh. H. Jung (Stilling ‑ aus der Gegend von Siegen 1740‑1817) geboren war, in die untersten Volksklassen herab, und die ganz ähnlichen Zustände läßt uns Moritz in seinem Anton Reiser bis nach Hameln und Pyrmont hin blicken. Jung Stilling wuchs mitten in den Nachwirkungen auf, die die Lehren jener Männer hatten; er hörte von Hochmann erzählen, Rocks Predigten waren in seiner Heimath noch im Andenken; von Dippel, der in deren Nähe gelebt hatte, konnte er noch mancherlei erfahren; seine Familie war ganz von diesem Geiste angesteckt; sein Onkel grübelte über der Quadratur des Zirkels, sein väterlicher Großvater hatte Visionen, sein mütterlicher war ein Alchymist, und sein Vater hatte viel mit frommen Leuten und er selbst in früher Jugend mit Paracelsisten und Böhmianern zu thun. Er hatte die Gelegenheit, den Pietismus und die Pietisten von ihren üblen Seiten, die Freigeister der Zeit von sehr guten kennen zu lernen; er suchte sich daher in gewisser Weise zwischen jenen Extremen zu halten, die aus den Traditionen seiner Heimath ihn berührten, und die ihm in seinem eignen Leben später von der andern Seite begegneten. Dennoch blieb er auf der Seite, die bei den Seinigen zu Hause war, ganz entschieden hängen. Das Große, was Aufklärung und Freidenkerei in Deutschland hervorrief, konnte ihm nicht die beifällige Erinnerung an die mystischen Volksprediger und Schuhmacher austilgen 44);
 
[die Anm. lautet: "44) Die obigen Notizen kann man zerstreut in seinen Werken auffinden."]
 
trotz der Unlauterkeiten, die da unterliefen, schien es ihm unverkennbar, daß eine mächtige Stimme in jenen Zeiten der Erweckung aus der unsichtbaren in die sichtbare Welt [S. 269:] herüber erschollen sein müsse. Ja er vernahm in dieser Stimmer den Schall der siebenten Posaune aus der Apokalypse, da zur nämlichen Zeit auch die vornehmsten Werkzeuge des Drachen, die Vorläufer des Thiers aus dem Abgrund auftraten!
 
Der Mann, von dem wir reden, berührt mit seiner Schriftstellerei ganz unser Gebiet des praktischen Romans, von dem aus wir diese fremden Religionen überblicken; religiöse Interessen füllten ihn ganz aus, aber er war kein Theologe und schrieb in Formen, die nichts mit der Schule zu thun hatten. Schon sein Jugendleben muß in der ursprünglichen Gestalt (Heinrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft 1778) unter jene Biographie gestellt werden, die ganz in den Charakter der picarischen Romane hineinspielen. Wenn Jung dem Werke ästetischen Zuschnitt, Dichtung zur Wahrheit hätte geben können, so wäre es ein sentimentaler Roman geworden, der an Originalität seines Gleichen nicht hätte; auch jetzt wirft es den Siegwart und Alles, was wir Empfindsames besitzen, in tiefen Schatten und wer es nicht mit Antheil und Rührung liest, muß ganz unter die ärgsten ästhetischen Nicolaiten gehören. Jung entwickelt in seiner Jugend einen Gegensatz idealer Natur zur wirklichen Welt, wie er nicht Jean Paul 45)
 
[die Anm. lautet: "45) Die Flegeljahre behandeln diese Aufgabe. Viele Züge könnten Walt geradezu aus Jungs Gemüthsleben geliehen wewrden. Wie nahe hier die Wirklichkeit der Dichtung lag, und wie leicht dieß Leben zu einem Dichtungswerk umgebildet werden konnte, sieht man z. B. aus dem natürlichen Gegensatz des humoristischen Hersfeld gegen Jung, des kalten, verständigen, empfindungslosen Beobachters der Welt, eine Gattung, die der Biograph Launer nennt, und die Jean Paul überall richtig gegen seine Idealisten überstellte."]
 
