1790 bzw. 1791 erscheint:
„Abhandlungen / des / Staatswirthschaftlichen Instituts / zu Marburg. / [Siegel] / - / Mit einer Kupfertafel. / - / Offenbach / bei Ulrich Weiß und Carl Ludwig Brede / 1791.“
STRIEDER schreibt S. 265 darüber:
„Die Vorrede handelt von den entfernten und nächsten Ursachen der jetzigen Revolutionen in der moralischen und politischen Welt. Ausserdem befinden sich von ihm noch darin: Bemerkungen über das nomokratische System.“
Eine Rezension der Aufsätze findet sich in:
„Gothaische / gelehrte Zeitungen / Ein und achtzigstes Stück, / den 12ten October 1791. / - / Bey Carl Wilhelm Ettinger.“
S. 771 f.:
„Offenbach. / Bey Weiß und Brede ist erschienen: Abhandlungen des staatswirthschaftlichen Instituts zu Marburg. Mit einer Kupfertafel. 1791. 232 Seiten in gr. 8. (20 gl.) Die sehr lesenswerthe Vorrede des Herrn Hofraths Jung, untersucht die entfernten und nächsten Ursachen der jetzigen Revolutionen in der moralischen und politischen Welt, theilt dann die einzigen wah= [sic] Mittel zur befriedigenden, harmonischen Auflösung der streitenden Kräfte mit (sie verdienen die sorgfältigste Beherzigung,) und erzählt die Geschichte und Verfassung des durch den jetzigen Herrn Landgrafen gestifteten nachahmungswürdigen Instituts der Staatswirthschaft. I. Curtius über den Ursprung und die Fortschritte der willkürlichen Gewalt, vorzüglich in Europa. 1) Uneingeschränkte Freyheit ist nirgends. 2) Die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts im Ganzen, fürchtet und leidet mehr Nachtheil in freyen Staaten, als unter eine willkürlichen Regierung. 3) In den ältesten und bekannten Zeiten war in Europa Genuß der Freyheit; sie erstreckte sich aber nicht durchgehends auf die ganze Nation. 4) Der Despotismus verbreitet sich über den besten Theil von Europa. 5) Deutsche Völkerschaften verbreiten die Freyheit aufs neue über die meisten Länder von Europa, nicht aber auf eine gleichförmige Art. 6) Die um Ungebundenheit ringende Herrschaft der Monarchen und Fürsten unterdrückt oder schwächt in Europas meisten Ländern die Freyheit des vornehmern Theils der Nation, und begünstigt die allgemeine Freyheit des Volks. (Dies ist der Kern dieser merkwürdigen Abhandlung.) II. Erläuterung und Bestätigung des einem ständischen Magistrate zustehenden Rechts, die Schaafweide auf den der Stadt zugehörigen Feldern zu untersagen. III. Bemerkungen über das nomokratische System, von J. H. Jung. Der würdige Verf. zieht hier die Grundlinien dieses seines neuen Systems, welches die Frage: ‚Wie muß die Staatsverfassung beschaffen seyn, in welcher das Beglückungsgeschäfte am leichtesten und wohlthätigsten ausgeführt werden kann?’ lösen soll, und besonders dieses Beglückungsgeschäft darin setzt, daß die regierende Gewalt die Personen, Freyheit, Ehre und Eigenthum ihrer Unterthanen gegen alle Beeinträchtigungen schütze, und nach allen Kräften vervollkommne. Das vollkommnenste Regierungssystem werde also dasjenige seyn, in welchem Gesetze gegeben werden, die jenem Zweck in seiner vierfachen Rücksicht vollkommen entsprechen, und die jeder Regent bey allem Wechsel der regierenden Personen im= / E e e e e 2 mer [S. 772:] mer ausführen muß. Weil nach diesem System das Gesetz der einzige, wahre Souverain ist, so nennt es der Verf. das nomokratische. IV. Hr. Hauptmann Schleicher lehrt die Theilung der Dreyecke. V. Hr. Professor Walther zu Giessenliefert den Grundriß zu einer forstwissenschaftlichen Gesetzgebung. VI. Die sechste und letzte Abhandlung des Hrn. Herwigs, über verschiedene Gegenstände des Bergwesens, hat auch, ihrem innern Gehalte nach, die rechte Stelle erhalten.“
Umfangreicher ist die Rezension der Abhandlungen im Jahr 1792
in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, 111. Bd., 1. St., S. 298-304.
Hier heißt es:
298 Vermischte Nachrichten.
[...]
Abhandlungen des staatswirthschaftlichen Instituts
zu Marburg. Mit einer Kupfertafel. Offenbach,
Weiß und Brede, 1791. 8. 232 Seiten.
Diese Abhandlungen sind der erste Theil der von Zeit zu Zeit
bekannt zu machenden Arbeiten des auf dem Titel genannten
Instituts. Den Werth solcher Sammlungen bestimmt allein
der Werth der in ihnen enthaltenen Aufsätze, die wir, um
unsre Leser zu dem Urtheil über jene und über den Nutzen die=
ser Gesellschaft selbst zu führen, ihrem Inhalt nach angeben.
Die Vorrede vom Hrn. Hofrath Jung dient als Einlei=
tung über den Zweck des Instituts und seiner Beschäftigungen.
Sie untersucht den Grund zu der in unserm Zeitalter so sehr
bemerkbaren Gährung und Revolutionssucht, und Rec. glaubt,
über diesen Gegenstand nichts gelesen zu haben, was die an=
schaulichsten Sätze kürzer, klärer und treffender aufstellte.
„Die Bevölkerung, (dies sind die Resultate der Untersuchun=
gen über die Ursachen jener Phänomene, S. XII.) „die men=
schenmenhe nimmt zu, ohne daß die Befriedigungsmittel ihrer
Bedürfnisse in gleichem Verhältniß an Menge zunehmen.
Diese
Vermischte Nachrichten. 299
Diese größere Menschenmenge lebt noch über das alles in ei=
nem hohen Grad von Luxus, jeder Einzelne braucht zu seiner
Unterhaltung gewiß mehr als noch einmal so viel als vor hun=
dert Jahren, und doch ist sein Gewerbertrag nicht in gleichem
Grad gestiegen, geschweige, daß er weit mehr Abgaben entrich=
ten muß. Man nehme nun das überall waltende wahre und
falsche Freyheitsgefühl dazu, das durch Aufklärung aller Art
entstanden ist, und in jeder Brust lebt und webt; und dann
über das alles noch hin und wieder Mißbräuche der regierenden
Gewalt, stärkern Zwang unter vervielfachten Gesetzen und
Bedrückungen aller Art – wie können nun alle diese Wi=
dersprüche mit einander bestehen? – nothwendig muß da,
wo alle diese Umstände in höchstem Grad zusammentreffen,
und das war der Fall in Frankreich – eine gefährliche Revo=
lution entstehen.“ Die wahren und einzigen Mittel, der lei=
denden Menschheit und ihren Staatsverfassungen aufzuhelfen,
sind nun dem Verf. wahre, richtige Aufklärung, Verbesserung
der Vermögens= und Gewerbquellen für Fürsten und Volk,
und Befriedigung der gerechten Forerungen des wahren edeln
Freyheitssinnes bey Ausübung der regierenden Gewalt. Diese
Mittel fließen aus der Verbreitung und mehrern Vervoll=
kommnun staatswirthschaftlicher Kenntnisse, und hierzu arbei=
tet das zu Marburg gestiftete Institut hin, von dessen Einrich=
tung der Verf. einige größtentheils schon bekannte Nachrichten
beyfügt. – So sehr Rec mit dem Verf. in seinen Ideen
übereintraf, so unzufrieden wurde er zuweilen, wenn jener den
ruhigen Vortrag verläßt, und, wo er mit Wärme sprechen
will, nicht blos in Declamation, sondern in wirklichen Bom=
bast sich verirrt. Das auffallendste Beyspiel einer solchen Ver=
gessenheit des guten Geschmacks fanden wir S. VI.: „Ludwig
erschien, – Ludwig XIV., ein Mann voller Talente, Geist
und Leben; und um sich her sahe er Schwäche der Staaten
und Ruinen verheerter Nationen; Werkzeuge der Hölle hauch=
ten Gift in seine Seele, und nun verließ er die Bahn der Na=
tur; er fieng an, eine hyperbolische Richtung zu nehmen, alle
Lichtsmaterie, die er in seinem Reich rund um sich her fand,
zog er mit magnetischer Kraft an sich, aber, anstatt eine Leben,
Licht und Fruchtbarkeit verbreitende Sonne zu werden, die er
sich zum Symbold wählte, ballt er sich zu jenem Licht zum
feurigen Gift und Tod hauchenden Meteor. So wälzte er
sich in seiner unnatürlichen Bahn fort, und sein Cometenschweif
überschwemmte ganz Europa mit einer Sündfluth von sitten=
verder=
300 Vermischte Nachrichten.
verderbenden Luxus.“ So ängstlich bringt kein Primaner
seine mühsam zusammengestoppelte Gelehrsamkeit an! Wenn
doch gute Schriftsteller bedenken wollten, wie sehr sie sich an
dem Publiko versündigen, indem sie dem Haufen der Schmie=
rer solche Autoritäten liefern!
