Jung-Stilling und Johann Peter Hebel (1760-1826)

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Siehe zu Hebel: Johann Peter Hebel. Eine Wiederbegegnung zu seinem 225. Geburtstag. Ausstellungskatalog hrsg. v. d. Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Karlsruhe: Müller 1985.
 
 
 
In dem Jahr 1804 ist es wohl auch zu einer Bekanntschaft zwischen Jung-Stilling und Johann Peter Hebel gekommen. Dieser kannte Jung-Stilling schon durch dessen Werke. Bereits Ende September 1800 schrieb Hebel an Friedrich Wilhelm Hitzig:
"wenn ich nicht gegenwärtig auf Recommandation des Hr. G. Br{auer} Heinrich Stillings Heimweh läse. Es wäre mir eine interessante Lektüre, wenn ers entweder kürzer gefaßt, oder anders bearbeitet hätte. Aber eine Allegorie durch 4 starke Oktavbände durchgewunden! Die christlich religiöse Durchführung des Menschen zu seiner Bestimmung im Reiche Christi, dargestellt in der Heimreise eines Heimwehkranken, über Frankfurt, Augsburg, München, Wien, Ungarn, Sclavonien, Constantinopel, Egypten, über die Landenge, nach Sinai, Jerusalem, wo er sich in den unterirdischen Tempelhallen mit Urania (himmlische Wahrheit) ehlich vermählt, und dann mit ihr und einer zahlreichen Gesellschaft auf Cameelen weiter in den tiefen Orient hineinreiset. - Unterwegs hat er viele Versuchungen und Verfolgungen auszustehen von der Frau von Traun (per anagramma Natur) und Fräulein Nischlinn (Sinnlich), wird aber immer bewahrt, bald durch den Bruder seiner Braut Theodor Josias von Edang (Gnade) bald durch seinen Freund und Begleiter Trevernau (Vertrauen) oder durch den Beldergau (der Glaube) etc. Ich bin am 3ten Theil und bekomme bald das Endweh."
Johann Peter Hebel. Briefe der Jahre 1784-1809. Der Gesamtausgabe erster Band. Hrsg. u. erl. v. Wilhelm Zentner. Karlsruhe: Müller 1957, S. 98 f.:
 
 
 
Wilhelm Zentner (Johann Peter Hebel. Karlsruhe: Müller 1965), S. 127 weiß von Hebel,
"daß ihn eine leidenschaftliche Teilnahme am Zeitgeschehen die ihn, den Zuschauer, zum Mitspieler hätte machen müssen, seiner Wesensmitte, eben jener spekulativen Ruhe, entfremdet hätte".
Karl August Gebhard dagegen, dem Hebel ein "verehrter Lehrer und väterlicher Freund" war, erinnerte sich beim Tradieren des Schenkendorfschen Gedichts "Landsturm" in die lateinische Sprache an ein Zitat seines Lehrers nach der Leipziger Schlacht, das dieser
"im Tone des Ernstes vor mir aussprach, und das ich nie vergessen werde: 'Wenn der Ruf ergeht zur Befreiung des Vaterlandes in den Landsturm einzutreten, sagte er, so werde ich gerne die Lanze ergreifen und mitziehen'"
(Karl August) Gebhard: Metrische Uebertragungen einiger deutshen [sic] Gedichte ins Lateinische. Beigabe zum Herbstprogramm 1859 des Gymnasiums in Lahr. [S. 1-33] – In: Programm des Großherzoglichen Gymnasiums und der damit verbundenen höheren Bürgerschule zu Lahr, für das Schuljahr 1858-1859, als Einladung zu den am 3., 5., 6. und 7. September d. J. stattfindenden öffentlichen Prüfungen. Mit dem Programm werden einige von Geh. Hofrath Gebhard metrisch übertragene Gedichte ausgegeben. Lahr, Druck von J. H. Geiger. 1859).
 
