Ode an Jung, da er von Strasburg abreißte.
Als Jung-Stilling am 24. März 1772 aus Straßburg abreiste, widmete ihm sein Kommilitone Johann Michael Ott (1752-1792) das folgende Abschiedspoem. Gedruckt wurde es erst 1780 wieder aufgefunden. Der übliche Einzeldruck als Carmen ist verschollen.
Johann Michael Ott (geb. Straßburg 11. Januar 1752, gest. ?; immatrikuliert Straßburg 30. September 1766; ab 27. Juli 1775 J. U. L. [juris utriusque licentiatus, d. i. Lizentiat beider Rechte]; Freund von Jakob Michael Reinhold Lenz).
Es scheint eine Art von Tradition derartiger Gedichte zu geben, denn Heinrich Leopold Wagner fertigte ebenso ein (wieder aufgefundenes) Abschiedspoem an:
„Apolls des ersten Bänkelsängers Leben und Thaten auf dieser Welt, nebst seiner letzten Willens=Ordnung, allen seinen unächten Söhnen, die nichts von ihm erhalten haben zum Ärgernis, dem Herrn, Herrn David Friedrich Döllin, Med. Lt. aber bey Seiner Abreise aus Straßburg, zur nöthigen Einsicht kund gemacht, und übergeben von einigen Seiner zärtlichsten Freunde. Straßburg: Lorenz o. J.“
Ode an Jung, da er von
Strasburg abreißte.
— — — — — — — — heiß den Tag still stehen,
heiß ihn seinen Wagen zurücktreiben, und wiederbringen
Den vergangenen Zeitlauf, die gegebene Stunde wieder
geben
— — O könnten gestrige Tage künftig werden!
Young zweyte Nacht.
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Jezo brennet mein Herz, voll Gefühl ist jetzt
meine Seele, drum will ich dichten, dichtend
die Wahrheit sagen; klagend will ich, Jung,
von deinem Abschiede singen, thränend mein
Leiden entwerfen, das dein Abschied zeuget;
denn ich liebe dich — sehr.
Hätt' ich die dichterische Seele von Albions
Nachtsänger, meinen Kiel würd' ich dann in
Nacht tauchen, um desto besser meine Traurig=
keit zu schildern; nervichter würd' ich dann mei=
nen Schmerz mahlen. Doch — laß es seyn
ohne Muse soll jetzt meine Empfindung
reden. —
Ehe sie redet, entferne dich, den die Freund=
schaft noch nicht gewürdigt, in ihr Heiligthum
zu schauen! Unfähig ihre warmen Ausdrücke zu
fühlen, würdest du verlachen, Enthusiasmus
und Romanenliebe schreyen. —
Könnt ich Dämme bauen gegen den Ein=
bruch der Zeit! könnt ich ihrem reissenden Strom
Einhalt thun! wie gern wollt' ich. — Aber
sie ersäuft den Arbeiter — sie reißt mich fort.
Eins wünscht' ich, brüderliche Seele! Ne=
ben dir schwimmen zu können, bis an der Zeit
Ausfluß; mit dir das stille Meer zu grüsen,
welches den Strom der Zeit verschlinget.
Angst beklemmt meine Brust, wenn ich den
Zeitpunkt bedenke, der uns trennen wird, wie
Sohnes Angst, wenn der Vater stirbt. —
An dem Tage scheine du Sonne! wirf milde
Strahlen in meinen Kummerbehälter, daß der
Tag nicht allzugrauenvoll seye — damit ich
weinen könne.
Soll ich denn nimmer am langen Sommer=
abend die Feuersbrunst des westlichen Himmels
staunend mit dir betrachten, wenn das Licht der
Welt unsern Gesichtskreis verlässt? —
Nimmer mit dir Erwins prächtiges Denk=
mal, den Zeigefinger Gottes beschauen? —
Soll ich dann nimmer — o der Gedanke
drückt mich zu Boden — meine Seele in die
Deinige giesen, und für dies die Deinige em=
pfangen? — — —
Ich muß inne halten und weinen. — —
O wann ich dann einsam gehe, wird mein
Geist, in Schwermuth gehüllt, laut nach dir
schreyen — niemand wird ihn hören (dies
weis ich) als — ich und du, wenn auch
Meere uns trenneten, und Königreiche zwischen
uns lägen.
Ein Kleinod lässt du uns zurück, auch einen
Zögling der Freundschaft; Du kennest ihn wohl,
er ist lieblich, wie der holde Lenz; aber —
auch er wird mich verlassen; ein anderer Him=
mel, der dich und mich nicht decket, wird ihn
decken. —
Wär mirs doch gegeben, den Erdball zu=
sammen drücken zu können, um Entfernung
nahe zu machen.
Ott.