und keinem unserer Romanschreiber, die das Aehnliche versucht, gelungen ist. Die frommen und abergläubigen Eigenheiten seiner Familie, die ganz erläuterungslose Lectüre von Heldenromanzen und Volksbüchern, des Homer und der asiatischen Banise, die Gewöhnung aller Mythen und Sagen gläubig aufzunehmen wie die Bibel, das einsame Schwärmen in einer schönen Natur, die Entfernung von Menschen und Welt, und mithin von Versuchung und Erkenntniß des Bösen, bildeten in dem sinnigen, phantasievollen Knaben einen g anz außerordentlichen Grad von Empfindbarkeit und molluskenartiger Weiche aus; die unendliche Schwermuth, die unter gutartiger Armuth der [S. 270:] strebenden Jugend eigen wird, kommt hinzu, um in diesem Jugendleben einen Stock von natürlicher, ungekünstelter Sentimentalität anzuhäufen, wie wir ihn nicht leicht wieder beisammen finden werden. Der Stoß dieses versehrbaren Gemüths auf die arge Welt ist mehr tragische oder tragisch=komische Theil des Buchs, der sich von dem elegischen abscheidet. Außerordentlich interessant ist die Vergleichung dieser Jugendgeschichte eines Frommen mit der von Moritz, der mit einem widersetzlicheren Gemüthe in derselben Abhängigkeit von pietistischen Vorstellungen und in dem ähnlichen Gegensatz einer idealen Gedankenwelt gegen die wirkliche aufwuchs. Jung Stilling strebt höher hinauf, er warf sich in ein schulmeisterliche Laufbahn, und ward zerrissen unter rohen bäuerlichen Cabale und Nachstellungen, er litt mit seiner Lammesnatur unter Wölfen, rechnete sich dieß [sic] als Strafe für Dünkel an, und kehrte zur Nähnadel, dem Geschäfte seines Vaters, zurück. Auf seiner Wanderschaft führte der Himmel seinen Heiligen wunderlich; er geräth unter lauter gute fromme Leute; die Kraft des Gebets hilft ihm in aller Noth; er schließt seinen Bund mit Gott; bei jeder überraschenden Wendung seines Geschicks gibt er sich im Guten und Bösen willig hin; wie ihn Gott zur Medicin leitet, erkennt er seinen Beruf und preist die Wege des Himmels; wie es ihm darin misglückt, so weiß er auch das wieder Gott zur Ehre zu deuten, und erkennt nun wieder, als es das Glück so fügt, daß ihn Gott ganz deutlich zum Staatsökonomen bestimmt habe, für den er eben so wenig geschaffen war. Wenn er im höchsten Elend ist, so sieht er, wie dem Vater der Menschen die Eingeweide brausen, und er sich vor Mitleid nicht mehr halten kann. Denn er steht mit Gott in einem persönlichen Verkehr, wie er eine persönliche Neigung zu Christus fühlte; er stellt seinen Gott mit dem Satz, daß kein Haar umkommen solle, ganz eigentlich auf die Probe, und er hält die Probe in häufigen und sehr auffallenden Beispielen. Mit