Siehe auch: Walter Ernst Schäfer: Hebel, der Glücksspieler. – In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Bd. 145, NF Bd. 106, Stuttgart: Kohlhammer 1997, S. 249 ff.
 
 
Ebenso trug sich Hebel am 25. September 1816 in das (zweite) Stammbuch Max von Schenkendorfs ein:
Wir arbeiten einer großen Zukunft entgegen. Herder.
Leben sie glückl[ich] edler, deutscher Mann, und bleiben Sie mir auch in der Ferne gewogen.
J. P. Hebel.
Carlsruhe d 25. Sept. 1816
Ekkehard P[aul]. Langner (Bearb.)]: Stammbuch des Dichters Max von Schenkendorf. Bearb. und mit Anmerkungen versehen von Ekkehard P. Langner und Hans-Josef Schmidt. Dezember 1983 = Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Koblenz Heft 15/2. Hrsg. von Ulrich Theuerkauf, Eintrag 44.
 
Auch Karl Obser wies schon darauf hin, dass den Biographen Hebels entgangen sei, dass sich Hebel "in jenen Tagen mit der Frage eifrig beschäftigt und der Spezialkommission Vorschläge zu einer ‚populären Belehrung über den Landsturm' unterbreitet" hatte.
 
 

Gab es "keinerlei persönliche Beziehung"?

Diese einleitenden Abschnitte machen deutlich, dass das Urteil im großen Karlsruhe Ausstellungs-Katalog (S. 232; E 9) zu überdenken ist. Umfangreich gearbeitet hat über dieses Thema neben
Hermann Vortisch: Goethe, Jung = Stilling, Hebel, v. Schenkendorf u. a. m. in Karlsruhe. - In: Die Pyramide. Wochenschrift zum Karlsruher Tagblatt. 25 (1936) Nr. 26 v. 28. 6.1936, S. 101-103; Nr. 27 v. 5.07.1936, S. 106-107; Nr. 28 v. 12.07.1936 S. 109-110)
der Jung-Stilling-Kenner Gerhard Schwinge gearbeitet. So sind zu nennen dessen Aufsätze:
* Gerhard Schwinge: Steinkopf und Jung-Stilling, Sander und Hebel. Persönlichkeiten am Beginn der Bibelgesellschaft in Baden, 1804-1826. Hermann Erbacher zugeeignet. – In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Bd. 144 (= neue Folge Bd. 105). Hrsg. v. d. Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Stuttgart: Kohlhammer 1996, S. 429-439;
* Gerhard Schwinge: " ... wie aus einer andern Welt ... ". Jung-Stilling und Johann Peter Hebel. in der genannten, von Michael Frost herausgegebenen Festschrift. – Hier schreibt Schwinge S. 70:
"Dennoch hat sich allem Anschein nach keinerlei persönliche Beziehung zwischen beiden ergeben; ja, ein[e] Annäherung wurde wohl auch von beiden nicht gesucht."
In der von Eberhard Meckel herausgegebenen und von Robert Minder eingeleiteten Ausgabe der Hebelschen Werke (Insel Verlag, 1968) liest man ohne weitere Erläuterung S. 424:
"Jung-Stilling kommt nach Karlsruhe, wo Hebel näher mit ihm bekannt wird."
Unter den Bilderläuterungen ebd. S. 459 heißt es dann: Jung-Stilling "weckte in Hebel, der häufig mit ihm zusammenkam, ein lebhaftes Für und Wider." (Gezeigt wird hier das Porträt von Reinemann, das sich auch im Aufsatz von Gerhard Schwinge über Jung-Stillings Verleger findet.) – Vielleicht waren es Erinnerungen an bzw. Beeinflussungen zu Goethes Aufenthalt in Sesenheim/Sessenheim? (S. u.)
Was Jung-Stilling dazu zu sagen hatte, klingt etwas anders, wie sein Brief unten zeigt.
 