An der Spitze der eigentlichen Abhandlungen steht:
Ursprung und Fortschritte der willkührlichen Gewalt,
vorzüglich in Europa, vom geh. Justizrath Curtius,
S. 29. Dieser Aufsatz zerfällt in zwey Theile, einen philoso=
phischen und einen historischen. [...]
[...]
[...]
In der Erläuterung und Bestätigung des einem
städtischen Magistrat zustehenden Rechts, die Schaaf=
weide aus den der Stadt zugehörigen Feldern zu unter=
sagen. S. 86 ist ein Rechtsfall erzählt, in welchem jenes
Recht einem Magistrat um deswillen zugesprochen wurde, weil
die Schaafweide theils nicht hergebracht, theils der unentbehr=
lichern Rindvieh= und Pferdeweide höchst schädlich war. [...]
[...]
Bemerkungen über das nomokratische System,
von Johann Heinrich Jung, S. 108. Die Vorrede kün=
digte dieses System zu Wiederherstellung der Ruhe und Glück=
seligkeit der Staaten an, indem durch dasselbe die dort angege=
benen Mittel zur Ausführung kommen. Die regierende
Gewalt erfüllt ihre Pflicht, wenn sie die Personen, Freyheit,
Ehre
302 Vermischte Nachrichten.
Ehre und Eigenthum ihrer Unterthanen gegen alle Beein=
trächtigungen schützt, und nach allen Kräften vervolkommnet.
Das vollkommenste Regierungssystem ist also dasjenige, in
welchem Gesetze gegeben werden, die jenem Zweck in seiner
vierfachen Rücksicht vollkommen entsprechen, und die jeder Re=
gent bey allem Wechsel der regierenden Personen immer aus=
führen muß.“ Hier ist also das Gesetz der wahre Souverain,
daher die Benennung des Systems: Nomokratie. Die Ge=
setzgebung kann aber nur in sondern vollkommen seyn, als die
Aufklärung vollkommen uns ausgebreitet ist, weil in dieser die
Aufklärung zur vollkommensten Gesetzgebung liegen, und das Sy=
stem erfordert daher nur, daß diese mit dem Grad er wirkli=
chen Aufklärung der Staaten gleichen Schritt halte. Wer
soll aber diese Verhältnisse beurtheilen, und die Regeln des
Schutzes und der Beglückung zu Gesetzen erheben? Die gesetz=
gebende Gewalt kömmt zwar der regierenden Gewalt allein zum
und „diese Pflicht ist ihr ursprünglich und von Gott selbst
übertragen.“ Allein, die Besitzer der regierenden Gewalt ha=
ben selten Verstand und Aufklärung genug, die vollkommensten
Gesetze zu erfinden, und eben so wenig immer den besten Will=
len, sie auszuführen. Da sich nun die Gesetzgebung wie dier
Grad der Aufklärung verhalten soll, so müssen die aufgeklärte=
sten Menschen der Nation auch die Erfinder der Gesetze seyn.
Diese werden also bey jedem Fall, der ein Gesetz erfordert,
durch Preißfragen aufgefordert, dann das durch diese beyge=
brachte beste Gesetz, auf einige Zeit geltend gemacht, und, ist
es hinlänglich geprüft, scantionirt. – Mit der Gesetzgebung
muß die Einrichtung des Personals der regierenden Gewalt
übereinstimmen. Das System dieser Ordnung nennt der V.
„Staatsarchitektonik,“ deren Zweck ist, die regierende Gewalt
zu zwingen, nach den Gesetzen zu handeln. – Rec. muß ge=
stehen, daß ihm dies System mehr in der Stellung der Grund=
sätze, als in diesen selbst neu dünkt. Das Gesetz zum Sou=
verain zu machen, und dadurch die Beförderung der Vervoll=
kommnung und Beglückung der Unterthanen zu bewirken, ist
der Gedanke der meisten neuern Politiker, und ein Plan, der
bey der neuen französischen Constitution, wenigstens der Haupt=
sache nach, zum Grunde liegt. Sätze, wie die von Uebertra=
gung der Regentenpflichten durch Gott selbst, haben unsern
Beyfall nicht. Und fühlte der Verf. nicht den Widerspruch,
wenn er seiner gesetzgebenden Macht die Gesetze dennoch nicht
erfinden lassen will? So ganz richtig möchte es doch also nicht
mit
Vermischte Nachrichten. 303
mit dem Beweise seyn, daß die gesetzgebende Macht in jedem
Fall das Eigenthum der regierenden Gewalt sey. Doch wozu
diese tadelnden Anmerkungen, nachdem der Verf. selbst am
Ende der Abhandlung freymüthig bekennt: „Ich weiß wohl,.
daß vieles noch nicht völlig reif ist; bey der Wärme aber, die
ich für den Gegenstand fühle, wird’s auch mit der Zeit am
Reifwerden nicht fehlen.“
Einen der wichtigsten praktischen Gegenstände hat der
folgende Aufsatz: Theilung der Figuren, vom Hauptm.
Schleicher, S. 127. [...]
[...]
Der Grundriß der forstwirthschaftlichen Gesetz=
gebung, vom Prof. Walther, S. 166, zeigt vollständig
und treffend die Puncte, auf die die Gesetzgebung für Forste
in unsern Zeiten Rücksicht zu nehmen hat. [...]
[...]
An der kurzen Abhandlung über verschiedene Ge=
genstände des Bergwesens, von Geo. Herwig, Kam=
D. Bibl. CXI. B. I. St. U mer=
304 Vermischte Nachrichten.
merassessor zu Witgenstein [sic; Wittgenstein], S. 214, die diese Sammlung
schließt, ist die Kürze das Beste. Das, was er über Gänge,
die in Flötzgebirgen, und über Lager und Flötze, die in Gang=
gebirgen vorkommen, und über die Bestimmungen dieser Ge=
birggattungen sagt, kömmt auf Wortstreit hinaus. Das
Uebrige über regelmäßigen Bau der Erzlager, und über Unter=
stützung des Bergbaues ist größtentheils crambe bis cocta.
crambe bis cocta: Kohl bis aufgewärmter Kohl = unnütze Wiederholung.
Eine Menge Druckfehler verunstalten diese Sammlung.
Hd.
Widmung und Text der Einleitung:
Die Widmung
Gnädigster Landes=Fürst und Herr!
Devotionsraum
Diesen ersten Band der von dem staatswirth=
schaftlichen Institute von Zeit zu Zeit herauszu=
gebenden Abhandkungen, Eurer Hochfürstli=
chen Furchlauch in tiefster Unterthänigkeit
zu widmen, halten wir uns um so vielmehr für
verpflichtet, je größer das Verlangen ist, dem
Stifter der Anstalt ehrfurchtsvoll zu be=
weisen, daß wir die weise und Landesväterliche
Absicht Höchst=Desselben, nach allen unsern
Kräften zu befördern wünschten. Und eben
diese Gesinnung verbürgen uns eine gnädi=
ge Aufnahme dieser unserer ersten Bemühungen,
so wie die Fortdauer des beglückenden Schutzes,
wozu wir auch bei dieser Gelegenheit in der=
jenigien tiefsten Devotion empfehlen, worin=
nen wir ersterben
Eurer Hochfürtlichen Durchlaucht
un sers Gnädigsten Landesfürsten
und Herrn
Marburg
den 31ten December 1790.
unterthänigst treu gehorsamst und pflichtschuldigste
Carl Wilhelm Robert.
zeitiger Vorsteher des Instituts.