Recht also hält sich Jung Stilling, wenn irgend einer, für einen bevorzugten Sohn der Vorsehung. Allein in den Schelmenromanen des 16ten Jahrh. ist diese selbe Vorstellung schon an den Bösen gelehrt eben so einseitig und gegen die christliche Lehre wie hier an dem Guten; dort sind die Maschinengötter Glück und Zufall; und wer will, kann die Moral, die sich auf diese Erfahrungen gründen soll, zur Gotteslästerung und Blasphemie anwenden. Der Eine sieht [S. 271:] Gott in jedem Zufall, der Andere vergißt seinen Gott über dem Zufall. Sonderbarer Weise hat der Abentheurer Bartdt, mit dem Jung gewiß nichts Gemeinsames haben möchte, nicht allein denselben Glauben an eine spezielle Vorsehung wie Jung, absondern auch dieselben reichlichen und wundergleichen Glücksfälle in der Noth. Jungs Buch macht daher wunderbar genug ganz denselben Eindruck, wie jene Biographien der Abentheurer; dieß hat auch Goethe in dem, was er über Jung sagte, ganz deutlich gefühlt; und auch darin berührt es diese Gattung (der es eigentlich entgegenzuliegen scheint, indem scheinbar Nichts den Verhältnissen, Alles unmittelbar der Gottheit zugeschrieben wird), daß es die Vorsehung selbst sich den Verhältnissen bequemen läßt, ihre Eingriffe pragmatisch herleitet, und die Gottheit anthropomorphisirt. Dieß folgt natürlich daraus, daß man sich für die lebendigen Zustände der Gegenwart und Wirklichkeit blind macht; man sucht dann nach keinen andern Ursachen der Dinge, als die man mit geschlossenem Auge finden kann. Man lebt sich in vergangene Zeiten zurück, wie Jung in die des patriarchalischen Christenthums; man befähigt sich ganz zum Sektenmanne, und die es Jung anmutheten, Sekten zu stiften, erkannten richtiger als Er die Bestimmung, die er in sich trug, aber nicht so richtig wie er, daß der Zeit der Beruf für Sekten mangelte. In solchem Falle stehen Männer wie Jung als die größten Originale isolirt. Jung fühlte es selbst, er beschuldigte sich eines gewissen Anstrichs von Etourderie [Me: = Dummdreistigkeit, Unverschämtheit] und Unbedachtsamkeit, und gibt damit den Schlüssel zu seiner Eigenthümlichkeit und seiner Geschichte. Er fand ganz richtig, daß die Vorsehung durch lange Läuterung dieß in ihm tilgen wollte, was dasselbe sagt, wie jenes obige: daß er sich in seinem Gegensatz gegen die Zeit erkannte und nicht ganz so eigensinnig wie Lavater den Sonderling forcirte; er wollte nicht eben der Allweise sein, wie es Menschen seiner Art sonst so gern mögen; er ging nicht ganz so weit wie verwandte Leute dieses Schlages, die noch in unsere Zeit herüber dauern, daß er über anderer Leute Köpfe die Glasglocke sähe, die er selber trägt.
 