 

"Der Schneider in Pensa"

Hebel endet diese Kalendergeschichte in seinem "Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes" (in vielen Ausgaben) mit dem Satz "Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien". Jung-Stilling publiziert diese Erzählung nach dem Carlsruher Calender des Jahres 1815 und leitet sie ein mit den Worten:
"sie ist aber ausserordentlich schön, daß ich sie unmöglich meinen ausländischen Lesern vorenthalten kann. Sie ist durchaus wahr, und der Herr Kirchenrath Hebel, der berühmte allemanische Dichter, hat sie so schön erzählt, daß ich sie verderben würde, wenn ich ein Wort daran änderte."
 
Im Unterschied zum bekannten Text (z. B. bei Gutenberg) hat hier der Text noch eine Einleitung:
Ein rechtschaffener Kalendermacher hat von Gott dem Herrn einen vornehmen und freudigen Beruf empfangen, nämlich daß er / die [S. 107:] Wege aufdecke, auf welchen die ewige Vorsehung für die Hülfe sorgt, noch ehe die Noth da ist, und daß er kund mache das Lob vortreflicher Menschen, sie mögen doch auch stecken, fast wo sie wollen.
 
Zum Wahrheitsgehalt trägt Jung-Stilling dann noch nach:
So weit die schöne Erzählung dieser intressanten Geschichte, vom Herrn Kirchenrath Hebel. Es befinden sich noch etliche Offiziere in Carlsruhe, die mit unter den Gefangenen waren, und die pünktliche Wahrheit dieser Geschichte bezeugen. Diese erfuhren, daß der Schneider von Pensa noch ei= / nen [S. 119:] nen Bruder in Bretten habe; sie waren noch so warm von Dankgefühl, daß sie diesem ehrlichen Bürger auch noch erkenntlich seyn wollten, allein dieser gute Egetmeyer schlug es ab, und sagte: Mein Bruder hat seine Schuldigkeit gethan.
Es würde wir [sic; mir] leid seyn, wenn einer unter meinen Lesern fragen könnte: ob der Schneider von Pensa auch wohl erweckt sey? oder gar: zu welcher Religion er sich bekenne? So fragt unser Herr an jenem Tage nicht, sondern nur: Wie hast du geliebt? Der Schneider von Pensa ist ein treuer praktischer Ausüber der Religion der Liebe. Der berühmte Philipp Melanchthon war auch von Bretten, diese Stadt sollte beyden Bürgern Denkmahle zur Nacheiferung errichten.
 
Vgl. zu Bretten und Melanchthon z. B.: Gerhard Schwinge: Melanchthon in der Druckgraphik. Eine Auswahl aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Dokumentastion einer Ausstellung aus den Beständen der Graphiksammlung des Melanchthonhauses Bretten präsentiert aus Anlaß der 5. Verleihung des Melanchthonpreises der Stadt Bretten a 20. Februar 2000. Hrsg. v. Günter Frank. (Ubstadt-Weiher:) verlag regionalkultur (2000. ISBN 3-89735-131-5.)
 
 
 

Jung-Stillings Bemühungen um seinen Sohn Friedrich

Ungedruckt ist bisher ein Brief Jung-Stillings an seinen Schwiegersohn Friedrich Heinrich Christian Schwarz vom 18. Oktober 1809 geblieben. Johann Heinrich Jung-Stilling hatte große Probleme mit seinem Sohn Friedrich (vgl. zu diesem hier), um ihn geht es hier, wenn es heißt:
"Ich habe nun mit den Lehrern des Gymnasii und auch mit andern gelehrten, und hier bekannten Männern gesprochen, und mich erkundigt, allein es ist in ganz Carlsruhe nicht möglich jemand zu bekommen, Der meinem Sohn [Friedrich] Stunden im Lateinischen geben kann, ich fande also keinen andern Rath, als mich an Den Director Hebel zu wenden, ihn examiniren zu lasen, und alsofort ins Lyceum zu schicken; ich gab dem braven Hebel Ihren Aufsatz, und laß ihm sogar Ihren Brief an mich vor, um den lieben Mann in Ansehung Friedrichs ganz au fait zu setzen,"
und wo es kurz darauf heißt:
"Hebel ist ein Vortreflicher Mann, und ich darf wohl sagen, mein wärmster Freund in Carlsruhe."
Natürlich ist bei dieser Einschätzung Hebels durch Jung-Stilling die Situation zu berücksichtigen!
 
