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Jung-Stilling und die Erziehung 

 
 
"und glaubt ihr mir, das meiste Elend in der Welt rührt aus der schlechten Kinderzucht her"
 
 
 
Siehe ergänzend seine Meinung zur Ehe, Emanzipation der Frau
 
 
Siehe ergänzend auch unter Johann Heinrich Pestalozzi.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Einleitung
Jung-Stilling meint 1810: "Kinder müßen, unter sorgfältiger Aufsicht, mit der Welt und allen ihren Gefahren, von Jugend auf bekannt gemacht und unterrichtet werden, sich dafür zu hüten."
 
Einen ersten – heute überholten – Überblick über den Stand der Forschung und erste grundlegende Einsichten gibt die Arbeit von
 
Reiner Ullrich: Johann Heinrich Jung-Stilling. Versuch einer Einordnung in die Pädagogik. Zulassungsarbeit zur 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen Sommer-Semester 1964. Fach: Historische Pädagogik. Vorgelegt der Pädagogischen Hochschule Reutlingen. Beratender Dozent: Dr. Fritz Loser. Juni 1964. [135 S. masch. Reutlingen 1964.]
 
Edition Schwinge, S. 23, Anm. 46: "Bedauerlicherweise bleibt die Arbeit von Rainer [sic; recte Reiner] ULLRICH über Jung-Stillings Rolle in der Geschichte der Pädagogik von 1964, die allerdings nicht im Buchhandel erschien, in Vinkes Rückblicken unberücksichtigt, sie wird jedoch in seiner Untersuchung von 1987 herangezogen." [Dort S. 77 in Fußnote 306.]
 
 
Diese Arbeit von Reiner Ullrich wurde von mir 1998 im Auftrag des Präsidenten der Jung-Stilling-Gesellschaft und mit Zustimmung des Autors zum Druck innerhalb der Reihe der Jung-Stilling-Schriften überarbeitet, ergänzt und vorbereitet. Leider liegt ein Imprimatur noch immer nicht vor. Die Arbeit ist druckfertig.
 
 
Eine weitere Publikation zum großen Bereich, aber nur ein Detail behandelnd, ist die Arbeit von
Markus Schmeck: Ökonomischer Fortschritt durch bessere Bildung – Wirtschaftsberufliche Vorschläge bei Johann Heinrich Jung-Stilling. Siegen: Jung-Stilling-Gesellschaft 2003. (ISBN 3-928984-24-1) = Jung-Stilling-Schriften Bd. 8
 
 
Ganz neu ist erarbeitet worden: (Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin findet sich der Text dieser Arbeit hier.)
Carola Thamm: Wirtschaftpädagogik vor der Wirtschaftspädagogik. Johann Heinrich Jung-Stillings "Gemeinnütziges Lehrbuch der Handlungswissenschaft (1785, 2. Aufl. 1799)", ein Vergleich von spätaufklärerischer Wirtschaftdidaktik mit heutigen wirtschaftspädagogischen Ansätzen. – München 2005-06-30. – Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades einer Diplomhandelslehrerin am Department für Betriebswirtschaft - Munich School of Magenagemt - der Ludwig-Maximilians-Universität München; Referent. Prof. Dr. Volker Hoffmann. – 3 Bl. 64 S., 3 Abb., masch. - Siehe unter diesem Link.
 
 
Auf meiner web-site zur "Jugend" finden sich weitere Literaturhinweise, die durch meine web-site zu Pestalozzi ergänzt werden. – Kleinere Hinweise finden sich an den verschiedensten Stellen, so z. B.:
Ernst Weber: 2. Teil [von: Deutsche Dichterpädagogik] Dichter und Pädagogenzunft. Bd. 1, Bd. 2. Prag, Leipzig und Wien: Haase 1921 = Schriften für Lehrerfortbildung. Hrsg. v. A[nton]. Herget an der Lehrerfortbildungsanstalt in Komotau Nr. 23 und 24.
 
 
Anlässlich einer Verabschiedung eines verdienten Pädagogen in den Ruhestand erschien umrißhaft zum Thema in einer Auflage von 120 Exemplaren am 27. Januar 2005:
Erich Mertens: Johann Heinrich Jung-Stilling und die Pädagogik. Festvortrag [Am 27. Januar 2005 gehalten in Ewersbach.] zur Beendung des Schuldienstes von Rektor Falk Claaß. Als Manuskript gedruckt.
 
 
 

Im Jahr 1780 schreibt Jung-Stilling:

"Nun hab ich euch erzählt, daß es nicht gut sey, wenn man seine Kinder so strenge hält, das habt ihr an dem Klemens gesehen, und wenn man die Kinder gar nicht erzieht, so geht's auch schlimm, wie ihr aus des Dümmlings Geschichte gelernt habt, und verzärtelt man sie, so taugts auch nicht, wie ich euch nun jezt von dem Wasener erzählt habe.
Da werdet ihr mich nun fragen wollen, wie soll mans dann treffen? Hört mir zu! ihr lieben Leute! ich will eich einen Rath geben, der soll euch recht gut gefallen, und wenn ihr mir folgt, so werdet ihr eure Kinder christlich und gottgefällig erziehen, und in diesem Leben eure Freude an ihnen haben.
Wenn sich zwo Personen heyrathen wollen, so haben sie dazu verschiedene Ursachen: 1. Sie fühlen eine Lust in sich, die treibt sie zum Ehestande, und wenn ihr mir nun die Wahrheit recht gestehen wollt, so ist diese Lust bei den mehresten die eigentliche Hauptursache, warum ihr euch verheyrathet. Ich hab auch sonderlich nichts dagegen, denn seht! unser Herr Gott hat diese Lust, diese Begierde in die Menschen gelegt, sie ist also im Grunde gut, nüzlich und heilig, denn sonst würden ja keine Menschen mehr gebohren, und das wäre ja gerade gegen den Willen Gottes. Bedenkts nur einmal, ihr lieben Leute! wenn diese Leute [sic; Lust?] dieser Trieb, nicht in dem Menschen wäre, so würden wenige heyrathen, denn das Kindererziehen und die Haushaltung hat so viel Beschwerliches, daß sich wenige dazu verstehen würden, zu heyrathen. Darum hat Gott die Lust zum ehelichen Beischlaf in uns gelegt, damit sie uns zum Heyrathen treiben, und uns im Ehestande Vergnügen machen möchte.
Ob euch nun gleich diese Lust zum Heyrathen treibt, so müßt ihr doch dabei bedenken, daß es Gottes Wille sey, Kinder zu erzeugen, denn sonst hätte er ja die Lust des ehelichen Beischlafs nicht in euch gelegt. Ihr sollt Kinder erzeugen; diese Kinder aber haben viele Jahre nöthig, ehe sie erwachsen [sind], und sich selber ernähren können. Seht! darum hat Gott befohlen, daß zwo Personen, welche Lust zu einander haben, nicht wie das Vieh zusammenlaufen, und sich paaren sollen, wer würde alsdann für die armen Kinder sorgen? sondern unser Herr Gott will haben, daß sich zwei junge Leute so zusammen verbinden sollen, daß sie lebenslang beisammen bleiben, Kinder erzeugen, diese Kinder erziehen, und deswegen eine Haushaltung zusammen führen sollen, damit sie die Kinder zusammen erziehen und ernähren können. Seht! das heißt man nun den Ehestand, und der muß heilig gehalten werden.
 