In den lebhaften 70er Jahren schien es, als ob sich Jung aus seiner friedlichen Natur herausreißen lassen wollte; er warf dem Berliner Philister, ärgerlich über die Ausfälle im Sebaldus Nothanker gegen die Pietisten, einen Stein aus der 'Schleuder des Hirtenknaben' entgegen, doch war er zugleich besorgt, er möchte [S. 272:] für dumm orthodox gehalten weden, und ließ, dem vorzubeugen, schnell 'die große Panace gegen die Krankheit des Unglaubens' folgen. Weiterhin mied er die Polemik und schrieb seine nächsten Romane, um sich nach der Einen Seite hin gegen den Ruf des Freigeistes sicher zu stellen, den er in Elberfeld hatte, und nach der anderen gegen den des Pietismus. Im Anfang stehen daher seine Schriften noch in einigem näheren Bezuge zu den Lebensverhältnissen, wenn auch nur zu mehr localen und privaten des Verfassers selbst; später schrieb er auch einzelne, wie die Theodore von der Linden, aus Geldnoth, Andere aus Gewohnheit des Schreibens, so daß wir abermals dieselbe Erscheinung des Rückgangs haben wie bei den Wezel, Müller und Hermes. Die Geschichte des Herrn von Morgenthau (1779) schrieb er für die Elberfelder, die ihn wegen seiner Lebensgeschichte im Verdacht eines Freigeists hatten, und er benutzte das Buch, um den Pietisten einige schonende Lehren zu geben über ihre Absonderung von der Welt, und ihren Mangel an Gemeinnützigkeit, einen Zug, den Jung nicht theilte, da ihn seine Geschicke allmählig unter die Menschen geführt hatten, und er von Natur einen Drang nach Wohlthun und nutzbarer Wirksamkeit hatte. Was das Formelle angeht, so ist hier von dem ächten Geist der Naivität in seiner Biographie nur noch ein Tropfen in einem Eimer Wasser aufgelöst. Es ist dieselbe Dürftigkeit und Wiederholung wie bei den Andern. Er hatte sich verführen lassen, im Morgenthau die neue Fieldingsche Manier etwas nachzuahmen; im Florentin von Fahlendorn (1781) suchte er mehr zu einer eignen Stillingsmanier zurückzukehren. Aber dafür haben wir dem Factischen und den Tendenzen nach wieder desto mehr Reminiscenzen an die Lebensgeschichte. Im Theobald dem Schwärmer (1784) ging seine Absicht dahin, mit Erlebnissen an sich und Andern, aus denen er die Geschichte zusammensetzte, den Satz durchzuführen, daß der Weg zum wahren zeitlichen und ewigen Glücke zwischen Unglauben und Schwärmerei mittendurch gehe. Als Dichtungswerk betrachtet haben wir auch hier wieder nichts, als hingeworfenes Material, wieder Züge aus Jungs eignem Leben und Erfahrung. Es war ihm, wie unsern geistlichen Liederdichtern und unsern frommen Malern, nicht der Mühe werth seinen Stoff zu verarbeiten, der ihm an sich selbst interessant genug schien; er hatte nicht Muth die Materie dichterisch zu vernutzen, denn da es sich um die Misbräuche [S. 273:] des Pietismus handelt, so fürchtet er sich, wie er ausdrücklich sagt, der Sünde, das Geringste hinzuzudichten. Wir haben also trockne Wahrheit hier; wir haben noch ein Minis von Wahrheit, denn wo der Autor etwas recht tolles und arges, Originalbriefe u. dergl. mitzutheilen hat, was den Pietismus lächerlich machen würde, da hält er es zurück. Aber auch das Mitgetheilte ist unglaublich genug! und dennoch vertheidigt Jung dieses Wesen! Er vertheidigt es aus demselben romantischen Sinn, aus dem die genialen Jünglinge damals alles Poetische des Lebens und der Sitte gut hießen; es tritt also ein poetisches Glaubensbekenntniß hart an das religiöse hinan. Die Bibel mit allem Wunderbaren und allen Wundern einfältig zu glauben, ist schon die Vorschrift eines ganz unkritischen, ganz zum vergleichenden Denken unfähigen Kopfes; und ein unnützes Leben wie das pietistische gut zu heißen, beweist wenigsten seinen Sinn, der in der politischen Oekonomie nicht weit gekommen sein kann. Warum, fragt er, haltet ihr einen Mann für ein großes Genie, dessen Seele im Reiche der Phantasie herumschwärmt und dichtet? Das tadelt ihr nicht; hingegen wenn ein phantasiereicher Kopf die Religion für einen würdigen Gegenstand hält und von ihr romanhafte Begriffe hat, den wollt ihr verbannen! Und gewiß mit Recht; denn der Eine wird im gewöhnlichsten Falle ein Phantast auf eigne Hand, aber der Andre ein Schwärmer, der Schwarm macht und fanatisirt, und die Phantasie auf Verhältnisse unter Menschen trägt, wohin sie nicht gehört. Es heißt den Schönheitssinn zu weit tragen, wenn man wie Jung die Ueberzeugung der Hochmannianer, daß das Weltgericht bevorstehe und daß sie den sicheren Zugang in die Stadt der Freiheit besäßen, wenn man diese Monomanie für die süßeste Schwärmerei hält. Man muß dazu das gute Herz von Jugend auf und dabei jede Etourderie besitzen, die unsre Aufmerksamkeit von den natürlichen Verhältnissen der Menschheit ablenkt, um nur die gute Seite bei allen Dingen zu sehen und die üble sich unwillkührlich zu verhüten. Wer diese Gabe theilt, der wird allerdings in diesen Romanen oder Bildern der Wirklichkeit finden, daß das Leben jener pietistischen Volksklasse poetische Elemente an sich habe, die sich in den Gesellschaftromanen seit den 90er Jahren in dem Maße verloren, wie sie sich aus dem übrigen Leben ent= [S. 274:] fernten, so daß dann unter den Romantikern die Flucht ins Mittelalter nöthig ward. [...]
 