 
 
Gustav A[dolf]. Müller: Goethe in Straßburg. Eine Nachlese zur Goethe= und Friederikenforschung aus der Straßburger Zeit. Mit vielen neuen Abb. Leipzig: Heyne 1896, meint, dass Hebel auf Grund seiner Beziehungen zur Familie Brion ein getrübtes Verhältnis zu Jung-Stilling gehabt haben könnte, da dieser damals in Goethes Umgebung gewesen war. Allerdings sagt er auch, dass Jung-Stilling diese Beziehung Goethes nicht billigte. Er schreib weiterhin auch a. a. O. S. 43: "bei Hebel trafen sich auch Goethe und Stilling".
 
 
 

Kalendermänner

Wenig beachtet worden ist bisher, dass auch Jung-Stilling sich als "Kalendermann" betätigte. Vielleicht ergaben sich aus dieser Tätigkeit Aversionen zwischen Hebel und Jung-Stilling. Immerhin hatte Jung-Stilling bereits in den Kalendern publiziert, die Hebel später als Herausgeber betreute.
Zugleich mit Hebels Publikationen gab Jung-Stilling den "Grauen Mann", seinen "Christlichen Menschenfreund" und das "Taschenbuch" heraus, war damit auch Konkurrent Hebels.
Wilhelm Engelbert Oeftering meint 1937 (Bd. 2, S. 29): "Mit der lebenswarmen, volksnahen und künstlerisch reinen Kalender=Arbeit Hebels hat die fromm=belehrende Note Jung=Stillings [im Taschenbuch] keine Berührungspunkte."
 
Beide gaben ja auch "biblische Geschichten" heraus; für Hebel ziehe man die kritische Ausgabe von Adrian Braunbehrens/Gustav Adolf Benrath mit ihrem Band 5 heran (ISBN 3-7880-9805-8, Karlsruhe: Müller 1991), für Jung-Stilling siehe man hier.
Vgl.:
Gerhard Schwinge: Hebels "Biblische Geschichten" von 1824 im Vergleich mit ebenfalls in Baden verbreiteten oder entstandenen Bibelbearbeitungen für Kinder von Hübner (1799/1811/1817), Schmid (1810/1813), Galura (1806) u. Ewald (1814-1817) sowie Grimm (1817) und Jung-Stilling (1806-1816). – In: Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichtehrsg. v. Udo Wennemuth, Albrecht Ernst, Thomas K. Kuhn. Bd. 3, Stuttgart: Kohlhammer 2009, S. 223-246.
 
Gerade in Straßburg standen die Männer in Konkurrenz. Viele Texte Hebels werden hier publiziert. So z. B.: Der große Schwimmer, Unverhofftes Wiedersehen (mit Kupfer), Hochzeit auf der Schildwache, Heimliche Hinrichtung (mit großem Kupfer) und andere.
 
Vielleicht sollte man diese Problematik zwischen den beiden Erzählern in einem Abschnitt über Jung-Stilling als Erzähler einmal detailliert darlegen.
 