Vgl.: Gen 2, 18. – Weisheit 7, 2; u. ö.
 
Jezt kommts nun drauf an, daß ihr die Kinder recht erziehen lernt. Damit ihr nun alles recht begreifen möget, was ich euch sagen will, so müßt ihr euch vorstellen, wozu der Mensch in der Welt ist? – Merkt also wohl auf, Ihr guten Leute! damit ihr mich recht versteht!
Schaut! der Mensch soll sich selber so glücklich machen, als es nur möglich ist, dazu will ihm unser Herr Gott helfen, dazu hat er ihm Verstand und Kräfte gegeben. Nun ist aber die Seele des Menschen unsterblich, sie lebt ewig, es kommt also alles darauf an, daß der Mensch ewig glücklich wird. Wie soll das aber nun geschehen? Wenn der Mensch gebohren wird, so weis er nichts, er versteht auch nichts. Nun ist aber diese Welt von der Geburt an, bis an den Tod des Menschen Schule, er muß in diesem Leben lernen, was er zu seinem Amt im Himmel nöthig hat. Auch erzieht unser Herr Gott den Menschen in diesem Leben, wer ihm nun gehorcht, was er uns in der Religion befohlen hat, der komm zurecht, dem geht's wohl.
 
Das ist nun wohl das Fürnehmste, aber noch nicht alles. Zu diesem Leben in der Welt gehört sehr viel; wir müssen von Jugend auf bis in unsern Tod Nahrung, Kleidung und Wohnung haben, dazu hat nun wohl unser Herr Gott Mittel genug in die Welt geschaffen, aber wir müssen sie uns durch eine ehrliche Handthierung erwerben; denn von selbst fliegt uns keine gebratene Taube ins Maul.
Aber nun müßt ihr noch eins bedenken: Der Mensch ist von Natur nicht so geartet, daß er sich für das alles selber sorgt; O keinesweges! es ist uns eine Last, uns so glücklich zu machen, und dem willen Gottes zu unserer Glückseligkeit zu folgen. Der Mensch ist so gesinnt: Er genießt das erste beste Vergnügen, das er bekommen kan, und bekümmert sich nicht, was darauf folgt; So folgen unzüchtige Jünglinge und Mädchen ihrer Lust, und schlagen das Elend, das darauf folgt, in den Wind; Andere denken nur daran, wie sie hier in der Welt viel Vergnügen haben mögen, um die Ewigkeit bekümmern sie sich nichts. Wenn die Menschen ihrer Nebenmenschen glücklich zu machen suchen, das bringt ihnen das meiste Glück im Himmel, aber daran denkt ihr selten, ihr sucht euch selber in dieser Welt glücklich zu machen, um euren Nebenmenschen bekümmert ihr euch wenig, ja oft drückt und bekriegt ihr noch gar euren Nächsten, das wird euch aber in der Ewigkeit sehr übel bekommen.
 
Seht! nun wißt ihr, was der Mensch zu thun hat, und wie seine Natur ist. Jetzt kan ich euch nun mit ein paar Worten sagen, was das Kindererziehen sey.
Durch die Kinderzucht sollt ihr die Kinder geschickt machen, damit sie zeitlich und ewig glücklich werden mögen. Die Kinder sollen alles lernen, was sie wissen müssen, um zeitlich und ewig glücklich zu werden, und dann müßt ihr sie auch anführen, alles dasjenige, was sie wissen, zu thun, so viel als euch nur immer möglich ist. Nun wißt ihr aber. daß die Natur des Menschen verdorben ist, und daß sie gar keine Lust zu dem hat, was zu ihrem Besten dienet; Dahero muß man die Natur verbessern, damit sie Lust am Guten bekommt. Das ist nun alles schwer, aber wenn ihr mir folgt, so wird's euch leicht werden; Gebt nun also wohl Acht!
Ihr müßt selber mit allem Fleiß dahin trachten, wahre Christen zu werden; denn wenn eure Kinder sehn, daß ihr selber nicht thut, was ihr sie lehrt, so hülft alles nichts.
Weil die Kinderzucht schwer ist, so müßt ihr täglich beten: Großer Gott in Jesu Christo! Gib mir doch Verstand und Kraft, meine Kinder nach deinem Willen zu erziehen! Ob ihr aber diese Worte tausendmal sagt, das hilft nichts, ihr müßt von Herzen beten.
Weil die Natur des Menschen verdorben ist, und also die Kinder gemeiniglich etwas Schädliches wollen, so müßt ihr immer den Willen der Kinder brechen, damit sie sich an gewöhnen, erstlich euch, hernach auch andern Menschen, die ihnen vorgesezt sind, und endlich auch Gott zu gehorchen.
Das macht ihr nun folgendergestalt: Wenn die Kinder gebohren sind, so müßt ihr sie im Essen und Trinken so erziehen, wie ich euch im vorigen Stück gelehrt habe. Es ist nicht gut, wenn ihr die Kinder ans Wiegen gewöhnt, das macht euch viele Mühe, und ist unnöthig; macht ihr ihnen ein festes Bettchen, und legt sie dahinein, und haltet sie immer hübsch reinlich und sauber; es ist auch gut, wenn ihr sie mit kaltem Wasser wascht. Wenn ihr sie 14 Tage lag nach der Geburt mit laulichem Wasser gewaschen habt, so fangt ihr an, und waschet sie mit kaltem Wasser. Wenn ihr die Kinder des Abends ins Bette legt, so laßt ihr sie lieben, wenn sie nur gesund sind; fangen sie an zu kreischen, so laßt sie nur kreischen, bis sie es müde sind. Im Anfange kan man sie des Nachts einmal säugen, nach und nach gewöhnt man sie auch davon ab.
Niemals müßt ihr die Kinder in der Stube herum tragen, sie mögen kreischen, wie sie wollen, denn sie gewöhnen sich daran, und wenn sie nun getragen werden wollen, so schreien sie; man bestärkt sie also dadurch nur in ihrem eigenen willen, den man aber auf alle Weise muß zu tödten suchen.
Den Tag über säugt man an sie öfters, und hernach gibt man ihnen ordentlich zu essen; Bei dem allen müssen aber auch die Kinder Handspiel haben; man gibt ihnen also allerhand, womit sie sich die Zeit vertreiben, nur muß es ihnen nicht schädlich seyn. Immer aber gibt man Acht; so bald sie etwas absolut wollen, so muß mans ihnen absolut nicht geben, sie mögen thun, was sie wollen, wenns ihnen nicht nöthig ist; haben sie aber etwas nöthig, so muß mans ihnen gleich geben, ehe sie eigensinnig werden.
So muß man sich immer mit den Kindern verhalten, auch muß man zuweilen die Ruthe brauche, doch auch nicht zu oft, damit die Kinder nicht schüchtern und blöde werden: auch muß man ihnen nicht erlauben, viel zu reden.
Wenn christliche Aeltern ernstlich Gott um Weisheit anrufen, so wird er sie gewiß erhören; Auch missen sie fleißig gute Bücher lesen, so werden sie nach und nach Verstand bekommen.
Wie aber die Kinder im Christenthume unterrichtet werden müssen, das will ich" [… später darstellen.]
 
