Die Güter Lenkonischken und Nesselbeck und der Sandverkauf

 

Wie immer ist HAGEN die zu ergänzende Grundlage der Forschung:

 

HAGEN S. 21: „Die Mutter befand sich damals nicht in Littauen, sondern im Samlande auf ihrem Gute Nesselbeck. Obgleich dasselbe nur eine Meile von Königsberg entfernt ist, so besaß die gnädige Frau noch eine Wohnung in der Stadt und führte hier, wie A. Lewald berichtet, dasselbe merkwürdige Leben, das bis zum heutigen Tage noch in Lenkonischken und Nesselbeck unvergessen ist. […] Wenn Besuch ausblieb, so unterhielt sie sich herablassen mit den Dienstleuten, erklärte ihnen die Bedeutung der hölzernen Figuren im Garten, einer Flora und Pomona, und belehrte sie über die Sternenwelt. [S. 22:] Die Landwirthschaft betrieb sie in eigenthümlicher Weise. Sie gab weniger darauf, die Aecker zu bestellen als Schachten graben zu lassen, die ergiebig waren, wenn auch kein Metall zu Tage gefördert wurde. Der hier gewonnene schneeweiße Sand wurde begehrt und die Besitzerin hielt es für zweckmäßig, wo sich Adern desselben zeigten, sie mit bergmännischer Betriebsamkeit zu verfolgen, gleichviel ob in Folge der Unterwühlung Felder verloren gingen, oder Gebäude zusammenstürzten. Sie zog aus der Liebhaberei der Stadtbewohner, so lange der Vorrath reichte, in bequemer Art beträchtlichen Vortheil und die Fuhren, die täglich nach Königsberg gingen, verschafften ihr jährlich eine Einnahme von tausend und mehr Thalern. Freilich sank das Gut – eine Zeitlang, im Unglücksjahr 1806, befand sich auf demselben nur eine Kuh – durch die eifrig betriebenen Minenarbeiten immer mehr im Werth herab.“

 

KNAAKE ergänzt: „Leider ist das Leben der Kriegsrätin als ein wunderliches hingestellt worden. […] Als der Gipfel der Tollheit erscheint aber manchen Schriftstellern die Bemühung der Frau v. Schenkendorf, aus dem Verkauf von Sand eine Einnahme zu erzielen. Heinrich sagt in seinem Leben des Max v. Schenkendorf (S. 12): ‚Sie gewann wohl 3000 Mark jährlich durch den Sandhandel, verdarb aber ihr Gut (‚Nesselrode‘ [Me: so falsch in der Literatur bezeichnet bei Heinrich, Karl Sprang u. a.]) durch die immer weiter ausgedehnten Sandgruben gründlich.‘ Nun wissen wir aber aus dem Moratoriengesuch der Kriegsrätin, daß sie täglich für Milch- und Sandverkauf 3-4 Mark erzielt habe. Daraus folgt, daß sie jährlich noch nicht 300 Mark aus dem Sandverkauf einnahm.“

 

Zwei Themen seien hier vorgestellt:

 

Die Eheleute Schenckendorff kauften 1790-11-30 Lenkonischken

Lukjanowo (russisch Лукьяново, deutsch Lenkonischken, 1938 bis 1945 Großschenkendorf, litauisch Lenkoniškiai) – [Ludwig Christoph Franz] Kühnast (1813-1872): Statistische Mittheilungen über Littauen und Masuren. Bd. 3 = Nachrichten über Grundbesitz, Viehstand, Bevölkerung und öffentliche Abgaben der Ortschaften in Littauen nach amtlichen Quellen mitgetheilt von Kühnast, Teil 2, Gumbinnen: Selbstverlag 1863; S. 286, Nr. 32. – Kopp, Jenny (1855-1940: Beiträge zu Chronik des ostpreußischen Grundbesitzes. I. Teil: Regierungsbezirk Gumbinnen und Kreis Memel. Königsberg i. Pr.: Hartung 1913; Nr. 78, S. 149-151.

(bei Tilsit) für 7333 Thlr. 30 Gr. von Oberst-Wachtmeister Forselius (= Major);

Die Eheleute von Forselius und Louisa Dorothea Roehan werden genannt 1790 in GehStA Berlin, Findbuch 328 zu Rep. 31: OLG Königsberg Teil 1, S. 47. – GehStA Berlin III HA MdA, III Nr. 10356. – Wohl ein Sohn, Leutnant Forselius auf Schelleninken, subskribierte die „Vesta“.

es bestand aus Lenkonischken-Köllmisch, Lenkonischken-Erbfrei, Szameitkehmen und Pamletten. Damit hatte der Salzfaktor genug Arbeit. Am 1798-10-25 schreibt er an seinen Bruder:

