Jung-Stillings politisches Glaubensbekenntnis

1788

 
 […] so will ich noch einmal mein politisches Glaubensbekänntniß ablegen, […]. Dann aber will ich diese Sache beruhen lassen.
 
Da der Deist keine göttliche Kraft zur Tugend glaubt, so ist er nur dann tugendhaft, wenn entweder in seinem Temperament keine mächtige Reize zum Laster liegen; oder wenn ihn die Umstände so leiten, daß ihm die Ueberwindung leicht wird; oder endlich, wenn sein Verstand so durchdringend ist, daß er die Tugend in aller ihrer Herrlichkeit anschaut, und also mit Mannskraft das Laster überwindet; indessen würkt die Bibel wenig auf ihn, sie ist seiner Vernunft unterworfen, und wenn er auch die Unsterblichkeit der Seelen, und einen bessern Zustand nach diesem Leben glaubt, so hat er doch keinen Begrif von den furchtbaren Strafen, die in jenem Leben auf das Laster warten, nur allein die Tugend selbst muß ihn mit ihren Reizen locken. In allen diesen Stücken, ist der Socinianer mit ihm von einerley Gesinnung. Kan dies alles wohl geläugnet werden?
 
Wenn aber nun das alles wahr ist, und wenn uns alle Erfahrung überzeugt, daß unter zehn tausend Menschen kaum einer in dem Fall ist, als Deist oder Socinianer tugendhaft zu seyn, weil obige Erfordernisse ausserordentlich selten angetroffen werden; ferner: wenn der Glaube an einen Gottmenschen, der durch seinen Geist noch immer an den Herzen zur Besserung fortwürkt, der die willige Ertragung der Leiden, das Ringen nach Tugend, und die Tugend selbst überschwenglich belohnt, die Sünde aber erschrecklich bestraft, und überhaupt der Glaube an eine Erlösung durch Christum seinen Bekennern eine Kraft giebt wahrhaft tugendhaft zu werden, diese Kraft mag nun Enthusiasmus seyn oder nicht; was ist dann die Pflicht des Gesezgebers, des Lehrers, des weisen Mannes, und – des Freymaurerordens? Warlich! Warlich! den Deismus und den Socinianismus so sehr zu hindern, und die wahre, reine Bibelreligion ohne Verdrehung nach dem wahren Wortverstand so sehr zu befördern, als nur immer möglich ist. Doch gnug von diesem!