Conrad Mönch.
Johann David Busch.
Johann Gottlieb Stegmann.
Michael Conrad Curtius.
Johann Heinrich Jung.
Franz Carl Schleicher.
Vorrede S. (1)-28 von Jung-Stilling.
== -- ==
Die Vorrede
Vorrede.
Wenn wir über den Geist der gegenwärtigen Zeit,
über seine Würkungen, und über die Zuckungen, die er
in seinem, Cörper hervorbringt, ruhig nachdenken; so
kommt einem ein Schauer an, über dem Erwarten
der Dinge die uns bevorstehen. Die Europäische
Menschheit kämpft hier und da ein einer furchtbaren
Crise; Tod und Leben liegen gleichsam auf der Waag=
schaale des Welten=Beherrschers und nur das Bewußt=
seyn der immer wachsenden Aufklärung, des im Gan=
zen immer zunehmenden Guten in der moralischen
Welt, kann uns Muth machen, daß die alles leitende
Vorsehung Glück, Ruhe und Frieden aus der gäh=
renden Masse der Dinge entwickeln werde!
So wie die Seiden=Raupe, wenn ihr ihre alte
Siehe Rede über den Wert der Leiden!
Hülle zu eng wird, sich ängstet und ringt, um sie abzu=
streifen, so ringt der menschliche Geist nach Freiheit
und Licht, überall drängt sichs, allenthalben ist Unru=
he, und in Frankreich liegt Clodwigs zwölfhundert=
jähriger Thron in seinen Ruinen.
A
II Vorrede.
Mit scheint es nicht unschicklich zu seyn, wenn ich
im ersten Bande unserer Staatswirthschaftlichen
Abhandlungen eine Untersuchung der entfernten und
den Ursachen aller dieser Erscheinungen, und dann
die einzigen wahren Mittel wodurch die grose
zum Leben und dauerhaften Gesundheit geleitet
werden könne, in Gestalt einer Vorrede voran gehen
lasse.
Der viel viel hundertjährige Religions=Despotismus
der den menschlichen Geist in eiserne Ketten geschmie=
des und Ritter= und Helden=Enthusiasmus, Reli=
gions= Wunder= und mystische Schwärmerey ihn für
Entbehrung so manchen Genusses der Freiheit und
des Recht einigermaßen schadlos gehalten, als auf ein=
mal das alte dunkle Sächsische Wittenberg Teutsch=
lands Athen wurde, und zu den Füssen seines er=
sten Rectors Martin Pollichs von Meller=
stadt der Riese emporwuchs, der Teutschland Licht
und Freiheit und eine allgemeine gelehrte Sprache
geben sollte. Daß ich hier Luthern meyne,
wird wohl jeder Teutsche empfinden.
Durch dieses grosen Mannes und seiner Gehülfen
und Kraft wurde die alte ehrwürdige Urkunde
der Religion aus ihren dunklen Behältern in welche
sie das Mönchthum verbannt hatte, herausgerissen,
in deutsche Gewand gekleidet, und so zur Belehrung
des gemeinen Mannes in volle Freiheit gesezt. So
fand dann die Menschheit Glaubensgrund, es fieng an zu
dämmer, man sahe h alb und halb, aber noch immer
Vorrede. III
blieb in vielen wichtigen Dingen Gelegenheit gnug zu
Zweifeln übrig: denn noch immer hielt die Tyrannin
Scholastik die gesunde Vernunft gefangen und geblen=
det, sie verstand ihre eigene Sprache nicht, wie war’s
da möglich andre zu belehren?
Aus dieser Quelle entstanden nun Sekten, Fana=
tiker, Schwärmer, mit unter auch Fischer im Trüben
die Menge; Teutschland hatte gewonnen aber doch
nicht so viel als es ahndete: Der Religions=Despotis=
mus war in eine Aristokratie verwandelt worden;
man hatte nun mehrere tausend Päbste statt einem; der
einzige Gewinn, der einzige Freiheitsgenuß bestand
wie in den mehrsten Aristokratien blos darinn, daß
ein Despote den andern hinderte, nicht allein Despote
werden zu können. Die Aristokraten sind gewöhnlich
wie Steine in einem Gewölbe: alle haben einerley
Neigung den untenher Gehenden die Köpfe zu zer=
schmetter, aber sie verkeilen sich so untereinander,
daß es doch keiner kann. Eben in diese kunstmäsig[e]n
Verkeilung besteht die elende Politik der Edelherr=
schaft.
Eigentlich war blos der Glaube die Losung nach
der Reformation; die Vernunft war noch nicht frey;
sie konnte den menschlichen Geist noch nicht führen;
nun glaubte aber jeder was seine Kirche glaubte, oder
was in sein politisches System paßte, und wer nicht
so glaubte wie er, der war verdammt, jeder hatte die
allein seeligmachende Religion. Daher kam’s nun
eben, daß den größten Theil des Reformations=
IV Vorrede.
des vorigen Jahrhunderts blutiger Kampf zwi=
schen Glauben, zwischen Hierarchie, Universal=Mo=
narchie und Freiheitssinn erfüllte. Indessen ward man
doch endlich des Kämpfens um die Rechte des Glau=
bens müde, man knüpfte sich nun an die Symbolen
und Dogmen durch Friedensschlüsse und Veträge,
man garantirte sich untereinander seinen Sinn und
Unsinn, und jeder glaubte, seine wahre allen
seligmachende Kirche sey nun so gegründet, daß sie
die Pforten der Höllen nicht mehr überwältigen
würden.
Von diesem Zeitpunkt, besonders vom Westphä=
lischen Friedensschluß an, begann die Bevölkerung in
Teutschland zu wachsen; die Menschenmenge nahm
von Jahr zu Jahr zu; die Spanischen, Französischen,
der sehr blutige siebenjährige, der Amerikanische, die
Türkenkriege und die vielen Auswanderungen haben
zwar die Vermehrung der Menschen verzögert, allein
dem ungeachtet ist doch der Unterschied der Volksmen=
ge zwischen 1650 und 1790 sehr beträchtlich, ich glau=
be nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß sie
heut noch einmal so groß ist, als damals.
Eine Bevölkerung, die sich aller trübsäligen [sic; trübseligen] Zeiten
ungeachtet, so sehr empor arbeitet, wird bey der jetzi=
gen Aussicht in die Zukunft noch mehr wachsen; es
ist wahr, die heutige Art zu Kriegen kostet noch immer
viele Menschen, aber man erwürgt doch in den er=
oberten Städten nicht mehr Greise und Kinder,
schwangere Weiber und friedlich erwerbende Bürger;
Vorrede. V
man rottet die Dorfbewohner nicht mehr Meilenweit
aus, und es giebt nun Kriegsmänner die bei dem
Elend das sie über die Menschen bringen müssen, wei=
nen können; ich schliese also mit Grund und mit fro=
her Gewisheit: daß die Anzahl unserer Mit=
bürger immer gröser werden, immer mehr
zunehmen werde. Diesen Satz müssen wir be=
merken, weil wir ihn hernach wieder brauchen könnten.
Vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an bis
daher, wurden uns die beiden Indien zinsbar; der
ganze Geist der Hierarchie war Despotismus, und
nun fieng er auch an unter den Nationen zu würken
und zu wüten die von Christo nichts wußten; man
machte ihnen das Nichtwissen zum Verbrechen; im
Grunde wollte man sie nur plündern, und ihre Schätze
nach Europa schleppen. Bei all den Scenen der
Raubsucht und der Grausamkeit die die sogenann=
ten Anhänger der Religion der Liebe an bessern Men=
schen als sie waren ausübten, geht die Seele des ed=
len Mannes mit Grausen und entsetzen vorüber.
Genug! Europa bekam nun Gold und Silber in
Menge, Spanien und Portugall sind Mund
und Schlund dieser Reichthümer, sie schluckten sie nur
ein ohne sie zu verdauen, dies geschieht in Europens
übrigen Reichen.
So wurde alles allmählig zu der großen Catastro=
phe vorbereitet, die Frankreichs Genius zu An=
fang dieses Jahrhunderts in allen christlichen Staaten,
und besonders in Teutschland veranlaßte.
