Der Rheinhüter und Kaiserherold

 

Im August 1817 erscheint von Friedrich Rückert der „Kranz der Zeit“, in dem das Gedicht „Die vier Namen“ Max von Schenkendorf von „Deutschland [, … der ] verlassne[n] Braut,“ als „ihren Kaiserherold“ benannt wird.

Ernst Moritz Arndt verfasste, wohl anläßlich der Bestattung Max von Schenkendorfs, das Gedicht „Wer soll der Hüter seyn? Denkmal auf Max von Schenkendorf.“ Einleitend fragt er: „Wer soll dein Hüter seyn? / Sprich Vater Rhein !“ und endet das Poem mit „Und in dem grünen Glanz  / Liege sein Grab als Schanz,  / Liege als Ehrenwall  / Vor deiner Wogen Schwall.“ Von nun an hatte Max von Schenkendorf den Beinamen „Rheinhüter“.

 

Diese Nennung der beiden Beinamen reicht bis heute aus, um den Dichter Max von Schenkendorf zu „identifizieren“.

 

Hier einige Hinweise:

 

(Heinrich Friedrich) Otto Abel schreibt 1848 in seinem Werk „Das neue deutsche Reich und sein Kaiser“ (1848) S. 59: „Die Rheinlande sind in mannichfachen Beziehungen ein Bindeglied zwischen dem wesentlichen norddeutschen Preußen und den Staaten des südwestlichen Deutschlands geworden.“

Ein Bindeglied war Max von Schenkendorf, der am 1816-04-17 an Emma von Jasmund schrieb dass auch unter Schnee und Eis ihm das Rheintal „gleich einem Garten Gottes“ erschiene. Am 1816-05-20 hofft er im Brief an dieselbe: „aber nun soll der Strom auch ferner ungezwungen fliessen, wie es komt, durch Wiesen wo die Schäflein weiden, durch dunkle Felsen u. hohe Wälder, an schönen Städten u. alten Schlössern vorbey“.

1814-03-24 schreibt Max von Schenkendorf an Frau von Auerswald aus Karlsruhe: übersende ich „ein kleines Bild [,] vorstellend ein Denkmal der herrlichsten Zeit unsres Vaterlandes, das Münster zu Strassburg. Deutsche Kunst ist es die es erfand, und deutsche Hände haben diesen Koloss gethürmt - es ist daher nicht ganz ungeeignet zu einem Geschenk im Jahre 1814 wo von der Ostsee bis zum Wasgau das Wort Deutschland als Losung wiederhallt.“ 

1816-05-18, am Himmelfahrtstag, trägt sich Max von Schenkendorf in ein Stammbuch ein mit dem Gedicht Antwort 1814 (Es ist kein eitles Wähnen) und schreibt dazu: „Wie da oben Worte und Verse ineinander geschrieben, so sind in einander gewachsen Preußen, Hannover, Pfalz, Baden, Elsaß, Harz und Juragebirg und wie die deutschen Zungen und Stämme sonst noch heißen. Freundliche Erinnerung über den Rhein hier von Ihrem ergebenen Max von Schenkendorf. Karlsruhe, Himmelfahrtstag 1816.“

Robert Brendel (1889-1947) differenziert im Anschluß an Arndts Schrift, dass die Verbreitung der deutschen Sprache die Grenzen festlege. Max von Schenkendorfs „Muttersprache“ ist hier einzuordnen. Auch Max von Schenkendorf will Straßburg zurück haben (S. 180) und es fällt auf, wie selten Elsass und Lothringen im Gegensatz zum Rhein genannt werden. Ebenfalls will er Riga und Nowgorod eingemeinden. „Man sieht, wie wenig die Sache selbst bedeutete.“ (S. 182)

 

 

Hinweise:

Dieter Düding verweist 1984, S. 99, bei dieser Hoffnung auf eine grüne Landschaft allgemein auf das Frühlingsmotiv und dessen Bedeutung.

Siehe auch die Ruinenbegeisterung usw. …

 

Literaturhinweise:

 

Susanne Kiewitz: "Die Losung sei der Rhein". Die nationale Symbollandschaft Max von Schenkendorfs, in: dies: Poetische Rheinlandschaft. Die Geschichte des Rheins in der Lyrik des 19. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 2003, 125-133.

 

Veh, Markus: Die Rheinromantik und die Politisierung des Rheins. – In: Niederrhein-Magazin Nr. 22. Essen: 2016/17.

 

Walcher, Bernhard: Vormärz im Rheinland. Nation und Geschichte in Gottfried Kinkels literarischem Werk. Berlin u. New York: de Gruyter 2010. – ISBN 978-3-11-023128-1, ISSN 0083-4564. – Zugl. Diss. Heidelberg 2009. S. 258.