 
 
 
Im Jahr 1801 schreibt Jung-Stilling, aus einem Gespräch zwischen seinem Schutzengel Siona und sich zitierend: (Textumbrüche durch mich):
 
 
Meine erhabene Dollmetscherin [d. i. Siona] erzählte:
Dieser Mann, der nun Gejon heißt, war in seinem Leben ein neumodischer Stoiker; ein Mensch, der die christliche Religion haßte, und ihr zum Troz tugendhaft und rechtschaffen war, um zu zeigen, daß man es auch ohne Religion seyn könne – oder vielmehr sich einbildete, es seyn zu können.
Sein Vater war ein herzlich frommer Mann, dem es aber durchaus an Weisheit fehlte, seinen Sohn zu erziehen, denn er quälte sich von Jugend auf mit stundenlangem Lesen, Beten und Singen, und pflanzte also dem Knaben von der Wiege an Haß und Widerwille gegen Alles, was nur auf Religion Bezug hat, in die Seele;
der Vater bemerkte das mit Leidwesen, er glaubte er habe die Sache noch nicht ernstlich genug angegriffen, und müsse also noch mehr Ernst anwenden; daher wurde nun noch länger gekniet und gebetet, und noch länger gelesen und gesungen,
wodurch also natürlicher Weise das Uebel immer ärger wurde; denn der Knabe entlief endlich seinem Vater, gieng in die Fremde, traf Leute an, die sich seiner annahmen, lernte die Handlung, und heyratete dann eine reiche Frau, mit der er aber keine Kinder hatte; diese starb und hinterließ ihm ein ansehnliches Vermögen, von dem er reichlich leben konnte.
 
Ich. Erlaube mir, daß ich dich unterbreche! – Die Bemerkung, welche du so eben über Gejons Erziehung gemacht hast, ist mir durch deinen Unterricht schon längst bekannt, und ich habe sie auch hin und wieder in meinen Schriften geäußert; dies hat nun einige fromme Väter und Mütter, die ihre Kinder gern christlich erziehen möchten, verlegen gemacht; belehre mich doch über diesen Punkt und sage mir, was ich ihnen rathen soll!
 
Siona. Gott selbst giebt dir in diesem Stück das beste Muster der Erziehungsmethode, durch sein Beyspiel, an die Hand; studire diese Methode, so kannst du nicht irren.
Die Eltern müssen nur selbst wahre Christen seyn, – das ist, sich nicht durch langes Beten, Lesen und Singen, auszeichnen – wer das nöthig hat, in dem ist, wahrlich! noch wenig Kraft und Wesen des Christenthums. – Wer anders keine Kräfte zum Gehen und Arbeiten hat, als die er durch stärkende Arzeneyen bekommt, mit dessen Gesundheit sieht es übel aus; wo der Geist Jesu Christi wohnt, da leuchtet sein Licht hell und weitstrahlend aus Gedanken, Worten und Werken hervor, und Kinder, die im Glanze dieses Lichts von der Wiege an erwachsen, werden unvermerkt zur Bewirkung und Einwohnung dieses nämlichen Geistes vorbereitet, und es bedarf da keiner großen Kunst, Wissenschaft oder psychologischen Kenntnisse:
 
man rede nur immer mit Würde von Gott und Christo;
 
man äußere immer die zärtlichste und ehrfurchtsvollste Liebe gegen den Erlöser;
 
man gedenke seiner unaussprechlich großen Verdienste immer so, daß die Neugierde der Kinder dadurch rege gemacht wird;
 
man sage ihnen immer weniger von ihm, als sie zu wissen wünschen, und doch rede man oft und mit der größten Ehrfurcht von Gott, aber nie lange, sondern immer kurz abgebrochen.
 
Man erlaube ihnen Kinderspiele und sinnliche Vergnügungen, bezeige sich aber immer wehmütig und traurig, wenn sie heftige Begierden äußern;
 
wo es nur immer möglich ist, da suche man es so einzurichten, daß sich jede Ausschweifung durch eine schmerzhafte Folge selbst bestraft;
 
man belohne nie ihre guten Handlungen mit irgend einem sinnlichen Genuß, sondern man präge ihnen tief in die Seele, daß alle edlen Handlungen erst in der seligen Ewigkeit, aber überschwenglich belohnt würden.
 
Man mache eine Belohnung daraus, in der Bibel! lesen zu dürfen, erlaube es aber niemals lange; schöne Verschen aus schönen Liedern, auch wohl Kernsprüche, läßt man sie zu Zeiten lernen, aber nur dann, wenn sie Lust dazu bezeigen;
 
die Lebensgeschichten und edlen Handlungen sehr frommer Menschen läßt man sie zum Vergnügen und zur Erholung lesen, doch nur immer so, daß ja kein Geschäft dadurch versäumt werde.
 
Zum Beten gewöhnt man sie von Jugend auf, aber so an, daß sie wenig um irdische sinnliche Dinge bey ihrem himmlischen Vater anhalten, weil in diesen Fällen die Gebetserhörungen seltener sind, und auch sehr geübte Beter erfordern; sondern
 
man lehrt sie um Weisheit und Verstand, und um Kraft gegen das Böse zu kämpfen, beten; man führt sie dazu an, daß sie immerfort um Erkenntniß des Willens Gottes flehen müssen, und
 
bringt sie allmählig dahin, daß sie sich angewöhnen mit Gott umzugehen, und ganz von seiner Führung abhängig zu werden.
 
 
Ich. Ich danke dir, göttliche Siona, für diesen Unterricht! –
 
 
 

Jung-Stilling äußert 1782 seine Meinung zum Katechismus und dem gewöhnlichen (Katechismus)-Unterricht

 
Ihr seyd gewohnt, das Buch, woraus ihr die Religionserkenntniß erlernt, Katechismus zu nennen.
Katechismus heißt eine Lehre, wo der Lehrer fragt und der Lehrling antwortet.
Nun will ich euch sagen, was ich von einem solchen Buch halte.
Der Schüler lernt Fragen und Antwort auswendig. Da hat er nun gnug damit zu thun, die Worte zu behalten; was sie aber bedeuten, daran kan er nicht denken, sein Gedächtniß ist voll von Worte, wie kan er da an Sachen denken? der Lehrer muß sich dann auch an die Fragen halten wie sie da stehn, er fragt aus dem Buche, und der Schüler antwortet aus dem Buche, das ist dann gerade als wenn man eine Elster oder Raben Reden lehrt, eben so wenig weiß auch der Schüler davon, was gefragt wird, und was er antwortet.
Wofür ist nun alle die Plagerei, wofür dient's, die Kinder 3 bis 4 Jahr lang den Kopf zerbrechen zu lassen? am Ende wissen sie doch nicht viel mehr als im Anfange.
Da halte ich's für besser, wenn man den Kindern die Religionswahrheiten so ganz einfältig, so lang vorsagt, bis sie's selber begreifen und wissen; da kan man in der Schule täglich eine oder zwo Stunden dazu nehmen; aber da muß sie auch der Schulmeister verstehn, und das trift man selten.
Bis dahin, daß die Schulmeister selber die Religion verstehn, soll man wohl den Katechismus behalten müssen.
Wenn aber die Kinder keinen Katechismus mehr lernten, und ihnen der Schulmeister alles einfältig vorsagte, so begriffen die Kinder auch alles, sie verständen am Ende die Religion ganz, und der Prediger fragte sie dann auch in der Kinderlehre aus dem Kopf, so antworteten dann auch die Kinder aus dem Kopfe und da könnte man erst recht sehen, wer seine Sache am besten verstände.
Damit aber doch der Schulmeister nicht seine eigene Grillen den Kindern vorschwazt, so ist doch ein Buch nöthig, das muß er ihnen erklären, und da muß er drauf schwören, wenn er Schulmeister wird, daß er die Kinder nichts anders lehren will, als was in dem Buche steht. Das Buch erklärt er den Kindern nur, damit sie's recht begreifen, und da katechisirt er sie dann alle Woche einmal, und fragt sie aus dem Kopf, über das, was er ihnen die Woche über vorgesagt hat, und da müssen ihm dann auch die Kinder aus dem Kopf antworten; dadurch werden sie nach und nach viel gescheuter werden, als durch das elende Katechismuslernen.
Ein solches Buch wäre dann ein Lehrbuch und dies muß kurz, einfältig und deutlich seyn, da muß nur das allernöthigste drinnen stehen.
 