VI Vorrede.
Frankreichs mildes Clima, der Caracter der
Nation und noch andere günstige Umstände hatten nach
und nach verschiedene große Männer gebildet, die
durch ihre Schriften Licht verbreiteten, ein Licht das
unter fernerer ruhiger Leitung der Vernunft für die
ganze Welt hätte wolthätig [sic] werden können, allein
Ludwig erschien – Ludwig der XIV. ein Mann
voller Talente Geist und Leben; und um sich her sahe
er Schwäche der Staaten, und Ruinen verheerter Na=
tionen; Werkzeuge der Hölle hauchten Gift in seine
Seele, und nunv erließ er die Bahn der Natur, er
fieng an eine hyperbolische Richtung zu nehmen, alle
Lichtsmaterie die er in seinem Reich rund um sich her
fand, zog er mit magnetischer Kraft an sich, aber an=
statt eine Leben, Licht und Fruchtbarkeit verbreitende
Sonne zu werden, die er sich zum Symbol wählte,
baltte er sich aus jenem Licht zum feurigen Gift und
Tod hauchenden Meteor. So wälzte er sich in seiner
unnatürlichen Bahn fort, und sein Cometenschweif [Komet]
überschwemmte ganz Europa mit einer Sündfluth von
sittenverderbenden Luxus.
Ludwig sah die Schwäche aller seiner Nachbarn,
und fühlte Kraft; noch immer waltete Roms Hier=
archie, wachsamer und verbitterter durch die Wunde,
die ihr die Reformation geschlagen hatte; Ludwig
der erstgebohrne Sohn der Kirche verhüllte seine Poli=
tik in den Nimbus der Religion, und nun lies er das
mit dem todringende Teutschland seine feurige Kraft
empfinden; seine Kriegsheere grausam wie Barbaren
Vorrede. VII
und doch aufgeklärte Franzosen, brachten eine ganz
widersinnige Wirkung hervor: man verabscheute ihre
Grausamkeit, und doch machte man sich ihre Sitten
zum Muster der Nachfolge. Alles reißte nach Paris,
Siehe über Pracht und Luxus 1781/82 mit ähnlicher Formulierung.
unsere Fürstensöhne und Edlen zogen an Ludwigs Hof,
um Lebensart und Weltkenntnis zu holen, diese aber
bestunden in nichts als in einer bis ins unendliche ver=
mannigfaltigten Verfeinerung des sinnlichen Genusses:
jeder brachte Ludwigs Kleiderform, Ludwigs
Sprache, Ludwigs Gebrauch verehelicht zu scheinen,
aber im weitläuftigsten Verstand des Worts ein Po=
lyganist [sic; Polygamie] zu seyn, und seine Politik mit nach Haus.
Nun flohe der alte edle teutsche biedere Genius aus
den Pallästen der Grosen unter die Strohdächer,
und auch da wurde er endlich kaum mehr gedultet;
dazu kam nun noch die Unbeständigkeit der Mode,
immerwährende Abwechslung in allen Gestalten For=
men und Materien des Luxus, und dieser französische
Geist schaltet und waltet noch allenthalben.
Werfen wir nun einen Blick zurück auf das was
ich hier gesagt habe, so finden wir eine immer steigen=
de Bevölkerung, eine vermehrte Geldmasse, und nun
noch über das alles einen durch alle Modesphären sich
umwälzenden Luxus – wohin würde uns diese Rich=
tung führung, [sic; führen] wenn wir ihr keine Rettungsmittel
entgegensezten?
Aber noch nicht genug! diesen Caracter, den die
Nation angenommen hat, belebt noch eine höchstgefähr=
licher Geist, dessen Ursprung, Wachsthum und Gesin=
VIII Vorrede.
nung ich kurz und deutlich schildern muß, wenn ich die
gegenwärtige Lage und die daraus entspringende Be=
dürfniß ins Licht setzen will: Die teutsche Nation
sammelte sich nach dem dreißigjährigen rieg wieder
in ihre verlaßene Hütten; Landwithschaft, Fabriken
und Handlung begann wieder, aber noch immer
glaubte jeder was seine Kirche glaubte; das Thun
und Handeln schränkte sich durchgehends auf Erfüllung
gewisser Glaubenspflichten und Beobachtung der Kir=
chen=Ceremonien ein; die reine und erhabene Moral
der Religion ward vergessen; auf dem Glauben be=
ruhte die Seeligkeit, die guten Werke waren unnütz,
waren besudelte Kleider; über das alles war es noch
Dogma zu gestehen daß man nicht die geringste Kraft
habe Gutes zu thun, sondern daß alles auf eine un=
mittelbare Mittheilung des heil. Geistes ankomme.
Natürlicher Weise hauchte also der grose Haufen
und glaubte; und unter aller möglichen Befriedi=
gung seiner sinnlichen Lüste erwartete er die verspro=
chene höhere Kraft, denn er wuste, daß er von sich
selbst nicht einmal etwas gutes denken geschweige
thun könne. Freilich war das alles Misdeutung
der Dogmen, allein der durch Polemik erhizte Vor=
trag der Volkslehrer konnte keine andere Folgen haben.
edle [sic] Männer und vorzüglich unter den Mystikern ei=
ferten zwar gegen diese gefährlichen ehrsätze, aber
im ganzen wurde doch nichts gebessert.
Unter der Hand hatte Cartesius zwar die
Descartes
Scholastik vom Thron gestoßen und die Vernunft
Vorrede. IX
hiaufgesetzt, aber er verstand noch ihre erhabene
Sprache nicht recht, auch misverstand er vieles was
sie ihm sagte; indessen hatte er doch gnug gethan,
denn sie saß doch und fieng an zu regieren. Nach ihm
lernten Newton, Leibniz, Clarke, Loke, Wolf
Isaac Newton (1643-1727); Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-171); Samuel Clarke, engl. Philosoph und Theologe, 1675-1729; John Locke (1632-1704); Christian Freiherr von Wolff (1679-1754)
und andre mehr ihre Sprache besser kenen, und nun
dämmerte es allenthalben. Allein was geschah? –
grose denkende Köpfe fiengen an zu vergleichen; sie
studirten die physische und moralische Natur und ihre
Bedürfnisse, sie giengen von Grundsätzen und Er=
fahrungen aus die jedermann für unumstößlich hielt,
demonstrirten Schlusfolge auf Schlusfolge, und nun
sahen sie auf einer Seiten die alte Urkunde die die
ganze Christenheit für Offenbarung Gottes an die
Menschen hält, und worauf sich ihr ganzes System
gründet; und auf die ganze Schöpfung,die ganze phy=
sische und moralische Welt, die immerfort mit lauter
Stimme, und mit unwidersprechlicher Gewisheit
Gott und einige seiner erhabensten Eigenschaften ver=
kündigt, eine Offenbarung deren Richtigkeit und Ge=
wisheit niemand bezweifelt, und nun glauben diese
grose Männer durch ihr einmal angenommenes Sy=
sten misgeleitet, gefunden zu haben: daß diese zwo
Offenbarungen Gottes in sehr wesentlichen Stücken
widersprechend wären, folglich eine von beiden falsch
seyn müste; da nun die Authenticität der Offenbarung
Gottes in der Natur nicht bestritten werden kann, so
fiel der ganze Verdacht auf die Bibel, und mit ihr
auf die Religion. Daß hier auf allen Seiten gefehlt
X Vorrede.
wurde, daran ist kein Zweifel: denn man sahe die
äussere Religions=Larve aller Chrsitlichen Partheyen
für Bibel=Religion an, und da fand sich freilich viel
abgeschmacktes und auf der andern Seiten nahm man
philosophische Grundsätze an die Grundfalsch waren,
was Wunder also, wenn Widersprüche heraus
kamen?