 

Rossol, Nadine (1978-): Performing the Nation in Interwar Germany. Sport, Spectacle and Political Symbolism, 1926-36. London: Palgrame Macmillan 2010, ISBN 978-0-230-21793-5.

 

Beller, Manfred / [Joseph Theodoor] Joep Leerssen (Hrsg.): The Rhine: National Tensions, Romantic Visions. Leiden u. Boston: Brill (2017). ISBN: 978-90-04-34405-1, ISSN 1568-1858; = European Studies, Band: 33.

 

Stephan, Heinz: Die Entstehung der Rheinromantik. Köln 1922 = Rheinische Sammlung Bd. 3

 

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Der Kaiserherold

 

Friedrich Rückerts Gedicht „Die vier Namen“ mit der Nennung Max von Schenkendorfs klingt wie ein Nachruf auf ihn. Erschienen ist es jedoch bereits im Januar 1817 und verkaufte sich im August des Jahres gut. In dem darin abgedruckten Gedicht „Die vier Namen“ behandelt Rückert Arndt, Jahn, Görres und

„Den vierten Namen nenn’ ich stracks

Und werde gern sein Preiser, 

Das ist von Schenkendorf der Max,

Der sang von Reich und Kaiser:

Der ließ die Sehnsucht rufen so laut,

Daß Deutschland ihn, die verlassne Braut,

Nennt ihren Kaiserherold.“

 

Entsprechen sieht Emil (Hermann August) Knaake (1852-1932) im Jahr 1909 die Hauptbedeutung Max von Schenkendorfs als Kaiserherold und Rheinhüter, während Alfred Brandstetter 1933/34 einschränkt: seine „Hauptidee ist das mittelalterliche Kaisertum.“

Édouard Schuré (geb. Straßburg 21.01.1841, gest. Paris 7.04.1929) meinte 1868 (deutsch 1870) in seinem Werk « Histoire du Lied » : « mais l'inspiration de Schenkendorf est troublée par une chimère, il rêve le rétablissement du vieil empire féodal et germanique. » („Aber Schenkendorf‘s Phantasie wird durch eine fixe Idee getrübt, durch seine Schwärmerei für die Wiederherstellung des alten deutschen Feudalreiches.“)

 

Nachdem Max von Schenkendorf als Agent in Karlsruhe gearbeitet hatte, kam es zur Anstellung „bei dem General=Gouvernement“ In Aachen, wo „der Kreisdirektor Neigebaur“ sein Arbeitskollege wurde.  Von ihm sagte Neigebaur, dass dieser sich „als Dichter, Aristokrat und Schriftsteller für die deutsche Sache […] lebhaft interessirte“.

Gemeint ist Johann Daniel Ferdinand [auch: Friedrich] Neigebaur, auch Neugebaur, Neigebauer/Neugebauer, geb. Dittmannsdorf 24.06.1783, gest. Breslau 22.03.1866.

Beide kannten einander, denn Neigebaur war für das Sommersemester 1802 als Theologie-Student an der Königsberger Albertina immatrikuliert.

Seit dem 1815-01-13, mit einem  Gehalt von 700 Thalern zuzüglich 4080 Thlr  für „Sonstiges“ im Jahr, war er in Aachen 1815. An Sack hatte er geschrieben: „Mein liebster Wunsch wäre Regierungs Rath unter den Augen Ew. Excellenz zu werden. Wo nicht dort, am liebsten in Cleve oder Cölln. Doch bin ich an keinen Ort gebunden.“ Als Vertrauter Sacks, zu dessen Verteidigung er viele Flugschriften usw. publizierte; stand er „dem Kreis der preußischen Patrioten nahe, der den Beginn der Reaktion ebenfalls mißbilligte“.

Die gemeinsame Arbeit ließ Max von Schenkendorf sicherlich viele Informationen zukommen, die dieser dann in den umfangreichen mahnenden Schreiben an Hardenberg (1815-11-28) und Stägemann verwendete. Max von Schenkendorf war durch seine Beziehungen nicht ganz ohne Einfluss.

Bereits am 1815-11-16 hatte Johann August Sack an Friedrich August von Stägemann geschrieben: „Ich bitte also dieses bey dem Herrn Staats-Kanzler [Karl August von Hardenberg] bestens zu unterstützen und mir wo möglich von dort aus, durch Herrn Neigebaur oder von Schenkendorff dazu eine bestimmte Authorisation zu verschaffen.