 

Ein Text aus dem Jahr 1807: 

Das wesentliche Hauptstück aller Erziehung besteht darinnen, daß man die Kinder unaufhörlich und anhaltend aufmerksam auf ihre Fehler macht, und ihnen dabey immer die Quelle zeigt, aus der sie entstehen. Dies wird dann unfehlbar allezeit die Selbstsucht, die Ichheit, oder – nennt diese Erbsünde wie ihr wollt – die Eigenheit, der Egoismus seyn. Diese herrschende Neigung ist eigentlich das Uebel, das durch den Fall Adams auf alle Menschen fortgeerbt ist. Die wahre Gottgefällige Selbstliebe, findet in der Gottes= und Menschenliebe ihre wahre Befriedigung: denn wer Gott und die Menschen aufrichtig liebt, wird in Zeit und Ewigkeit höchst glückseelig; der liebt sich also wahrhaft selbst, der in der Gottes= und Menschenliebe die Befriedigung seiner geistigen Bedürfnisse findet. Die Selbstsucht hingegen liebt nur den, der ihr schmeichelt, und zur Erreichung ihrer Zwecke behülflich ist, jeden andern haßt sie. Sie reist [sic; reißt] rund um sich her alles an sich, was zur Befriedigung ihrer sinnlichen Begierden dient, und wenn nun die mehresten Menschen um sie her, von der nämlichen Leidenschaft beherrscht werden, wie das würklich der Fall ist, so sind dann Obrigkeiten nöthig, die mit Zwanggesetzen und Gewalt versehen, jeden in den Schranken halten.
Wenn also die Kinder von Jugend auf, immer in der Selbstprüfung, nach obiger Regel, geübt werden, so entsteht daher wahre Demuth, ein sehnliches Verlangen besser zu werden; sie machen keine Prätensionen, denn sie wissen daß sie keine Wohlthaten verdienen, oder wenn sie solche doch verlangen so laßen sie sich bald zurecht weisen, und wenn man ihnen Vergnügen macht, so weckt das dankbare Liebe in ihnen, weil sie tief fühlen, daß sie es nicht werth sind. Eine solche Vorbereitung macht nun das ganze Wesen des Menschen zur Annahme des wahren Christenthums fähig; daher trage man ihnen nun die Lehre des Evangeliums rein vor, so wird dieser Saame einen guten Boden finden, und reichlich Früchte tragen. Der elende Einwurf daß durch diese Erziehungs=Art, die Kinder blöde, schüchter, und furchtsam würden, verdient keine Widerlegung: wer ist denn standhafter, und muthvoller in den grösten Gefahren, als der wahre Christ?
Die Erziehung der niedrigen Stände ist noch weit fehlerhafter, besonders da nun auch die mehresten Geistlichen, vorzüglich im nördlichen Teutschland, leider, aufgeklärt sind; sagt, Männer, Lehrer Teutschlands! was soll, und was wird aus dem zunächstkommenden Menschengeschlecht besonders der grossen gemeinen Volcksclasse werden? – das keinen Himmel und keine Hölle, keinen lieben Gott und keinen Heiland mehr kennt? – meynet ihr denn, euer ewiges Predigen, seyd tugendhaft, seyd wohlthätig, liebt Gott, liebt euren Nächsten u. s. w. das würde Nutzen bringen? Ey! das weiß der Knabe auf der Gassen, und das alte Mütterchen eben so gut als ihr! – aber Wissen und Thun ist ein grosser Unterschied; wenn man keine ewige Verdammniß mehr zu fürchten hat, so lebt man in den Tag hinein, und thut was einen gelüstet. Die eigenthümliche Schönheit der Tugend ist so fein, daß sie ein solches Auge nicht sieht, und das Vergnügen das sie gewährt, ist kein Genuß für grob sinnliche Menschen.
Das einzige Mittel das künftige Menschengeschlecht zu retten, ist: Einführung der alten wahren reinen Christus=Religion in Kirchen und Schulen, wenn das nicht geschieht, so ist alles verlohren. Aber es wird nicht – wenigstens nicht im Ganzen geschehen.
 
 

Ein Text aus dem Jahre 1781

Das Problem der Masturbation/Onanie/Selbstbefriedigung/Selbstbefleckung zieht sich durch Jung-Stillings Werk. Bereits 1776 und 1779 verweist Jung-Stilling auf das 1758 in Erstauflage erschienene Werk (nicht genannt bei: Gerhard Schwinge: Jung-Stillings Lektüre, 2002) von Simon André-David Tissot "Die Onanie, oder Abhandlung über die Krankheiten die von der Selbstbefleckung herrühren."
Jung-Stilling empfiehlt dieses Werk ausdrücklich und wiederholt. Dies gilt auch für das (ebenfalls bei Schwinge nicht genannte) Buch von Daniel Langhans: Von den Lastern (1773).
Eine Untersuchung über dieses Thema und die Quellen für Jung-Stillings vehementen Einsatz gegen dieses Übel fehlt noch. Immerhin wurde er ja auch zum Preisrichter bei einer Arbeit über das Thema benannt.
 
Jung-Stilling fordert nun im Jahr 1781 die Einlieferung eines solchen Übeltäters in das Zuchthaus:
Lezthin fragte mich ein junger, sehr frommer
Geistlicher in einem Brief: welches wohl das beste
Mittel sey, um die Selbstbefleckung unter der Ju=
gend ganz abzuschaffen? Ja, du lieber Gott! das
ist schwer! Doch glaub ich, es gibt ein Mittel da=
gegen. Nun schreib ich freilich dieses Werk nicht
für Landesherren und Regierungen, sondern für
das gemeine Volk; aber doch kan ichs hier sagen,
wie ich glaube, daß man das Unglück ganz aus dem
Grunde vertilgen könnte.
 
Die ganze Einrichtung muß so gemacht wer=
den: Obrigkeiten, die Pfarrherren, Schulmeister
und Aeltern müssen alle dazu helfen.
 
Die Obrigkeit muß eine Verordnung machen,
daß ein jeder Knabe, oder ein jedes Mädchen, wel=
ches einen anzeigen kan, der die Selbstbefleckung
treibt, ein ansehnliches Präsent haben soll,alsdann
werden alle Kinder eins auf das andre acht geben,
und wo es etwas sieht, solches seinen Aeltern, dem
Schulmeister, oder dem Pastor anzeigen. Dadurch
werden die Knaben mistrauisch gemacht; sie wer=
dens dann wenigstens heimlicher treiben, und es
andre Kinder nicht lehren.
 