Nun traten die Gottesgelehrten auf: die mehresten
aber wollten – nicht die Religion, sondern ihr Sy=
sten retten; alles sah auf sie, und erwartete wider=
legung, aber vergebens; die Systeme wurden also
von einer Menge Denker und Nachbäter verachtet,
und die Folgen waren traurig: die Nation eitel und
versinnlicht durch den Luxus wurde bisher nach einiger
Masen durch die Bande der Religion und Kirchen=
zucht in den Schranken gehalten, aber nun – da
angeblich grose Männer bewiesen daß die Religion
nicht Gesetzgeberin der Menschen seyn könne, daß sie
den Thron der Gottheit auf Erden usurpire – jezt
fieng man an dieser vermeyntlichen Empörerin zu spot=
ten, man haßte sie, und man verwarf nun mit der
äußern Larve die Göttin selbst. So fällt die Mensch=
heit gern von einem Extrem aufs andere; nun hatte
man ja nichts mehr zu fürchten, die Natur trat nun
an die Stelle der Religion, aber welche? nicht
etwa die reine heilige Natur, wie sie aus der Hand des
Schöpfers kam; hätten sie diese zur Führerin ge=
wählt, so würde sie sie gewis zur wahren Quelle gelei=
tet haben: denn sie ist die Schwester der wahren
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Vorrede. XI
Religion, beide sind völlig eines Sinnes. Nein! die=
se gient man vorbey; statt dieser lies man der durch
den Luxus und mancherley Laster entehrten verdorbe=
nen Natur nach, diese Buhlschwester sollte Königin
Buhle: vgl. Hes 16, 37; unerlaubte Liebe.
der Menschen werden, und man folgte ihren Trieben;
was aber aus ihren Verehrern wird, davon haben
wir leider zu viele Beweiße, und eben so viele war=
nende Beispiele.
Wohl uns! daß sich Männer fanden die sich dem
Strom entgegen stämmten, in der W ert und
Gottesgelehrtheit aufräumten, und so den
den Bahn machten, auf dem von ihnen gereim Kö=
niglichen wege zum Ziel zu gelangen. Wohl uns! die
Zahl der Wandrer auf demselben wächst täglich, und
gewis wird er auf die Zukunft zur allgemeinen Grosen
Heerstraße werden.
Zwischen diesen Epoquen gerad mitten in der all=
gemeinen Gährung befinden wir uns jezt; die Zerspren=
gung der Bande der Religion hat einen falschen Frey=
heits=Drang hervorgebracht: die Höfe machten in den
Freydenkerey den Anfang; im ungehinderter im Ge=
nuß der Sinnlichkeit schwelgen zu können, fesselten
viele die sich eben los windende Menschheit wieder in
neue Ketten des Despotismus; durch eine Menge
von Auflagen die der imersteigende unendliche Luxus
nothwendig machte, muste die Crise nothwendig ent=
stehen, die jezt den Europäischen Staats=Körper Con=
vulsivisch zusammen zieht und ängstigt; denn man be=
denke einmal folgende zusammen trefende Umstände:
XII Vorrede.
Die Bevölkerung, die Menschen Menge nimmt zu,
ohne daß die Befriedigungs=Mittel ihrer Bedürfnisse
im gleichen Verhältnis an Menge zunehmen. Diese
grösere Menschen Menge lebt noch über das alles in
einem hohen des Luxus, jeder einzelne braucht
zu seiner Unterhaltung gewis mehr als noch einmal so
viel als vor hundert Jahren, und doch ist sein
Erwerbs=Ertrag nicht in gleichem Grade gestiegen, ge=
schweige daß er weit mehr Abgaben entrichten muß.
Nun nehme man das überall waltende wahre und fal=
sche Freyheits=Gefühl dazu, das durch Aufklärung
dieser Art entstanden ist, und in jeder Brust lebt und
webt; und dann über das alles nicht hin und wieder
Misbräuche der regierenden Gewalt stärkeren Zwang
unter vervielfachten Gesetzen, und Bedrükungen von
jeder Art, wie können nun alle diese Widersprüche
untereinander bestehn? – nothwendig muß da wo alle
diese Umstände im höchsten Grad zusammen treffen,
und das war der Fall in Franckreich [sic, Frankreich], eine gefährliche
Revolution entstehen.
Aus diesen Quellen laßen sich viele Phänomene
erklären, die wir seit ein paar Jahrzehnden her be=
merkt haben: die Denkfreyheit gebahr die Presfrey=
heit; der republikanische Freyheits=Drang erzeugte
die Publicität; und das Unbehagliche der Anmuth,
und das Sehnen nach freyerer Luft waren die Ursachen
vieler Auswanderungen.
Jezt bin ich nun auf den Standpunkt gekommen,
wo ich die wahren und einzigen Mittel der leidenden
Vorrede. XIII
Menschheit und ihren Staats=Verfassungen aufzuhel=
fen zeigen kann, sie vereinigen sich eigentlich alle in
fogenden drey Hauptpuncten:
1.) Ist eine reine richtige wahre Aufklärung nö=
thig, wodurch die wahre Religion in ihrer ursprünglichen
Reinigkeit wieder dargestellt, und folglich Sittlichkeit
und Geschmack am wahren Guten und Schönen allge=
mein verbreitet wird, so bald dies geschieht, weicht
der Luxus von selbst.
2.) Müßen die Vermögens= und Gewerbquellen für
Fürsten und Völker verbessert und einträglicher ge=
macht werden, damit die immer sich vergrösernde
Menschen Menge ernährt, und mit ihnen der grösere
Aufwand leicht bestritten werden könne, und
3.) Ist erforderlich daß zu diesem allem die regie=
rende Gewalt die Hand biete, und so regiere, daß die
gerechte Forderung des wahren edlen Freyheits=
Sinns auch befriediget werden mögen.
Was nun den ersten Punct betrift, so nimmt
zwar die Aufklärung im ganzen eine sehr glücklich
Richtung: denn die Philosophie nähert sich der Wahr=
heit und der Religion, diese kommt ihrer ursprüngli=
chen Reinigkeit immer näher, und sie würkt von Tag
zu Tag thätiger und mächtiger auf die Sittlichkeit der
Menschen; bey dem allem aber bleibt der gemeine
Mann, die gesammte Volks=Masse noch immer zurück,
und beym Alten, so lang aber dieses geschieht, ist war=
lich an keine gründliche Verbesserung zu denken.
Das wahre eigentliche politische Eine das Noth
XIV Vorrede.
thut trift einzig und allein die Verbesserung der
Schulen, und des Volks=Unterrichts über=
all. Wenn der gemeine Mann durchgehends voll=
xxx über seine Pflichten und seinen Beruf aufge=
klärt ist, so ist er ein guter Unterthan, ein guter Gat=
te, ein guter Vater, ein guter Erwerber und Haus=
vater, mit einem Wort, ein guter Christ; und
was der gröste Haufe ist, so ist alles gewonnen.
Man vermehre die Besoldungen der gemeinen
und Kirchen=Dienste dahin, daß ein ehrlicher
Mann Frau und Kinder anständig davon leben kann.
Nun lasse man niemand studiren, niemand Volks=
lehrer werden, der nicht die gehörigen Talente dazu
hat und endlich,
verbessere man die Anstalten wo diese Lehrer ge=
zogen werden.
Das sind harte Worte wer mag sie hören! Frey=
lich ist das Alles schwer, aber doch nicht unmöglich;
man verschwendet und verpraßt man das Mark
des Volks! – bey einer vortreflichen Staatswirth=
scahft würde das Alles so gar leicht werden, und das
würde den Anfang über alle Erwartung krönen.
der wahren allgemeinen Aufklärung beruhen
auf Forderungen des ersten, und auch zum Theil
zweiten Puncts: denn wenn auch die Regenten=
über ihre Pflichten hinlänglich belehrt sind,
wenn sie auch vortreflich regieren; ganz anders
verhält sichs mit dem ersten und dem noch übrigen
des dritten, nämlich mit der Verbesserung der
Lebens= und Gewerbs=Quellen der Fürsten und
Vorrde. XV
Unterthanen, und dann mit einer, unserer Zeit und
der Zukunft angemessenen Gesetzgebung; hier ist noch
viel zu thun, und wir sind in diesen Puncten noch sehr
zurück: denn wenn auch gleich der Luxus nach und
nach abnimmt, so nimmt doch mit der Menschen=
Menge und mit der steigenden Cultur auch die Anzahl
unserer Bedürfnisse zu; wenn also nicht Auswande=
rungen und der gänzliche Verfall unserer Staaten alle
Hofnung wieder vernichten, so muß hier nachdrücklich
Rath geschaft werden.