 

[Paul Otto] Werner Deetjen (1877-1939) wies 1916 erstmals die „Spezialforschung“ auf Max von Schenkendorfs „interessante“ Äußerungen in Neugebaurs „Memoiren eines Verstorbenen" (Leipzig 1835) hin; „vorausgesetzt, daß ihre Echtheit bewiesen werden kann.“

 

Die dort geäußerten Ansichten entsprechen dem Denken Max von Schenkendorfs. Dieser hatte sich zuvor, wenn es um seine Ehre ging, zum Adel geäußert. Diesen hatte er ja schon 1810 in den „Freiheitsgesängen“ durch die Widmung hervorgehoben und zuvor im Duell gezeigt.

 

So konnte man davon ausgehen, „daß ihre Echtheit bewiesen werden kann“ und übernahm – bei aller Vorsicht – dennoch diese Texte, Kapitel 4, S. 30 ff., als originale Stimme Max von Schenkendorfs aus dem zweibändigen Werk mit VIII, 1-176 Seiten in Band 1: „Memoiren eines Verstorbenen. [Motto:] to be or not to be. – it is the question. Hamlet. Erster Theil. Leipzig, bei C. H. F. Hartmann, 1835.”

 

Neigebaur war „Seinem politischen Glaubensbekenntniß nach […,] ein eifriger Anhänger der staatsrechtlichen Gleichheit, des persönlichen Verdienstes und ein ebenso eifriger Gegner des norddeutschen Junkerthums, dem er ein Geringschätzung geistiger Verdienste und wissenschaftlicher Leistungen schuld gab.“ Kurz. „Neigebaur lebte viel unter Aristokraten, hatte auch in seinen Manieren aristokratisches Wesen angenommen, und war doch ein erbitterter Feind des Junkerthums“. – Oder: „Seinem politischen Glaubensbekenntniß nach war er ein eifriger Anhänger der staatsrechtlichen Gleichheit, des persönlichen Verdienstes und ein ebenso eifriger Gegner des norddeutschen Junkerthums, dem er ein Geringschätzung geistiger Verdienste und wissenschaftlicher Leistungen schuld gab.“

Er stellte 1821 fest, dass viele in der Regierung „zu den Verehrern des Mittelalters gehörte[n], die mit Schenkendorf erst dann Heil für das Menschengeschlecht erwarteten, wenn Kirchen, Priester und Burgen des Mittelalters wiederhergestellt seyn würden.“

 

Neigebauer macht 1831 darauf aufmerksam, dass „ein zwar ungekannter, aber jedenfalls sehr scharfsinniger Beobachter seiner Zeit“, ein Werk publiziert habe, worin „zuvörderst das goldne Zeitalter des Adels folgendergestalt beschrieben“ wird, und zwar „Das erste Verlagswerkchen der Firma DuMont-Bachem […]: ‚Keine Volksrepräsentation in den teutschen Bundesstaaten, mit Bezug auf die wohlerworbenen Rechte des Adels.‘ Als Verlagsort ist angegeben: Germanien, 1816.“

Hier leugnet er, „die kleine saryrische Schrift“ geschrieben zu haben, wie er in den „Memoiren“ nur von der „Unterhaltung eines Freundes“ mit Max von Schenkendorf spricht.

 

Bei der Fülle der meist anon-oder pseudonymen Schriften Neugebaurs war auch Deetjen – wie mir – dessen Text aus dem Jahr 1816 unbekannt geblieben.

 

In der Schrift

„Keine Volk-Repräsentation in den Deutschen Bundesstaaten! Mit Bezug auf die wohlerworbenen Rechte des Adels. – Veranlasst durch die Schrift des Herrn G. L. R. Ancillon: Über Staats-Verfassung und Souveränität. Germanien 1816.“

findet sich der Text aus den „Memoiren“, was dann 1864 von Neigebaur wieder aufgegriffen wird.

 

1843 schreibt Neigebaur unter Auslassung des Namens Gruner und bei Änderung des Ortes:

„Selbst der Minister v. Stein war jetzt wieder ganz Reichsritter, und Max v. Schenkendorf sagte 1815 im Schwan zu Frankfurt, als von den Verdiensten eines Mannes die Rede war, der eine große Rolle bei der Befreiung des Vaterlandes gespielt hatte: Es ist wahr, er ist Excellenz, er ist ein großer, ein berühmter Mann, aber es fehlt ihm doch etwas: er ist kein Edelmann, er muß sich adeln lassen.“ –

„Schwan“: Ursprgl. im Besitz des Deutschen Ordens, kaufte Fürst Karl Alexander von Thurn und Taxis am 1810-10-05 das Gasthaus „Zum goldenen Schwan“. Da im Palais Thurn und Taxis von 1816 bis 1866 die ständige Versammlung des Deutschen Bundes tagte, war hier von 1816 bis zu einer Verlegung in ein anderes Gebäude 1833 auch die Generaldirektion der Taxisschen Verwaltung untergebracht.

 

Die Echtheit zu beweisen will ich versuchen.