 
 

Eine Verwechselung: Bericht eines Reisenden 1813

(Johann) Stephan Schütze (1771-1839) reiste im Oktober 1813 durch Deutschland und veröffentlicht seinen Reisebericht 1815-16. Hier verwechselte er zunächst den katholischen Pfarrer Hebel mit dem Kirchenrat Hebel und berichtet dann von seinem Besuch bei Jung-Stilling. In dem Bericht heißt es u. a.:
 
Den 27. Oktober reiste ich nach Karlsruhe ab. […]
Karlsruhe besuchte ich vorzüglich deßhalb, [S. 121:] um einige berühmte Männer von Angesicht zu schauen. Die Stadt selbst machte in ihrer Fächergestalt mit den nach den [sic] Schlosse hinauflaufenden graden Straßen nicht den schönen Eindruck, den man davon erwartet, und zwar – was selten ist – aus dem Grunde, weil die Straßen gar zu breit und die Häuser dagegen zu klein sind, wobei man gar nicht recht das Gefühl vom Befinden in einer gesellig zusammenwirkenden Stadt bekommt, sondern sich fast immer noch auf offener Straße zu befinden glaubt. – Ich eilte vorzüglich, dem Verfasser der allemannischen Gedichte, dem gemüthlichen Hebel, meine Aufwartung zu machen; durch eine Namenverwechselung kam ich aber zu einem katholischen Geistlichen. Dieser, ein sehr gutmüthiger Mann, empfing mich sehr freundlich und sagte: Je, woher wissen Sie denn von mir? woher kennen Sie mich denn? Ich berief mich auf seine Schriften. Schriften, wie? – Er fing an, sich zu besinnen und schien wirklich etwas geschrieben zu haben. Als ich ihm aber die allemannischen Gedichte nannte, wusste er doch nicht, daß [S. 122:] er jemals dergleichen hatte von sich ausgehen lassen. Das Mißverständnis kam an den Tag, und er rief seine gute alte Köchin, daß sie mir den rechten Weg zum Kirchenrath Hebel zeigen möchte. – Hier wurde ich im Grunde wieder überrascht, denn man hatte mir gesagt, daß dieser Mann sich viel unter gemeinen Leuten aufhalte, und darnach hatte sich auch meine Vorstellung von ihm gebildet; indeß ich fand einen eben so gesetzten als feinen Mann, der in seinem Ansehn Ernst und Würde mit den Spuren eines heiter=geselligen Lebens verband, wobei die Erinnerung an seine frühere Jugend (die erste Quelle seines poetischen Lichts) einen milden Schimmer kindlicher Friedfertigkeit auf die festen Züge seines männlichen Antlitzes warf. Es war mir aber nur kurze Zeit vergönnt, mich mit ihm zu unterhalten, indem ein Herr kam, der mir seine Schwiegermutter zur Reisegefährtin nach Stuttgard empfahl; und weil Hebel sagte, daß die Gelegenheiten dahin nicht sehr häufig wären, so ging ich gern in den Vorschlag ein. – Doch unterließ ich nicht, zuvor noch den Hofrath [S. 123:] Jung, genannt Stilling, zu besuchen. Ich erwartete den Anblick eines Schwärmers, eines Geistersehers, dessen Aeußeres der seltsamen Thätigkeit des Innern entspräche, sah aber einen ehrwürdig=gutherzigen Greis vor mir, mit Augen voll Klarheit und voll Verstand. Mir fiel dabei wieder ein, daß in jeder Art sich doch der ausgezeichnete Geist kund giebt. Er erzählte mir, wie er auf den Einfall gekommen sei, das Erscheinen der Geister erklären zu wollen. Der verstorbene Markgraf hatte ihn zuerst dazu aufgefordert nach einem Gespräche über die Unsterblichkeit der Seele, und nach der Erwägung, wenn Geister erscheinen könnten, wie dieß nach unsern Kenntnissen wohl denkbar oder möglich sei. Seine Schrift sollte also, sagte er, weiter nichts als ein aus bloßer Wißbegierde angestellter Versuch seyn, einmal von dieser Seite die Möglichkeit von der Fortdauer der Seele nach dem Tode zu beleuchten, und wohl nur aus Mißverständniß sei er deßhalb von vielen so angeschrieen und verketzert worden. Darauf kam er auf die Theologie zu sprechen, die sein Lieb= [S. 124:] lingsstudium ausmacht, (jeder Arzt hat in der Regel sein Nebenstudium) und er meinte, daß auch Bonaparte, wie er anfangs fälschlich geglaubt, noch nicht der Antichrist und jetzt überhaupt noch nicht das Ende des tausendjährigen Reichs erschienen sei, wo alle Heerden zu einem Hirten zurückkehrten. Ohne gleiche Ansichten mit ihm zu theilen, konnte ich doch dem vielseitig regsamen Geiste dieses Mannes und seiner Biederherzigkeit meine Achtung nicht versagen. [Neues Kapitel mit Überschrift:] Königreich Wirtemberg. / Nachdem ein Besuch bei dem Oberkirchenrath Ewald fehlgeschlagen war, indem ich ihn nicht zu Hause traf, rüstete ich mich eilfertig zur Abreise […]
 