Die Vermögens= und Gewerb=Quellen für Für=
sten und Unterthanen sind Production, Fabrikation
und Handlung; diese zum vollkommensten Flor leiten,
und durch eine weise Gesetzgebung so regieren, daß
jeder Gelegenheit hat seine Gewerbe so sehr zu vervoll=
kommnen, mithin so wohlhabend zu werden, als es
ihm in seiner Lage möglich ist; dieses zusammen ge=
nommen ist eigentlich das wahre große Arzneymittel,
dessen unsre kranke Staaten noch bedürfen, und wo=
von ich nun noch das Nöthige sagen muß.
Schon seit ein paar Jahrhunderten her, fühlten
verschiedene Europäische Regierungen dieses Bedürfniß.
Sie suchten es auch zu befriedigen, allein sie schlugen
bey weitem die rechten Wege nicht ein: ihre erobe=
rungen in Ost= und West=Indien und den Inseln des
Oceans waren zwar Quellen Reichthümer und Pro=
ducten abzuhäufen, aber auch Veranlassungen schreck=
licher Blutschulden, und schreyender Ungerechtigkeiten;
die Colonien=Politik ist erschrecklich, allen Naturrech=
XVI Vorrede.
ten zuwider, und über das alles bey weitem das Mit=
tel nicht den Unterthanen abzuhelfen und die Staaten
dauerhaft glücklich zu machen; aufs Höchste genom=
men wird die Handlung dadurch blühend; je nach der
Größe eines Landes bereichern sich einige tausend Kauf=
leute, und mehrer tausend Handwerker und Schifleu=
te, aber die große eigentliche Volks=Masse hat von
dem allem wenig Genuß, und gesezt auch der Wohl=
stand verbreitete sich über alle Stände, so ist doch die
Quelle desselben entfernt, und sehr unsicher; die Mit=
tel so weit entlegene Besitzthümer zu behaupten sind
allemal gewaltsam unrecht und eben deswegen auch
nicht dauerhaft; geschweige daß die wenigsten Staatem
Gelegenheit haben, sich dieser zweydeutigen Beglük=
kungs=Mittel zu bedienen.
Aber auch ohne auf Colonien Rücksicht zu nehmen,
nicht einmal die Handlung, wenn sie nicht größtentheils
auf inländische Produkten gegründet ist, kann einem
Staat dauerhaften wohlstand verschaffen: Handlung
mit ausländischen Waaren macht ein Land von den
Ausländern abhängig, finden diese nun einmal andere
einträglichere Gelegenheiten des Absatzes, so hat die
ganze Herrlichkeit ein Ende, und nun ist das Unglück
weit größer als wenn die Handlung nie geblüht hätte:
denn unglückliche Menschen haben ist weit
schlimmer, als wenn man gar keine hat.
Es ist daher ein großer Fehler, und warlich ein
Mangel an tiefer und richtiger Einsicht in die wahren
Bedürfnisse der Staaten, daß die Europäischen Ca=
Vorede. XVII
binette mit so vielem Aufwand an Politik, und nicht
immer der redlichsten und das Licht vertragenden Mit=
tel untereinander Handelsverträge schließen, oder im
die Handlung auszubreiten Millionen Menschen opfern,
man führt Kriege, und warum? im Grund aus kei=
ner andern Ursache als Handelsvortheile und mehrere
Länder mit dem Blut vieler tausend Menschen zu er=
kaufen. Oft liegen mitten im Staat noch ungeheure
Strecken Landes in ewiger Brache, die Schätze in den
Eingeweyden der Erde ruhen, und tausend Gelegen=
heiten durch Produktion, Fabrikation und innere Hand=
lung die Bevölkerung zu vermehren und mit ihr Se=
gen zu verbreiten werden vernachläßigt, und die Hän=
de die damit beschäftigt und genährt werden könnten,
braucht man weit entfernte Länder zu rauben, und ge=
gen alle Regeln der Klugheit seine Gränzen zu erwei=
tern. O wann wird man lernen die inten=
siven Kräfte der Staaten zu entwickeln, und
sich mit dem Seinigen zu begnügen!
Das was bedarfs weiterer erläuterung. Jeder
Staatskundige helle Kopf muß auf den ersten Blick
einsehen, daß die Europäische Politik noch lange nicht
auf dem rechten Wege sey, den kranken Staatskörper
zu heilen, ein ganz anderes Mittel ist hier nöthig;
daß dieses nur einzig und allein die neue und verbesserte
Staats=Wirthschaft sey, und daß diese allein in Ver=
bindung mit dem Gang der jetzigen Aufklärung Euro=
pa und besonders Teutschland vollkommen beglük=
B
XVIII Vorrede.
bis zur Unüberwindlichkeit stärken, und unsere
Regenten und ihre Völker bis zum höchsten und
vollkommensten Wohlstand führen könne, das will ich
noch kurz und unwidersprechlich darthun: Ein
Regent der zehen Millionen Menschen
beherrscht, ist mächtiger als der, der nur
diese regiert. Diesen Satz hat man ehmals zu
Allgemein angenommen, und daher behauptet: de
Macht eines Staats verhalte sich wie die Menge der
Menschen oder wie seine Bevölkerung, das ist aber
unrichtig: denn wenn der eine Staat zehn Millionen
zählt, der andre aber besteht aus sechs Millionen
reicher, begüterter, glücklicher Bürger, so können die
sechs Millionen wieder weit mehr ausrichten als jene
zehn. Darauf folgt also, daß sich das Glück und
die Macht eines Staats verhalte wie die
Menge oder Anzahl seiner wohlhabenden
Bürger. Ferner
Ein sehr weitläuftiges Land erfordert weit mehr
Kosten und Aufwand zu regieren als ein kleines;
und eben so ist auch der Schuz bey so weit ausgedehn=
ten und entlegenen Gränzen viel schwerer, als beyy
einem rund um beysammen liegenden kleinen Lande.
Wenn also jene zehn Millionen Menschen auch reich
und wohlhabend wären, wohnten aber auf zwanzig=
tausend Quadrat=Meilen zerstreut, hingegen in einem
andern Staat wohnen nur sechs Millionen, aber nahe
beysammen etwa auf zweytausend Quadrat=Meilen, so
Vorrede, XIX
würde dieser kleine Staat immer bey gleich wohlthäti=
ger Regierung, und überhaupt bey gleichen Verhält=
nissen derselben weit glücklicher und auch stärker seyn
als der grose. Folglich verhält sich das
Glück eines Staats wie die Anzahl glük=
licher wohlhabender Menschen, die mit
der Gröse des Landes im umgekehrten Ver=
hältnis steht.
Wenn diese reiche glückliche Staatsbürger Fabri=
kanten und Kaufleute sind, die sich mit ausländischen
Produkten beschäftigen, so ist ihr Wohlstand unsicher,
von den Ausländern abhängig, die Grundveste der
Glückseeligkeit ist nicht eigenthümlich sondern geborgt;
wenn also die Fabrication und Handlung eine andere
Richtung nimmt, so ist ein solcher Staat unglüklich
und zu Grund gerichtet; das war das Schiksal der
Republiquen und Städte Venedig, Genua,
Nürnberg, Augsburg u. s. w. als der Weg
nach Ostindien um Afrika entdekt wurde, und also
die Handlung nicht mehr ihren Zug über das rothe
Meer und Alexandria nahm. Holland würde in sei=
ner alten Schwäche zurück sinken, wenn dieser viel kür=
zere Weg wieder eröfnet werden sollte.
Hingegen wenn das ganze Land in lauter mittel=
mäsige Bauerngüter vertheilt ist, deren jedes seine
Familie bis zum Wohlstand ernähren kann, so sind al=
le diese Hausväter von nichts abhängig, ihr ganzes
Glück beruht dann auf ihrem eigenen Fleiß, und auf
einer wohlthätigen Regierung. Die Bauern sind die
XX Vorrede.
eigentlichen beständigen Staats=Bürger; ihr Glück,
ihr Wohlstand, und ihre Anzahl bestimmen den ei=
gentlichen Grad der dauerhaften Stärke und Staats=
Glükseeligkeit; die Landwirthschaft sollte also der grö=
ste und wichtigste Gegenstand der Cabinets=Politik,
und das Wohl des Bauernstandes dem Regenten
über alles wichtig seyn; diese Classe ehrwürdiger und
vorzüglich nüzlicher Menschen ist die beständige und
dauerhafte Quelle der Einkünfte, deswegen muß alle
Kraft angewendet werden den Bauern glüklich und
wohlhabend zu machen, damit er, wenns Noth thut,
zahlen kann und auch zahlen will.