Hiebei ist freilich eine Beschwerlichkeit. Ge=
sezt: ein Knabe merkt an einem andern so etwas,
und ergeht dann hin und zeigts an, so gibt das
Streit und Haß unter den Aeltern und Kindern,
und unter der Nachbarschaft. Aber, was ist zu
machen? man muß unter zwei Uebeln das geríngste
erwählen; es ist doch besser, ein solche Leib und
Seel verderbendes Uebel auszurotten, als daß man
etwas Streit zwischen Nachbarn vermeiden will.
 
Ferner muß die Obrigkeit genau acht haben.
Ein Knabe oder Jüngling, der angezeigt wird, und
der das Uebel treibt, muß ohne alle Gnade ins
Zuchthaus; im Zuchhaus muß er nun wohl be=
wacht, und ihm kein Augenblick Zeit gelassen wer=
den, sein Laster zu begehen; immer muß jemand
bei ihm sey, sogar wenn er aufs heimliche Gemach
geht, darf er nicht allein gehen; auch des Nachts
muß jemand bei ihm schlafen, und da muß auch
ein geschickter Arzt angestellt werden, der alle diese
unglückliche Kinder kurirt. Im Zuchthause müs=
sen sie nun so lange bleiben, bis sie ganz von dem
Elend befreit sind.
 

Im Jahr 1807 fasst Jung-Stilling seine Meinung zum Thema noch einmal drastisch zusammen:

Noch etwas liegt mir schwer auf dem Herzen – Ach! daß ich meine Feder in Glut tunken, und folgendes mit Flammenschrift in die Herzen meiner Leser schreiben könnte! Es giebt ein geheimes Laster der Unzucht, das ich nicht nennen darf, um meine Leser, besonders junge Knaben nicht neugierig zu machen; wer schon damit behaftet ist, oder wer dazu versucht wird, der kann schon merken was ich meyne. Junge Knaben, auch junge Mädchen, doch diese seltener, sind diesem schrecklichen Unglück ausgesetzt. Ein Knabe lehrts dem andern, viele kommen auch von selbst daran, sie üben dies Laster in aller Unschuld, und wissen nicht, daß sie etwas Uebels thun, und daß sie sich dadurch auf Lebenslang höchst unglücklich machen. Viele Eltern kennen dies Scheusal gar nicht, und viele die auch von weitem davon gehört haben, ahnen so etwas von ihren Kindern nicht; es kommt ihnen nicht in den Sinn, daß ihr Söhnchen oder Töchterchen jetzt am schrecklichsten Abgrund hinwankt, und bald hinein stürzen wird.
Ich hab ehmals als Arzt, und noch bis daher, die traurigen und oft so schrecklichen Folgen dieses Lasters, zu beobachten Gelegenheit gehabt; ach welche Seelzagende und Verzweiflungsvolle Klagen finde ich oft in Briefen, die solche Unglückliche an mich schreiben, und um Rath und Hülfe flehen! –
In einer gewissen Stadt lebte ein sehr frommer und rechtschaffener, in einem öffentlichen Amt stehender Gelehrte, er und seine Frau dienten Gott treulich, erfüllten ihre Pflichten, und waren von jedermann hochgeachtet und beliebt. Dieses liebe Ehepaar hatte drey Söhne, die sie von Jugend auf zu aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit anführten, undd a sie alle drey Neigung zum Predigtamt hatte, so wurden sie auch alle drey auf die lateiniSchule geschickt, um sich zum studieren vorzubereiten. Hier lernten sie nun auch alle drey, von ihren leichtsinnigen Mitschülern, jene schreckliche Handlung, sie übten sie lange aus, ohne ihre Gefahren zu kennen; sie setzten dies Laster auch auf der Universität fort, sie wurden Candidaten, und kamen zu ihren Eltern zurück. Das elende Aussehen der drey Jünglinge, bedauerten die Eltern sehr, sie schrieben es aber dem übermäßigen Studieren zu, die wahre Ursache aber wusten, und vielleicht kannten sie sie auch nicht. Nach und nach wurden die drey Candidaten immer elender, ihr Kopf schwach, alle Sinnen stumpf, denken und überlegen fiel ihnen schwer, und nun fiengen sie auch alle drey an, den schwarzen Staar zu bekommen, und unheilbar blind zu werden. Wie den armen Eltern dabey zu Muth war, das läst sich denken: sie weinten und klagten, Tag und Nacht, aber es fiel ihnen nie ein, daß ihre Shne durch dies Uebel so unglücklich geworden seyen; hätten sie das gewust, so wären sie vollends untröstlich gewesen.
Nun trug es sich zu, daß ich durch die Stadt reiste, wo diese Unglücklichen wohnten, und indem ich den dasigen Arzt besuchte, und mit ihm zu Mittag speiste, so erzählte er mir den jämmerlichen Zustand der dreyen Brüder, und bat mich sie zu besuchen, und zu sehen, ob ich etwas thun könnte, um ihnen das beynahe ganz verlohrne Gesicht wieder zu verschaffen; von der wahren und geheimen Ursache des Uebels sagte er mir aber kein Wort. Ich gieng mit ihm hin, und fand – eine Wohnung des gränzenlosen Jammers; die Eltern empfingen mich mit aller Sehnsucht nach Hülfe, zwey von den Söhnen waren im Zimmer, und der dritte in der anstossenden Kammer, in welche auch der zweyte bey meiner Abkunft hineingieng, der Aelteste aber blieb. Guter Gott, welch ein Anblick! abgezehrt bis auf die Haut und Knochen stand er da;mit starren und verloschenen Augen sah er mich an; seine Mienen verzogen sich zum Weinen, aber die Thränenquellen waren vertrocknet; die Haut sahe im Gesicht und an den Händen, eckelhaft gelb aus. Man sahe in seinem Gesicht noch die Ueberreste eines gutmüthigen edlen Karakters, aber die Züge der Verzweiflung tilgten nach und nach alle weg. Ich sahe ihn freundlich und mit Mitleid an, betrachtete seine Augen, und sahe nun auf den ersten Blick die wahre Ursache alles dieses Elends. Die andern beyden Brüder wollten nicht zum Vorschein kommen; auf Ersuchen der Eltern gieng ich zu ihnen in die Kammer: der zweyte schämte sich, und ich konnte ihn kaum zum Antworten bringen, wenn ich ihn fragte. Der dritte aber war ärgerlich, mit dem ließ ich mich nicht ein; so viel sahe ich aber mit Gewißheit, daß alle drey durch das geheime Laster waren zu Grund gerichtet worden. Ich merkte aber auch, daß dies die Eltern nicht von Ferne ahnten. Daß ich mich auch gegen sie so wenig, als gegen die Söhne etwas merken ließ, das versteht sich von selbsten. Mit dem Doctor sprach ich aber nun unter vier Augen, und sagte ihm meine entdeckung, er bekräftigte sie, und antwortte mir, daß er das Uebel gleich von Anfang an gemerkt hätte; sie hätten aber erklärt, daß sie das Laster nun nicht mehr lassen könnten, und wenn sie auch darüber sterben müsten. Zuverläßig ist dies auch das traurige Schicksal dieser drey jungen Männer in wenigen Jahren gewesen, denn ich habe nachher nichts mehr von ihnen gehört. Nun bedenkt nur einmal, liebe Leser und Freunde! welche Folgen eine Handlung hat, die von Anfang so unbedeutend scheint! – diese drey Candidaten hätten in dreyen Gemeinden, als Prediger, dem Reich Gottes und dem Staat sehr nüzlich werden können. Sie hätten drey honette christliche Frauenzimmer heurathen, und geseegnete Väter vieler braven Kinder werden, und in einem geseegneten Alter ruhig und im Frieden sterben können,. und alles dieses Glück verscherzten sie durch eine elende schändliche, und heimliche Befriedigung einer schnöden Lust, die nicht einmal des Nennens werth ist.
Es ist der Mühe wohl werth, daß ich euch den Zustand eines solchen unglücklichen Selbstbefleckers nach der Wahrheit schildere; ich will nichts übertreiben, sondern alles so beschreiben, wie es ist, und wie mir es solche Unglücklichen oft und vielfältig selbst beschrieben haben. Man hat Beyspiele daß Knaben von zehn Jahren, viele auch später an dieses Laster, bald von selbst, bald durch Unterricht und Beyspiel anderer gekommen sind; oft sind auch wollüstige Weibspersonen Schuld daran. Im Anfang, und je nachdem der Körper gesund und stark ist, merkt man nichts Schwächendes oder Nachtheiliges; aber da derjenige, der einmal daran gewöhnt ist, es schwerlich, und endlich gar nicht mehr lassen kann, so entstehen früher oder später folgende schreckliche Folgen: ein solcher Mensch sucht die Einsamkeit um seine schnöde Gewohnheit auszuüben, so bald dies geschehen ist, fühlt er fürchterliche Gewissensbisse, er nimmt sich fest vor das Laster nicht mehr zu begehen, aber die einbildungskraft ist voller unzüchtiger Vorstellungen, und bald, manchmal noch an dem nemlichen Tag schleicht er ins Verborgene, und sündigt aufs neue.
Es giebt auch viele, besonders rohe und ungezogene, oder gar auch solche Knaben und Jünglinge, die gar nicht daran denken daß das etwas Uebels sey, die gar keine Reue, gar keine Gewissensbisse nach verübter That spüren, sondern ohne Nachdenken das Laster begehen, so oft ihnen der Reiz dazu ankommt, aber bald, und dann, leider! gar oft zu spät zeigen sich die schrecklichen Folgen. Durch die unmäßige Erschöpfung der edelsten Kräfte des Körpers, entsteht allmählig eine Schwäche, eine Trägheit, die mit nicht zu vergleichen ist; alle Fröhlichkeit verschwindet, und es entsteht eine Schwermuth welche ein wahrer Vorgeschmack der Hölle ist. Ein solcher unglücklicher junger Mensch vergeht wie ein Schatten; der Appetit zum Essen wird geschwächt, und wenn er ihn auch behält, so kann er doch nichts vertragen und nichts verdauen; seine Einbildungskraft wird immer mit unzüchtigen Bildern bestürmt, und diese lassen ihm dann keine Ruhe, bis er ins Verborgene geht, und seinen Trieb befriedigt; so bald dies geschehen ist, überfällt ihn Höllenquaal, er fühlt sich schon verdammt, er verflucht und verwünscht das Laster, und doch, so bald sich der Reiz dazu wieder einstellt, so begeht er es wieder. Dies geht nun Jahrelang so fort, bis endlich der Tod und Verzweiflung dem Jammer ein ende machten.
Der Zustand in dem sich ein solcher Elender befindet, ist über alle Beschreibung schrecklich: denn wenn er endlich, während dem Allem, erwachsen, und nun in den Jahren ist daß er heurathen, eine Familie gründen, und glücklich machen könnte, so befindet er sich in einem Zustand, der ihm das unmöglich macht. Er ist der Liebe fähig, er sieht Frauenspersonen, die er herzlich lieben, und glücklich mit ihnen seyn könnte, aber er sieht sie so, wie dereinst die Verdammten die Seeligen ansehen werden, dies Glück ist auf ewig für ihn verlohren. Düstere Schwermuth umgiebt ihn, kein Sternlein des Trostes leuchtet ihm; er treibt unter schrecklichen Gewissensbissen in der Einsamkeit sein Laster fort, und stirbt langsam an der Rückenmarks=Auszehrung, und in wilder Verzweiflung, in der Blüthe seiner Jahre dahin.
Denkt nicht, liebe Leser und Freunde! daß ich die Sache übertreibe, oder daß dies Laster selten sey. Leider! Leider! ist es allgemeiner als man glaubt, den Aerzten ist das bekannt genug. Daß es nichtbes allen obige schreckliche Folgen hat, das hat auch seine Ursachen: viele junge Leute werden noch zeitig gewarnt, ehe es zu weit gekommen ist; andere haben stärkere Körper, denen es weniger schadet, aber wenn sie in den Ehestand kommen, so zeigen sich ihnen die traurigen Folgen.
Daß auch bey dem weiblichen Geschlecht ein ähnliches Laster statt findet, ist leider! allzuwahr; ich habe mannigfaltige Beweise dieser traurigen Wahrheit in Händen.
O ihr jungen Leute! – ihr die ihr mich versteht! – und o wie glücklich sind die, denen das alles was ich da geschrieben habe, ein Räthsel ist. – Ihr jungen Leute alle, die ihr das Unglück habt, in dies Laster verfallen zu seyn, bebt vor dem Abgrund, vor der Hölle zurück, die vor euern Augen offen steht – ja bebt zurück! denn bald könnt ihr es nicht. es giebt ein gewisses Mittel euch noch zu retten, und dies ist, der Himmel veste Vorsatz, nie wieder das Laster zu begehen, aber dann auch diesen Vorsatz treu auszuführen. Freylich wird aufs letzte diese Ausführung beynahe unmöglich, denn der Reiz dazu ist fast unüberwindlich, aber alles i st möglich dem, der da glaubet; wenn euch der Reiz wie ein wütender Satan überfällt, so wendet euer Herz zum Sündentilger, fleht um Kraft, und kämpft bis aufs Blut, bis ihr überwindet; wenn ihr treu ausharret, so wird der Kampf immer leichter, und hört mit dem Reit endlich ganz auf. Es ist allerdings traurig, daß sich dann die verdorbene Natur, des Nachts, ohne Wissen und Willen, im Schlaf noch zu helfen sucht, allein, wenn man spät schlafen geht, bätend einschläft, nicht auf dem Rücken liegt, und des Morgens aufsteht, so bald man erwacht, so verliert sich auch das hernach allmählig. Dann heißt es aber auch bey euch mit vollem Recht: es wird mehr Freude im Himmel seyn, über einen Sünder der Buße thut, als über neun und neunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Stellt euch aber die Wonne vor, die euer ganzes Wesen durchströmen muß, wenn ihr nun über einen schrecklichen Tod, und über die ewige Verdammniß gesiegt, und nun wieder Hofnung zum Leben und zur Seeligkeit errungen habt! es wird euch zu Muth seyn, wie einem armen Sünder, der auf dem Gerichtsplatz begnadigt, und seiner liebenden Frau und Kindern wieder gegeben wird. Ihr Eltern! Väter und Mütter! seyd wachsam über eure Kinder, besonders auf die Knaben, schleicht ihnen oft nach, wenn sie an einen Ort allein gehen, doch ohne daß sie es merken; besonders ist dies die Pflicht, der Schullehrer, den in den Schulen ist dies schreckliche Laster gewöhnlich. es scheint mir als ob dies fürchterliche Uebel unsern Alten gänzlich unbekannt gewesen sey; ich wenigstens hab in der Geschichte keine Spur davon gefunden. Guter Gott! sind dann der Laster und Verbrechen noch nicht genug unter den Menschen, müssen noch neue erfunden werden? – aber das sind die Folgen der Verfeinerung aller sinnlichen Vergnügen; die Nerven werden so reizbar, und die Einbildungskraft so lechzend nach wollüstigen genußreichen Bildern, daß endlich die überspannte Natur, zu unnatürlichen Mitteln diesen Genuß zu erlangen hingerissen wird.
Dies alles wird nun noch durch die Erkaltung der Religion befördert: […].
 
