H[ans]. Conrad Schiede, d. i. Johann Konrad Schiede; geb. 6.09.1760 in Kassel, gest. Appenheim 19.09.1826, war Hofprediger zu Meerholz, dann – nach seiner Streitigkeit  mit Valentin Heinrich Fresenius – bei Alzey im Hessischen.

 

Schiede wählte sein Pseudonym nach dem griechischen Gott der Satire und unterzeichnete seine gesellschaftskritischen Abhandlungen so mit „Momus“.

 

Das Landesarchiv Sachsen-Anhalt verwahrt unter der Signatur A 37b I, I 5 Nr. 30 die Akte: „Die auf Requisition der gräflich Isenburgischen Regierung zu Meerholz vorgenommene Untersuchung wider den Buchhändler Henning wegen der verlegten Broschüren ‚Momus allerneueste Reisen ins Innere von Afrika’ und ‚Die privatisierenden Fürsten’ von Johann Konrad Schiede“. Zu leicht waren die Hauptpersonen „Fersenno“ mit seiner beschränkt-bösartiger Frau „Madame Xantippe“, die das Leben des Oberpfarrers „Separius (also Schiede) erschwerten, zu identifizieren: Es waren der Meerholzer Leiter des Regierungskollegiums, [Samuel] Valentin Heinrich Fresenius (geb. Schlitz 27.12.1752, gest. Gelnhausen 20.01.1819), samt Gattin (seit 26.2.1783) Karoline Friedrike geb. Müller (geb. Grumbach 3.08.1754, gest. Hailer 30.03.1814).

 

In dem zweiten Band seiner in Erfurt bei Wilhelm Hennings erschienenen Schrift

 

„Die privatisirenden Fürsten. – – Bundesstadt, 1802.“ 1802.

 

heißt es S. 277:

„Im ersten Theile der privatisirenden Fürsten rede ich von der Siegesgeschichte, durch deren Bekanntmachung Hr. Hofr. Jung so viel Schaden stiftete, denn solche Schwärmereen untergraben alle Moralität. Ob sie gleich vielleicht unter allen Schwärmereyen allein verdienen mit bitterm Spott entkräftet zu werden, so ist doch mein Ton zu schneidend. Ich wünsche, daß kein junger Mann darüber die Achtung aus den Augen setzen mögge, die Herr Jung, als geschickter cameralistischer Lehrer verdient, aber auch, daß Hr. Jung mit dergleichen zum lieblosen Verdammen führenden Schwärmereyen, die den Antichrist verrathen, die Welt verschonen werde.“

 

Schiede schreibt Bd. 1, S. 98 ff:

„29.

Gelehrte Nachricht.

Die Rawische Buchhandlung zu Nürnberg hat sich durch den Verlag folgender Schrift ein unsterbliches Verdienst um die gesammte Menschheit erworben.

‚Die Siegsgeschichte der christlichen Religion in einer gemeinnützigen ? Erklärung der Offenbarung Johannis. 1799. 606 S. 8.

Narren behaupteten

            Gütig hüll in Finsternissen

            Gott die Zukunft ein.

Die fromme heilige Hand eines weisen Sehers griff der Zukunft unter den Rock, und enthüllt uns, in diesem Meisterwerk, ihre verborgensten Geheimnisse. Der fürstlich hessische Herr Hofrath J**, ein großer Staarstecher, hat denn endlich der armen Menscheit den Staar gestochen. Nach seiner Erklärung erscheint das Ende der Welt in den Jahren zwischen 1800 und 1836. Nach dem hocherleuchteten Herrn Hofrath ist ein gewisser Corse, [Napoleon] der die Welt dermalen kurranzet, der Antichrist, oder wenigstens eine Klaue von demselben. Paris und London sind nur Katzenställe gegen das neue Jerusalem in wlechem alle gläubige Seelen Nectar und Ambrosia schlürfen werden. Jede Seite der herrlichen Stadt beträgt 257 ½ deutsche Meilen, auch die Höhe beträgt eben so viel.

 

Me: Siegsgeschichte S. 576.

 

Wenn der unaussprechlich schöne Bau im [S. 100:] gelobten Lande, oder vielmehr im abendländischen Asien steht, so kann der obere Theil ganz bequem von allen hohen Bergen Deutschlands gesehn werden. Herr Hofrath J**. soll deswegen supplicando eingekommen seyn, dem Oberforstmeister von W**

 

Me: Karl Ludwig Eberhard von Wildungen (1754-1822) seit 1787 Regierungsrat, ab 1799 Oberforstmeister in Marburg.