Aus eben diesem Grund ist auch die Schweizerische
Verfassung ewigund unerschütterlich wie ihre Alpen.
Sie weiden ihre Heerden in dem hohen reinen
und freyen Aether, sie bedürfen ihrr Nachbarn
weniger als diese ihrer nöthig haben, und wenn um
sie her Staaten erkranken, zertrümmern und neue
entstehn, so stämmt sich der Schweizerhirte an seinen
Felsen und sagt: ich bin fest und unbeweglich
wie du! – Schade daß dieses edle und freye Volck
so langsam in den Verbesserungen der Land= und
überhaupt in der Staats=Wirthschaft ist, denn es
könnte seinen Wohlstand noch auf einen weit höhern
Grad bringen.
Die Königin Elisabeth in England bewieß
ihr gröstes Meisterstück der Politik darinn, daß sie die
Landwirthschaft auf den Gipfel des Flors brachte:
denn wenn auch Grosbritannien alle seine aus=
Vorrede. XXI
wärtige Besitzungen verliert, so ist und bleibt es doch
noch immer eins der blühendsten Reiche der Welt:
denn seine Grundkraft beruht doch immer auf seiner
blühenden Landwirthschaft, und darauf gegründeten
Fabrik=Handlung, dagegen ist Holland verlohren,
so bald es seine Colonien verliert.
Unter allen Ländern in der Welt ist aber Teutsch=
land vorzüglich eins von denjenigen, wo mit der Land=
wirthschaft am mehresten auszurichten ist, und dessen
Wohlstand sich auch am mehresten darauf gründen
muß: seine Lage und Verfassung, alles stimmt mit
dieser Behauptung überein: denn die wenigsten Reichs=
länder sind zum Groshandel bequem, aber zur Land=
wirthschaft sind sie alle vortreflich.
Jezt werden meine Leser überzeugt seyn, daß in
der blühenden Landwirthschaft das erste und mächtigste
Mittel liege, die Bedürfnisse der steigenden Bevölke=
rung und des wachsenden Aufwands auf immer und
ohne Furcht irgend eines Mangels zu befriedigen; da
aber nun die bisherige Methode der Landwirthschaft
sehr mangelhaft ist, und noch sehr vieles von der no=
madischen Periode unserer uralten Vorfahren in sich
enthält, alle Versuche, tausendfache Erfahrungen und
der Augenschein, vereinigt mit der gesunden Vernunft
aber lehren, daß die Landwirthschaft dergestalt ver=
bessert werden könne, daß die Güter=Erträge weit über
das Alterum tantum steigen können, und fast eine ins
unendliche fortsteigende Cultur möglich ist, so kann
nichts wichtiger und nicht wohlthätiger gedacht wer=
XXII Vorrede.
den, als wenn die künftigen Staatsdiener auf Hohen=
schulen gründlich in der verbesserten Landwirthschaft,
Forstwirthschaft und Bergbau unterrichtet werden,
damit sie hernach alles mit aufgeklärtem Auge beobach=
ten, und allenthalben zum allgemeinen Besten wohl=
thätig mitwürken können.
Aber mit der Landwirthschaft und den damit ver=
bundenen Productions=Gewerben ist es darum noch
lange nicht ausgemacht: was h[i]lfts den Landmann,
wenn er die blühendsten Fluren und Kühe hat, deren
Euter über die Schwelle schleppen, gravido superant
vix ubere limen, wenn er für seine Menge Produkt=
Vergil/Virgil: Georgicon Liber III, 317: grauido superant uix ubere limen; s. o. Jung-Stillings Ausgabe des Georgicons hier: S. 111: das schwere Euter ersteigt kaum die Schwelle.
ten keine Abnehmer hat? Fabrikanten die seine rohe
Erzeugungen verarbeiten, und sein Getreide, Obst,
Gemüße, Fleisch und Milch=Producte verzehren, sind
dem Bauernstand unentbehrlich: der künftige Staats=
Diener muß also auch die Fabrik= und Handlungs=Wis=
senschaften verstehen, um die Zünfte und ihre Gewerbe,
zum allgemeinen Besten leiten und verbessern zu können.
Aber eben diese grose Kunst, Landwirthscahft, Fabri=
ken und Handlung zu leiten, und die bürgerliche und
Staats=Gesellschaft so ein zu richten, daß die Beför=
derung der allgemeinen Glückseeligkeit dadurch mög=
lich und auf alle Weise erleichtert wird, mit einem
Wort, die Staats=Polizey ist dann auch dem Stu=
direnden wichtig: hier lernt er die grosen Pflichten ken=
nen, die der Regent mit seiner ganzen Dienerschaft
zu beobachten hat; hier erfährt er die wahre Heyl=Me=
thode wie den kranken Staaten durch jene unfehlbare
Vorrede. XXIII
Mittel geholfen, und jede gefährliche Crise vermie=
den, oder doch zur dauerhaftesten Gesundheit geleitet
werden müße. Wenn die National=Versammlung in
Paris nebst der Berichtigung ihrer Schulden=Masse
diese herrliche Wissenschaft versteht, und dauerhafte
Gesetze zum Flor deren Gewerbstände entwirft,
dann aber auch jedem seine natürliche Rechte läst, so
kann Franckreich in künftigen Jahrhunderten zu ei=
ner furchtbaren Gröse erwachsen, noch zur Zeit hat es
aber zu dem allem das Ansehen nicht.
Wenn nun die Dienerschaft allenthalben so wohl=
thätig würkt, allenthalben Reichthum und Ueberfluß
entsteht, so kann nun auch der Cameralist und der
Finanz=Bediente aus diesen Seegensquellen schöpfen,
und dem Regenten, ders in diesem Fall so wohl ver=
dient, seine Schazkammer bereichern; wie dieses ohne
Beeinträchtigung des allgemeinen Besten geschehen
müße, das lehren die Finanz= und Cameral=Wissen=
schaften.
Endlich ist nun noch ein groses Fach übrig; es
entsteht nämlich die Frage: wie muß die Staats=
Verfassung beschaffen seyn, in welcher das
Beglückungs=Geschäfte am leichtesten und
wohlthätigsten ausgeführt werden kann?
und diese werde ich geliebts Gott! in einer neuen
Wissenschaft, die aber noch nicht ganz reif ist, und die
ich das Nomocratische System nenne, zu sei=
ner Zeit erörtern.
XXIV Vorrede.
Diesen ganzen Kreiß von Wissenschaften nennen
wir nun die Staatswirthschaft, nämlich als
Wissenschaft und theoretisch betrachtet; und nach allem
was ich bisher gesagt habe wird nun niemand mehr
zweifeln oder fragen können: ob denn diese Staats=
wirthschaft ein nöthiges Studium sey? – denn jeder,
der die Sache ganz durchschaut, muß gestehen, daß sie
eben so unentbehrlich sey als irgend eine von den an=
dern Facultäten. Eben so klar ist es auch, daß das
Wort Cameral=Wissenschaft nur einen Theil,
nicht aber das ganze der Staatswirthschaft in
sich begreifen können: jene muß der Cameralist aus dem
Grunde, diese aber der Jurist mit dem Cameralisten
verstehen.
Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts hat man
angefangen einzusehen, daß diese öconomischen Wis=
senschaften Lehrstühle auf Akademien verdienen, und
daß ihr Studium sehr nüzlich sey; man bestellte also
auch Lehrer derselben. und noch neulich errichteten un=
ser Durchlauchtigster Landes=Vater zwey Staatswirth=
schaftliche Institute in Rinteln und Marburg,
Siehe die Kritik der Universität in Rinteln an Jung-Stillings Vorhaben unter dem 1790-05-26.
wo nämlich verschiedene Facultäten in eine besondere
Gesellschaft zusammen geordnet, zum allgemeinen
Zweck, junge Männer zu guten Staatswirthen zu bil=
den, würken sollen. Hier ist der Ort wo ich von der
Entstehung dieser Anstalten ein und andres sagen muß.