 

Ein Erziehungs- bzw. Schulplan aus dem Jahr 1781:

Er: Ja; aber ich glaube nicht, daß die Kinder alles fassen und begreifen können.
 
Ich: Das könten sie gewiß, wenn mans nur darnach anfinge. Ich will ihm jezt einmal meinen Plan sagen, wie ich mit den Kindern verführe, wenn ich Schulmeister wäre.
 
Er: Ei, das sagen sie mir doch, ich will alles annehmen; alles! denn ich sehe, daß sie das Ding verstehn.
 
Ich: So bald die Kinder anfangen, in die Schule zu gehen, muß man sie freilich buchstabiren und lesen lernen; dies kan nun immer in den gewöhnlichen A. B. C. Büchern, und auf die gewöhnliche Art geschehen. Zugleich aber muß man sorgen, den Kindern ihren Verstand und Herz auszubilden; das ist: man muß ihnen sagen, daß Gott Himmel und Erde und alles gemacht habe, besonders muß man ihnen alles, was besonders schön und herrlich ist, zeigen, als die Sonne, den Mond, die Sterne, schöne Blumen, Thiere, Steine und dergleichen, und ihnen dabei erklären, wie Gott die Welt gemacht habe. Dies kan täglich geschehen, wenn man ihnen das erste Kapitel im ersten Buch Mosis vorliest, oder sie’s selber lesen läßt, und ihnen dann alles von Wort zu Wort erklären. Zugleich aber muß man auch sorgen, daß ihr Herz gut werde, das ist, daß sie Gott und Menschenliebenlernen. Dadurch, daß man ihnen beibringt, Gott habe alles gemacht, lernen sie zwar Gott als den größten, weißesten und mächtigsten Herrn erkennen, aber sie wissen darum noch nicht, daß er so unendlich gut ist. Das ist nun kein besser Mittel, als daß man sie mit der Naturgeschichte bekannt macht; z. B. macht man sie mit den Bienen bekannt, wie sie ihre Haushaltung führen, und wie gütig Gott gegen sie sey, daß er ihnen die Blumen zu ihrer Nahrung gegeben; mit dem Vieh, daß er Gras für solches hat wachsen lassen, davon es seine Sättigung haben kan; mit den Vögelchen unter dem Himmel, welche doch die Kinder besonders lieben, wie ihnen Gott allen ihre Speise geschaffen hat, und daß er kein’s verhungern läßt. Zugleich nimt man hier Anlaß, ihnen zu zeigen, wie man überall in der Natur finde, daß zwar Gott einem jedem Dinge seine Nahrung gebe, aber daß es sie auch nach allen seinen Kräften suchen müsse. Als, die Bienen müssen weit und breit herum ihre Nahrung suchen; die Vögel fliegen weit und breit umher, und lesen einzelne Körnchen uns Würmchen zusammen; und die Ameisen, mit welcher Mühe schleppen sie ihre Speise in einen Haufen beisammen! so muß man die Kinder allmählich darauf führen, daß auch der Mensch alle seine Kräfte anwenden müsse, um sich ehrlich zu nähren: dann werde es ihm nicht fehlen; wenn er aber faul sey, und sich nicht um sein ehrliches Auskommen bekümmere, so werde er auch Mangel leiden müssen. Dadurch, daß man nun den Kindern beibringt, wie Gott alles ernährt, und wie er die Menschen besonders oft in Gefahren bewahrt, dadurch bekommen sie Liebe und Zutrauen zu ihm. Hier muß man nun höchst fleissig seyn, sie auf ihr eigenes Leben aufmerksam machen, sie angewöhnen, sich selbst zu beobachten. Wo ihnen etwas Verdrießliches zustößt, da muß man ihnen beibringen, daß das Unvollkommenheiten dieses Lebens seyn, und die nicht zu vermeiden wären, die man aber geduldig ertragen müsse, besonders weil sie zu ihrem Besten dienten, weil man dadurch vorsichtig, biegsam und gelassen würde, und also auch das Uebel in der Welt zu unserm Besten diene. Wenn man auf solche Art verfährt, so werden die Kinder mit Gott bekannt. Darauf fängt man auch an, sie zum Gebet anzuführen. Die gewöhnlichen Sprüche und Reimen, die man die Kinder in der Schule auswendig lernen und hersagen läßt, sind sehr nüzlich, und nicht zu verwerfen, nur muß man nicht sagen, daß das gebetet heiße. Man wählt dazu gute nüzliche Reime, in denen kein Unsinn ist, läßt sie dieselben hersagen, und nach und nach auswendiglernen; sie haben den nuzen, daß sie hernach einem in allerhand Zufällen des Lebens einfallen und trösten. Das eigentliche Beten, das man die Kinder lehrt, ist weit anders beschafffen; man führt sie folgendergestalt dazu an: Erstlich, wenn die Kinder des Morgens in die Schule kommen, so muß der Schulmeister selbst beten, und die Kinder wohl acht geben lassen; da muß er nun ganz einfältig beten, so, daß es die Kinder alle recht wohl verstehen; eben so auch, wenn sie weder aus der Schule nach Hause gehen. Nach dem Beten muß der Schulmeister die Kinder ermahnen; da würd’ ich ungefähr so sagen: Seht, lieben Kinder! gebt nun hübsch acht auf das, was ich euch sagen will! Der liebe Gott hat uns alle geschaffen, und wenn wir das Unsrige thun, das ist, wenn ihr brav lernt, euren Eltern und mit folgt, dann erhält er uns auch. Nun ist aber der gute, liebe Vater überall, wir mögen seyn, wo wir wollen, ob wir ihn gleich nicht shen können, denn er ist ein Geist, den man so mit den Augen nicht sehen kan; auch thut er alles, warum wir ihn bitten, wenn es uns nur nüzlich ist. Seht! darum müßt ihr nun auch beten, da braucht ihr nun nicht viel Worte zu machen; ihr geht allein an einen Ort, wo euch niemand sieht, und daß es niemand weiß, und sagt dem grossen Gott ganz einfältig, was ihr gern hättet. Zum Exempel, des Morgens dankt ihr dem l ieben Gott, daß er euch die Nacht bewahrt hat; denn seht! wie leicht kan uns des Nachts ein Unglück begegnen; wenn uns nun keines begegnet, so hat uns Gott bewahrt, und das müssen wir erkennen und ihm dafür danken. Dann betet ihr ferner, daß euch nun auch der liebe Gott den heutigen Tag bewahren, und euch alles geben wolle, was euch nüzlich und gut ist; besonders müßt ihr aber recht herzlich darum bitte, daß Gott alles so lenken und führen wolle, damit rechtschaffene, fromme Menschen aus euch werden mögen. Auch den Tag über müßt ihr oft in eurem Herzen an Gott denken, und in den Gedanken zu ihm beten, denn er weiß auch alles, was wir denken u. s. w. Sieht er, Herr NN, so würde ich die Kinder nach und nach zur Erkenntniß und Liebe Gottes angewöhnen.
 