 
 

Zur "Theorie der Geister-Kunde"

Johann Peter Hebel schreibt am 6. April 1808 [!] an Pfarrer Hitzig in Rötteln über die "Theorie" und das Verbot derselben in Württemberg und Basel:
"Für das baslische Gutachten, nach dem Faktum, meinen Dank. Es macht dem alten Antistes Ehre. Dir wird es ein Tröpflein Balsam gewesen sein auf das Haupt. Ich gestehe, daß ich von der schwarzen Frau im Jung, nie viel mehr gefürchtet habe, als von der weißen im Schloß. Ich sah seine Geister, wie den letzten Zug Schneegänse an, wenn sie heimkehren im Frühjahr. Eben so viele derer, die noch im Schwanken waren, hat er geheilt, als kränker gemacht. Die zwey schärfsten Nägel zu seiner Kreuzigung aber müssen ihm die zwey Verdammungsurtheile des frommen Standes Basel und des orthodoxen Ministeriums in Würtenberg [sic] gewesen seyn. Es war eine Zeit, wo er sich herausziehn, und sagen konnte: Habt ihr denn nicht gemerkt, daß ich den Geisterglauben lächerlich machen, und der Hydra den letzten Hals brechen wollte. Aber geehrt sey er für den Heldenmuth, der lieber gegeiselt und verspottet und mit Fäusten geschlagen und gekreuzigt werden will, eh er der Wahrheit (sey es auch nur der seinigen) untreu werden kann."
(Das "Abgefordertes / Gutachten / einer / ehrwürdigen Geistlichkeit / der / Stadt Basel / über / Herrn Dr. Jung’s genannt Stilling / Theorie der Geisterkunde" das Pfarrer Emanuel Merian am 18. November 1808 aufgrund der Aufforderung vom 24. September 1808 angefertigt hatte, erschien mit dem Druckvermerk 1809. – Sollte der Brief Hebels falsch datiert sein?)
 
 

Ein Gedicht Hebels aus dem Jahr 1804

 
„[...]
Was da haben die Männer in Baden gemacht?
(auch ich hab Träum’ und Gesichter)
Jung warf in die Apokalyptische Nacht
ein par schöne romantische Lichter
Da lagen die Auen gedehnt,
nach denen das Heimweh sich sehnt.
Hingegen Herr Fein
warf Schwärmer drein.
Da sagte Hr. Ewald: ‘O schont
des Leuchtens! Ich bin ja der Mond!’
Wills so nicht behagen
will ich anders es sagen.
Herr Stilling schaute ins Dunkel hinauf
er erspäht’ in der neblichten Ferne
Jerusalems leuchtende Sterne
da thürmte sich Fein in Gewittern auf,
und umhüllte die flimmernden Sterne,
und windet’ und donnerte drauf und drauf
und blizte mit Bengels Laterne.
Da löste Herr Ewald den Wetterdunst auf;
[...]“