Nachdem vor ein paar Jahren der bekannte öcono=
mische Gelehrte Herr Springer, ehmaliger Cam=
Der Autodidakt Johann Christoph Erich von Springer (1727-1798) war seit 1766 Lehrbeauftragter für Ökonomie in Göttingen, ab 1771 Professor für Staatsrecht und Kameralwissenschaften in Erfurt und seit 1788 in Rinteln; siehe STIEDA: Nationalökonomie S. 203 f. Die Schriften von Springer sind teils in ADB 35, 318, ausführlicher in GV 137, 302 f. aufgezählt.
mer=Director in Bückeburg, Geheimer=Rath und
Vorrede. XXV
Canzler der Universität Rinteln geworden war, so
legte er Serenissimo den Plan zu einer öconomischen
Facultät vor, welcher auch von Höchst denenselben
genehmigt, und also eine sogenannte Cameral=Facul=
tät gestiftet wurde, welcher der Herr Geheimer=Rath
und Canzler als beständiger Director vorgesezt ist;
das nähere davon hat dieser Gelehrte in einem öffent=
liche [sic] Anschlag durch den Druck bekannt gemacht.
Ich brauche dem Publico hier nicht erst zu sagen,
was unser theuerster Fürst, Landgraf Wilhelm der
neunte für unsre Universität gethan hat, und noch
thut, denn das ist allgemein zu seinem unsterblichen
Ruhm bekannt, auch das öconomische Studium lag
Höchst denen selben sehr am Herzen und Sie beriefen
mich im Frühling des 1787 Jahrs hieher die Öcono=
mie, Finanz und Cameral=Wisenschaften zu lehren;
ich bin also der erste Professor der hier diese Stelle
bekleidet, denn der seel. Leske, der vor mir dazube=
stimmt war, starb als er kaum hier war. Gleich von
Anfang suchte ich nun zwar alle Wissenschaften die zur
Staats=Wirthschaft gehören, nämlich Berg= und
Hütten=Wesen, Forst= und Landwirthschaft,
Technologie, Handlung, Polizei=Finanz=
und die eigentliche Cameral=Wissenschaft,
in dem Raum eines Jahrs, oder in zwey Lehrgängen
vorzutragen, allein es fehlte doch noch immer an den
vorbereitenden und Hülfs=Wissenschaften, ich war
daher auch entschlossen zu gelegner Zeit Serenissimo
unterthänigste Vorschläge deswegen zu thun, allein
XXVI Vorrede.
die Sache schikte sich von selbst: denn Se. Hoch=
fürstliche Durchlaucht nahmen von der Rin=
telner neuen Facultät Anlaß, auch unsrer Universi=
tät gnädigst aufzutragen, ob und wie allhier ein ähn=
liches Institut zuerrichten seye? – Auf den erfolg=
ten unterthänigsten Bericht wurde nun im Herbst des
Jahrs 1789 das hiesige Staatswirthschaftliche
Institut von Serenissimo gestiftet. Die wesentlich=
sten Puncte seiner Einrichtung sind folgende:
1). [sic] Macht es keine eigene Facultät, sondern eine
Gesellschaft aus, die aus Gliedern der übrigen Facul=
täten besteht, welche alle ihren Rang und Standpunct
in lezteren haben und behalten.
2). Das Institut hat im Grund die Form einer
gelehrten Gesellschaft, es nimmt auswärtige Ver=
diesntvolle, oder auch Hofnungsvolle Männer zu
ausserordentlichen Mitgliedern an; wie dann würklich
im verwichen Jahr der Lehrer der Oeconomie von
Giesen, Herr Professor Walther und der Gräfl.
Friedrich Ludwig Walther geb. Schwaningen 3.07.1759 (n. A. 3.06.1759), gest. Giessen 30.05.1824; imm. Erfurt 10.11.1777; DBA 1330, 278-306; ADB Bd. 41; GV alt Bd. 153, S. 549 f. Schrieb Gießen 1798 „Versuch eines Systems der Cameral-Wissenschaften“, 2. verm. Aufl. 1805.
Witgensteinische Cammer=Assessor Herr [Georg] Herwig in
dieser Eigenschaft aufgenommen worden.
3). Hat es keinen beständigen Director, sondern
einen Vorsteher, der alle Jahr abwechselt, so daß er
nicht gewählt wird, sondern dies Amt geht der Ord=
nung nach um; diese aber gründet sich auf den Rang
der Facultäten, und in denselben auf die Anciennität
des Dienstes.
4). Die Mitglieder versammeln sich nicht zu be=
stimmten Zeiten, sondern nur dann wann es die Umstän=
Vorrede. XXVII
de erfordern; der Vorsteher hat dann den Antrag, und
die Mitglieder votiren von oben herab.
5). Haben Se. Hochfürtl. Durchlaucht gnädigst
geruht, das Institut mit einem prächtigen Siegel zu
beschenken, welches in seiner natürlichen Größe als
Titel=Vignette diesem Wercke vorgedruckt ist.
6). Wer von den Hessen=Casselschen Unterthanen
eine Öconomische=Finanz= oder Cameral=Bedienung
haben will, der muß sich von den Lehrern dieses Instituts
in den Fächern, denen er sich gewidmet hat und widmen
will, examiniren lassen; auch werden solche Subjecte
die hier die Staatswirthschaft studirt haben, andern
vorgezogen.
7) [sic] Giebt das Institut von Zeit zu Zeit einen Band
Abhandlungen heraus, von welchen gegenwärtiger
der erste ist; wir werden uns bemühen, so wohl in
diesem Fall, als auch auf unsern Lehrstülen so allge=
mein nützlich zu werden, als es in unsern Kräften steht.
Die Lehrer dieser unserer gemeinnützigen Anstalt
sind folgende:
1). Herr Carl Wilhelm Robert bey der
Hochfürstl. Hessischen Häußer, Revisions=Rath, und
beyder Rechten ordentlicher öffentlicher Professor,
als Lehrer des Natur=Rechts; ist für das Jahr
1790 Vorsteher des Instituts.
2). Herr Conrad Mönch Hochfürstl. Hessen=
Casselscher Hofrath, der Chemie, Naturgeschichte, u.
d. g. ordentlicher öffentlicher Professor, als Lehrer
dieser Wissenschaften.
XXVIII Vorrede.
Herr Johann David Busch der Arz=
neyheit ordentlicher öffentlicher Professor, und
des Oberfürstenthums Hessen Land=Physikus, als
Lehrer der Vieh=Arzneykunde, zu deren Behuf
auch ein Zootomisches Theater errichtet worden.
4). Herr Johann Gottlieb Stegmann
der Weltweisheit, Mathematik und Physik ordentli=
cher öffentlicher Proferssor, als Lehrer dieser
Wissenschaften.
5). Herr Michael Conrad Curtius Hoch=
fürstl. Hessen=Casselscher geheimer Justiz=Rath, und
öffentlicher ordentlicher Professor der Geschichte und
Beredsamkeit, als Lehrer der Geschichte uns
Statistick.
6). Ich als Lehrer der gesammten Staats=Wirth=
schaft, und
7). Herr Franz Carl Schleicher Hochfürstl.
Hessen=Casselscher Hauptmann, und öffentlicher ordent=
licher Professor der Kriegs=Wissenschaft als Lehrer
der practischen Geometrie, Plane und Risse zu ma=
chen, und Geometrische Zeichnungen zu entwerfen. [1]
Zur Erlernung der übrigen Künste und Wissen=
schaften findet sich hier Gelegenheit genug.
Marburg den 25. October 1790.
Dr. Johann Heinrich Jung
Churpfälz=Bayerischer Hofrath
und der gesammten Staatswirth=
schaft ordentlicher öffentlicher Pro=
fessor.
Die S. 108-126 folgenden
„Bemerkungen über das Nomocratische System / von Johann Heinrich Jung.“
sind S. 15-44 in
Jung-Stilling Johann Heinrich: Aus Wirtschaft und Gesellschaft. Ausgewählte kleinere Abhandlungen. Hrsg. u. m. Anm. vers. v. Gerhard Merk. Siegen: Jung-Stilling-Gesellschaft (1992. - ISBN 3-928984-02-0.) = Jung-Stilling-Schriften Bd. 3. u. d. T.: „Entwurf einer vollkommenen Staatsverfassung*“
nachgedruckt worden.
[1] Erweiterter Druck in: Franz Karl Schleicher: Beiträge zur praktischen Meßkunst. Frankfurt: Varrentrapp & Wenner 1793. Heft 1.