[... geheime Gesellschaften. ‑ Geheimorden. ‑ Aufhebung des Jesuitenordens. ‑ Illuminaten. ‑ Freimaurer. ‑ Rosenkreuzer. ‑ "Hirtenbrief an die wahren und ächten Freimaurer alten Systems" 1785. ‑ Nicolai und Semler = "Wächter des Protestantismus" fanden darin Unterstützung des Katholizismus. ‑ Adam Weishaupt. ‑ Leben von Bronner. ‑ ... S. 275: ...1786 Aufhebung der Illuminatenorden. ‑ "Wie Meteore schwanden diese Erscheinungen vorüber; nur der Freimaurerorden bestand durch alle Verfolgungen." ‑ Lessing: "Ernst und Falk". ‑ Div. Literatur dazu. Knigge, Jean Paul, Goethe "Meister". ... ]
 
Wir haben andere Romane, deren ganze Structur auf den Fundamenten des Ordenswesens ruht. Dahin gehört Hippels A‑Z; und zu diesen müßten wir Jung Stillings Heimweh (1794) stellen. Dieß Buch drückt den endlichen völligen Sieg des Verfassers über die Scrupel aus, die ihm Freigeisterei und Determinismus gemacht hatten. Er ward ihm durch die Extreme erleichtert, die auf der Seite des Unglaubens und der Aufklärung heraustraten. Die Kantische Philosophie schien am leichtesten überwältigt, wenn man sie für ein unterirdisches Labyrinth erklärte, der französische Vernunftgötze am besten ignorirt, wenn man sich bei dem persönlichen Gotte der Christen tröstete. Jung hatte grade Tristram gelesen und wollte nach Hippels Beispiel diesen Styl reinigen und heiligen, allein er hält ihn nur auf den ersten drei Seiten fest. Dazu hat das Ganze durch= [S. 276:]aus nichts mit Sterne zu thun. Es soll den Christen auf seiner Heimwehreise, seine Ausbildung zum Kreuzritter in dem Tempel von Jerusalem, unter den Prüfungen des Geheimordens der Felsenmänner darstellen, und ist ausdrücklich gegen die Ritter vom flammenden Stern der Aufklärung geschrieben; die Erzählung ist peinlich und gespenstig, weil man auch ohne den Schlüssel die minutiöse Allegorie überall durchmerkt. Es ist ein Roman, der völlig in dem allegorischen bedeutsamen Sinne der Geschichtsgedichte des 17ten Jahrh. geschrieben ist, wie wir denn überall in dem phantastischen Getriebe dieser Zeiten an Zustände jener frühern Periode erinnert werden. Da sich die Führung eines jeden Kreuzritters im Allgemeinen gleich bleibt, so läßt sich erwarten, daß auch dieses Buch wieder Jungs eignes inneres Leben erzählt, nur in einer überweit getriebenen Allegorie, die es deutlich verräth, wie der Autor in späten Jahren immer mehr in die Blödheit seiner Jugend zurückging. Er überläßt sich zuletzt dem Geist der Weissagung so ganz, daß er selbst die höhere Allegorie seines Romans nicht mehr enthüllen kann. Und so sehen wir ihn zuletzt in seiner Theorie der Geisterkunde (1808) völlig zu jenen Volksklassen gleichsam herabgesunken, aus denen er sich Anfangs emporgehoben hatte. Er bringt den trivialen Köhlerglauben
 
Me: Zum Ausdruck Köhlerglaube: Nicolai im Sebaldus Nothanker, nach NICOLAI: Leben2, S. 357, 7. Buch. 6. Abschnitt: "Bin ich verfluchenswerth, wenn ich nicht mit blindem Köhlerglauben alles annehme, wie es buchstäblich da steht"?
 
in ein System, nicht mit der Gewalt jener bildnerischen Phantasie des Paracelsus, die einer poetischen Theorie der Geister noch gewachsen war, sondern mit dem ärgerlichen Oppositionsgeist gegen die Philosophie und Aufklärung der Zeit, der er zu folgen, die er zu begreifen nicht im Stande war, und mit jener Miene der Wissenschaftlichkeit, die sich gar nicht bewußt ist, daß sie auf ein Gewebe von halben physikalischen Erkenntnissen und von Charlatanerien ein Gebäude der Wahrheit aufstellen will.
Wenn sich Jung Stilling vorsichtig und friedlich hielt, und das Auffallende eines Sektirers, eines Propheten, eines Sonderlings in den phantasielosen Zeiten der Kritik, der Naturforschung und Mechanik wenigstens praktisch fühlte, obgleich theoretisch entschuldigte oder milderte, so warf sich dagegen Joh. Casp. Lavater (aus Zürich 1741‑1801) laut und eifrig gegen diese Zeit auf und verstockte sich im Trotz gegen sie.
 
 

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