 

 zu befehlen, ihm das, auf der Höhe von Marburg liegende, Schloß zur Warte einzuräumen, damit er täglich ein paar Stunden durch ein Fernrohr von Herschel,

 

Me: Friedrich Wilhelm Herschel geb. Hannover 15. November 1738, gest. Slough bei Windsor 25. August 1822.

 

 nach Asien spekuliren könne. Ja, um den Anblick des neuen Jerusalems sogleich unfehlbar zu genießen, will er, in der Folge, sich den Sommer hindurch. auf der Wilhelmshöhe bey Cassel im Hintergestell des großen Christoffels

 

Me: Christoffel wurde in Anlehnung an den der einheimischen Bevölkerung im Gegensatz zum Herkules bekannte Christopherus, der von riesenhafter Gestalt gewesen sein mußte, der Kasseler Herkules lange genannt.

 

ein Zimmerchen einräumen lassen, und da in heiliger Inbrunst knieend auf der Lauer liegen.

Da die riesenhaft fromme Einbildungskraft des Herrn J** die Statur des Engels, der die Stadt maß, fünf deutsche Meilen hoch angiebt, so soll man ihm von Seiten der französischen Regierung, die, wie bekannt, Geschmack am Großen hat, den Antrag gemacht haben, zu seiner Wohnung, eine der größten Pyramiden von Palmira aus den höchsten Gipfel der Schweizergebirge transportiren lassen zu wollen, wenn er ihr ein Regiment solcher Engel zur Consulargarde [S. 101:] aus dem Himmel, wo er zu Haus ist, verschaffen und zugleich ein Mittel angeben wolle, durch welches sich der erste Consul mit seinen, fünf deutsche Meilen hohen, Gardisten, so gut wie der heilige Johannes, in Rapport setzen könne. Entspricht J** dem Wunsche der französischen Regierung, so sieht die französische Garde auf die preußisehe und hessische wie auf Zwerge herab. Die batavischen Tuchfabriken werden zur Montirung dieser Riesen einen schönen Absatz haben. Das deutsche Reich soll die Leitern liefern, mit deren Hülfe die Schneider den Riesen das Maas zu den Colletten [Halstuch, Halskragen] nehmen.

Alles was nicht in die schöne Stadt Jerusalem aufgenommen wird, muß nach der Erklärung des liebreichen Herrn Hofraths in den Feuerpfuhl der Hölle links abmarschiren, um daselbst in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten zu braten. Welche Freude und Seligkeit werden die begnadigten glaubigen Einwohner des neuen Jerusalems genießen, wenn in ihre heiligen Nasen der Bratengeruch so vieler Millionen ewig verdammter Mitmenschen hinaufsteigt, wenn sie, ungeachtet der bevestigten großen Kluft, das laute, ewige Jammergeheul der Unläubigen, gleich einer süßen Musik, vernehmen! [S. 102:] Schon itzt muß es sehr die Humanität aller Frommen befördern, daß ihnen Bruder J** diese herzerhebende Aussicht durch seine Erklärung der Apokalypse gab. Rührend sagt der fromme Seher S. 535. „O ihr Blinden und Tauben! wißt ihr nicht und wollt ihr nicht wissen, daß nicht unser Gott, die ewige Liebe, diesen Quaalort erschaffen hat? sondern ihr selbst habt durch eure Greuel diese Pfütze eingedämmt, euern Unrath dahin geflößt, und durch eure Wuth? *) gegen alles, was heilig ist, den Schwefel angezündet; wer kann nun dafür?

Da Bruder J** schon durch mehrere Schriften, unter andern durch Stillings Heimweh, oder wie der Geheimerath Baldinger richtiger liest, Stillings Hirnweh,

 

Me: Auch Karl Julius Weber sprich 1834 davon. Baldingers Zitat konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

 

 sich verdächtig gemacht hat, daß es ihm unter seiner frommen Kappe ein bisgen stark rappelt, so soll nunmehrs der medicinischen Facultät zu Marburg, besonders dem Oberhofrath Michaelis, vom Herrn Landgrafen der gnädigste Befehl zugegan=

            gen

*) Das geht auf die Engländer. Wir sind wieder bis zum Exceß römisch katholische Christen.