Das Gutshaus in Nesselbeck, zum Kirchspiel Quednau gehörend wurde später zum Dorf und Ort: Orlowka (russisch Орловка, deutsch Nesselbeck) in der russischen Oblast Kaliningrad. – Brand am 1812-02-22.

köllmische Güter: Besitzer „der kleinen ländlichen Grundstücke, die man hier Köllmer nennt“ (Jahrbücher der preußischen Monarchie Jg. 1798, Bd. 2, Berlin: Johann Friedrich Unger 1798, S. 360). – Nach kulmischem Recht eingestufte (und damit freie) Siedler¸ waren keine gutsherrlichen Untertanen, durften aber selbst auch keine Leibeigene haben; das war ein Vorrecht des Adels. Sie bezeichneten sich selbst nicht als Bauern und wurden auch weder von den Bauern noch von den Adeligen als Bauern angesehen. Sie bildeten eine Art (soziale) Mittelstufe zwischen dem Bauernstand und dem Stand der adeligen Großgrundbesitzer. – Das köllmische Recht war besser als das magdeburgische und gestattete die männliche und weibliche Erbfolge. – Vgl. Berichte und Verordnungen [,] welche sich auf die Cöllmischen Güther beziehen. – In: Ernst Ferdinand Klein (Hrsg.): Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten, Berlin und Stettin, Bd. 22, 1803, S. 46-73.

„Mit meinem Nesselbeck bin ich in den 1 ½ Jahren sehr vorwärts gekommen; ich darf Dir nur sagen, daß zu 500 Scheffel Aussaat bereits gerodet, umgebrochen und 200 Scheffel davon auch schon im Herbst mit Korn besäet worden, welches vortrefflich gleich dem Brachkorn stand. – Das hat ein verhenkertes Stück Arbeit gekostet, besonders das Eggen. Es wurden so mancherlei neue Instrumente dazu erdacht und wieder verworfen. Desgleichen sind die alten Wiesen verbessert und durch Anlegung von Dünen und Schleusen unter Wasser gesetzt und neue dazu angelegt. Mein Bergwerk, was im Verkauf eine gewissen Art Sand besteht, welcher gegraben wird und den Königsbergern unentbehrlich geworden, war an 8 Sandfuhrleute verpachtet, die 40 Pferde hielten.“

Zum einen ist es sicherlich richtig, dass die Förderung den Boden zerstörte, zum anderen war dies ein gewohnter Erwerbszweig,

Siehe z. B. Friedrich Samuel Bock (1716-1785): „Versuch einer wirthschaftlichen Naturgeschichte von dem Königreich Ost= und Westpreussen. – Erster Band, welcher allgemeine geographische, anthropologische, meteorologische und historische Abhandlungen enthält“. Dessau: Verlagskasse und Buchhandlung der Gelehrten 1782; S. 425 ff. zum Boden um Königsberg; Sand wird gegraben.

der noch 1830 in Blüte stand.

[Johann Christian] Wutzke (1767-1842): Bemerkungen über die Ostseeküste von Pillau bis zur kurischen Nehrung und über die Gewinnung des Bernsteins in Preußen. (Fortsetzung.) Vierter Abschnitt. Ueber die Anschwemmungen und Höhenzüge des Bodens der Ostseeküste im Samland. – In: Preussische Provinzial=Blätter. Bd. 43, Königsberg: Hartung 1830, S. 59-66; S. 60 f.: „Der weiße Seesand wird theils noch geschwemmt oder gewaschen und zum Verkauf von dem Gut Nesselbeck, wo solcher gleich unter der Erdrinde und bei Lawsken &. unter der Torfrinde gegraben wird, nach Königsberg gebracht.“

Max von Schenkendorfs Vater scheint mehr geleistet zu haben, als man vielleicht wahr haben will. – In den Jahren 1806 und 1807 wurden die Güter geplündert, 1831 kaufte es Kaufmann Johann Wächter

Johann Wächter (1786-1853/5); Groß-Schenkendorf genannt, die von ihm errichtete Rübenzuckerfabrik stellte bald ihren Betrieb wieder ein.

und im Jahr 1858, am Weihnachtsabend, brannte das Gutshaus ab; die Gärtnerfamilie Budenings ließ es brennen. Auf den Mauerresten wurde ein Jungviehstall errichtet, der noch 1930 vorhanden war.

Bei der Gestaltung des Gartens hatte die Hausherrin Statuen der Pomona und Flora zum Schmuck aufstellen lassen. Nicht ohne Sinn, denn man war auf diesen Schutz angewiesen; war erstere doch die Göttin der Baumfrüchte, die zweite die Göttin der Blüte, im Besonderen der Getreideblüte.