Anm. eines Neufranken.

[S. 103:] gen seyn, ihn unter Aufsicht zu nehmen. Baldinger soll schon vor einigen Jahren, als J** wahrend seines Prorectorats, sich so unvernünftig heimtückisch in der Ordensgeschichte benahm, auf die Anwendung des Trepans angetragen haben.

Wie aber in aller Welt wars möglich, rief Valmont, daß diese tolle und tollmachende Siegsgeschichte eines hartherzigen Schwärmers, an irgend einem Orte, die Censur passiren konnte? Falks

 

Me: Sicherlich Johannes Daniel Falk (1768-1826).

 

vortreffliche Schriften, und der aufheiternde, lehrreiche Momus

 

Me: Der Autor also selbst gemeint. – Vgl.: Die hohe Kapsel des Momus oder der Teufel unter den Sauen. Ein Buch für Jedermann. Kosmopolis, 1795 (= Altona: Richter 1795, 204 S. – Nach Int.-Bl. z. ALZ Nr. 117, Sa, 1795-10-10, Sp. 941: Juni 1795 in Wien verboten. – Rez. z. B. in GAgSS. 517. 1796, Bd. 1, S. 517.

 

 werden confiscirt. J** aber darf, ohne Schwierigkeit zu befürchten, Kopf und Herz verkrüppeln und erhält das Imprimatur! Welch ein Widerspruch!

 

Im dritten Band, erneut Erfurt: Wilhelm Hennings, findet sich dann folgende Stelle:

 

„Die privatisirenden Fürsten. Dritter Theil welcher die Duodezmonarchen enthält. – – Babylon 1804.“

S. VII ff.

„Ich habe keine einzige Zeile geschrieben, welche als schädliches Gift könnte betrachtet werden. Oder, ihr Herrn Büchercensoren! haltet ihr's etwa für Gift, wenn ich schlechte Regenten als [S. VIII:] schlechte Regenten schildere, um eben dadurch gute Regenten in ihrer ganzen Ehrwürdigkeit darzustellen? Wenn ich einen Kannibal und Caspar als Kannibal und Caspar male, um das Volk zum lebhaftesten, frohen Dankgefühl zu ermuntern, welches keinen Kannibal und Caspar aus der Erfahrung kennt? Ich verzeichnete außerdem vorsätzlich alle meine schlechten Charactere so sehr zu Carricaturen, um es auch dem boshaftesten Deutler unmöglich zu machen, irgend ein wirkliches Wesen, als porträtirt, zu glauben. Wer also darum meine Schriften verbot, weil sie Carricaturgemälde enthalten, der scheint überzeugt zu seyn, wir hätten unter unsern Regenten noch [S. IX] wirkliche Herzöge Kannibalen, Caspare und Vulcane &., die es übel nehmen könnten porträtirt zu seyn. Ein schönes Compliment! das ich mir sehr verbitten würde. Aber, warum entwarfen Sie dergleichen abscheuliche Carrikaturgemälde? Ihr Herrn! warum malte uns Shakespear das abscheuliche Bild eines Kalibans? Verlor oder gewann dadurch das Bild schöner Menschlichkeit, das er uns in Miranda schenkte? Haben Sie meinen Valmont und ihm ähnlich geschilderte gute Fürsten ganz übersehn? Oder verdient ein Werk verboten zu werden, weil darin die Ehre guter Regenten, wie z. B. eines Königs von Preußen, eines Churfürsten von Pfalz= [S. X:] Baaden, Hessen, Herzogs von Sachsen, Gotha &. und besonders Dalbergs öffentlich gepriesen, weil dann das Volk ermuntert wird, nicht unmögliche unmäßige Foderungen an seine Regenten zu machen? Mehr zu meiner Rechtfertigung findet man im Brillenpulver und Augensalbe, welches ich meinen Verleger bat mit diesem Werkchen auszugeben, welche wenigen Bogen mir in einer sehr traurigen Periode meines Lebens abgenöthigt wurden. Was meine Aeußerung über die heillosen, von keiner Censur verbotenen, apokalyptischen Schwärmereien des Hrn. H. Jüngs [sic] betrifft, so verweise ich auf das, am Schlüsse der Apologie ach! des Erbadels, Gesagte.