Das Gerücht über eine aus Torf hergestellte Speise für das Personal dürfte frei erfunden sein. Die Redaktion der Karlsruher Zeitschrift „Die Pyramide“ läßt es sich nicht nehmen, die ostelbischen Bauern weiter zu verunglimpfen: Sie erinnerte an den „Simplicissimus“, der von einem ostelbischer Agrarier zu berichten wußte, das auf Gut von dessen Vater eine hervorragende Rübe wächst, ungenießbar zwar, aber doch eine gute Speise fürs Gesinde sei.

 

Es blieb bei dem Beschluss der Kommission, und der durchgefallene Prüfling, dessen Bewerbung vom 1808-07-09 um eine Stelle als Deputierter der Stadt Memel gescheitert war, dachte nun nicht daran, das Examen zu wiederholen, sondern auf dem Gut der Mutter Sand zu verkaufen. So schreibt noch Henriette Hendel-Schütz in Tilsit am 1811-12-26 an Johanna Motherby: „Ich sagte ihm [Georg Motherby] darauf, was ich gehört hätte, daß Schenckendorf nämlich seinen Nesselbecker Sand künftig selbst bewirthschaften, und sich dazu aus der Ferne die Wirthschafterin holen würde“.

 

HAGEN nennt noch ein zweites Thema:

 

Zum 1808-03-10 verfasste Max von Schenkendorf „Lenzes Beginnen“ und publiziert es in der Sammlung „Der / Königin. / Am / 10ten März 1808“. In einem „(Gemach in Albrechts Burg, vom vollen Mond erleuchtet. Pregolla sitzt an einer Wiege, ein schlummerndes Kind in ihrem Schooße *).)“ lautet eine Vorbemerkung, und die wohl von Max von Schenkendorf gegebene Anmerkung lautet: „*) Pregolla gab durch ihren Tod den Strom des Berges, Prigora, seinen heutigen / Namen. Bangputtis, der Gott der Winde. Sweixtix, der Mond. Pergu- / brus, der Frühlingsgott der Wiederbringer nach der Etymologie. Melle- / tele, die Wald- oder Farbengöttinn. Kurcho der Gott des Ackerbaues, der / Erbauer.“

Elsa von Klein bezieht sich auf dieses Gedicht unter Hinweis auf Werke von Johann Gottfried Hasse

Johann Gottfried Hasse (geb. Weimar 1759, gest. Königsberg 12.04. 1806) evangelischer Theologe und Orientalist; über seine Anträge und seine Paradies-Vorstellung siehe Allg. Litterar. Anzeiger 1798, Sp. 984 f.

1796  erscheint von ihm in Riga bei Hartknoch „Der aufgefundene Eridanus“ und später die zweibändigen „Entdeckungen im Felde der ältesten Erd- und Menschengeschichte“.

Der aufgefundene Eridanus oder neue Aufschlüsse über den Ursprung, die Zeit der Entstehung, das Vaterland und die Geschichte des Bernsteins nach griechischen und römischen Schriftstellern. Riga: Johann Friedrich Hartknoch 1796; zum Sand passim.

Entdeckungen im Felde der ältesten Erd- und Menschengeschichte, aus näherer Beleuchtung ihrer Quellen. Nebst Materialien zu einer neuen Erklärung des ersten Buchs Mose, (für jetzt der ersten drey Kapitel). Halle u. Leipzig: Johann Gottfried Ruff 1801

Entdeckungen im Felde der ältesten Erd- und Menschengeschichte, aus näherer Beleuchtung ihrer Quellen. Nebst Materialien zu einer neuen Erklärung des ersten Buchs Mose, zweyter und letzter Theil oder Vorgeschichte. 2. Teil. Halle u. Leipzig: Johann Gottfried Ruff 1805, S. 184 ff.: „Neunte Entdeckung.“

und fasst zusammen: „‘Das aus der Erde gegrabene Gold‘ ([Entdeckungen … S.] 49 und 191) hatte für Schenkendorf und seine Mutter eine besondere Bedeutung.“ Sie zeigt sich auch im „Bernsteinfischerlied“.

 

In den „Studien“ publizierte Max von Schenkendorf den Aufsatz „Der Menschheit veränderter Standpunkt“ und ebenso die „Nachschrift“; und für sein zweites Examen hatte „über die Verbindung des Lebens für Wissenschaft und Kunst mit dem Geschäftsleben“ nachzudenken. Alle drei Aufsätze scheinen ihm „dieselbe Materie in etwas berührt“ zu haben, und so ist er „dreust [= dreist] genug auch dieses zur geneigten Ansicht beyzufügen.“

 

Alle diese Texte sind bisher noch nicht gründlich untersucht worden.