Er: Das ist wohl vortreflich; aber wie gehts denn mit der christlichen Religion?
 
Ich: Dafür hat er den Katechismus, den muß er ordentlich gebrauche; da würde ichs so machen: Die Kinder, welche den Katechismus auswendig lernen, die nähmlich alle zusammen in eine Klasse, oder auch nur diejenigen, welche gute Köpfe haben, und sich gut zusammen schicken, und die, welche keine gute Köpfe haben, wieder besonders; nun gäbe ich ihnen allen ein kleines Stück aus dem Katechismus auf, das alle, die zusammen in eine Klasse gehörten, auswendig lernen müßten. Das wäre nun des Morgens das erste nach dem Gebet. Ich läse das Stück öffentlich laut und langsam vor; alle die es lernen sollten, müßten mit mir zugleich ins Buch sehen, und nun erklärte ich ihnen alles ganz leicht und faßlich; dies wiederholte ich des Tages ein paarmal, und den andern Morgen ließ ich es einer nach dem andern auswendig hersagen, erklärte es darnach noch einmal, und gäbe dann wieder ein neues Stück auf. Wenn wir nun den Katechismus so zusammen durchgegangen hätten, so würden die Kinder mit ihrer Religion sehr bekannt seyn; und damit sie alle behalten möchten, so wiederholte ich alle Sonnabende, was die Woche über gelernt worden.
 
Er: Diese Art, den Katechismus zu lernen, gefällt mir in der That, und ich will sogleich damit anfangen. Aber sie wollten mich ja auch noch lehren, wie man die Kinder sonst noch in allerhand Nützlichem unterrichten müsse.
 
Ich: Freilich will ich das! Jezt nur noch ein Wort von der Menschenliebe, denn von der Gottesliebe habe ich schon geredet, und dann habe ich ihm gesagt, wie man das Herz der Kinder ausbilden müsse. Man muß erstlich den Kindern vorstellen, wie viele Mühe und Kosten ihre Eltern an sie verwendet haben, und noch verwenden, so lange, bis sie groß und erzogen sind, und sie sich ihr Brod selber erwerben können; dadurch muß man sie zur Dankbarkeit und Gehorsam gegen die Eltern angewöhnen. Ueberhaupt aber muß man sie die Menschen beobachten lehren, und das folgendergestalt: Der Mensch ist von Natur dazu geartet, daß er gern an andern Menschen Fehler aufsucht, und das darum, weil man selber Fehler hat, und doch gern dafür angesehen wäre, daß man zu den besten Menschen gehört. Diese Unart ist schon bei den Kindern tief eingewurzelt; daher verführe ich also: Ich prägte von Zeit zu Zeit den Kindern tief ein, daß der größte Ruhm eines Menschen nicht darin bestünde, wenn er scheine keine Fehler zu haben, und wenn er seine Fehler vor den Menschen verheelt, denn sie kämen doch endlich an den Tag; sondern darin bestünde der größte Ruhm eines Menschen, wenn er in der That sehr wenige Fehler hätte. Dann erzählte ich den Kindern allerhand schöne Geschichten von tugendhaften, frommen Menschen, sowohl aus der Bibel, als aus andern guten Büchern, und da hielte ichs für sehr nüzlich, wenn man die Kinder täglich einmal ein Kapitel aus der Bibel, und zwar nur bloß aus den historischen Büchern öffentlich herlesen ließe, das könnte unter den Kindern um gehen; dabei erklärte ihnen der Schulmeister die Geschichte ganz einfältig, und machte sie besonders aufmerksam auf die Schicksale der bösen und guten Menschen in dieser und in jener Welt. Jezt, um wieder auf die Menschenliebe zu kommen, müßte man nun die Kinder angewöhnen, daß sie beständig auf ihre eigene Gedanken, Worte und Werke acht hätten, und dabei ist es dann vortreflich, wenn man ihnen das Leben unsers Erlösers Jesu Christi beständig fort erklärt, und ihnen zeigt, wie menschenliebend er war. Wenn nun die Kinder sich nach und nach angewöhnt haben, sich selber zu beobachten, welches Christus wachen nennt, wenn sie zugleich dabei beten, so wird das Herz nach und nach zart und geling gegen ander Menschen; man erkennt allmählich, daß man eben so schlimm, ja oft noch schlimmer sey, als andere Menschen. Nun lernt man mit andern Geduld haben, man schmäht, man lästert sie nicht mehr, und nun ist das Herz erst geschickt, die Menschen zu lieben. Diese Liebe besteht nicht allein darinnen, daß man die Menschen gerne hat, oder gern bei ihnen ist; auch die bösesten Leute lieben so ihre Freunde; sondern darauf beruht eigentlich die Menschenliebe, daß man einen Gottesdienst daraus mache, es sich die größte Pflicht seyn lasse, andre Menschen glücklich zu machen. Da muß man nun die Kinder fleissig anführen, sich unter einander zu dienen; denn da Gott und Menschen alle gemacht hat, so sind wir alle Brüder unter einander; und da nun Gott gerne sähe, daß alle Mensch glücklich würden, so muß ein jeder allen Fleiß anwenden, wo er nur kan, ohne jemand anders zu schaden, sich selbst und andre glücklich zu machen. wenn das von allen Menschen geschähe, so hätte man schon einen Himmel auf der Erden.
 
Er: Das sind alles herrliche Sachen.
 
Ich: Jezt wollen wir nun auch wieder aufs erste kommen: Ich wollte haben, daß man den Kindern so allerhand Begriffe von der Natur beibrächte, damit sie Gott besser in der Schönheit derselben verherrlichen, und selber Freude daran haben möchten; hierbei würde ich gern folgendergestalt zu Werk gehen: Weil doch die Kinder sich im Lesen üben müssen, so ließ ich täglich, wie oben gemeldet, ein Kapitel aus der Bibel herlesen, und das erklärte ich ihnen; darnach aber nähm ich ein Buch von der Physik, das für die Kinder geschrieben ist; mir gefällt Herr Formey’s
Abrégé de Physique / par Mr. [Johann Heinrich Samuel] Formey (1711-1797); Tl. 1: Qui contient la physique générale. A Berlin, Chez Joachim Pauli, 1770. 291 S.; 8°. – Tl. 2: Qui contient la physique particuliere. A Berlin, Chez Joachim Pauli, 1772, 352 S., [1] Bl.; 8°. – Deutsche Übers.: Entwurf d Physik, Berlin 1770-1773.
Physik noch immer wohl; darinnen ließ ich sie auch täglich ein Stück lesen, und erklärte es ihnen, dadurch lernten die Kinder so das Nöthigste von den Kräften der Natur kennen, und das ist fast absolut einem jeden Menschen nöthig, er mag Bauer oder Handwerksmann werden, das thut ihm sein ganzes Lebenlang gut. Darnach nähm ich auch ein gutes Kräuterbuch, und lernte selber erst die vornehmsten Kräuter kennen, und wozu sie vorzüglich gut wären. Da braucht man sich nun eben nicht so sehr tief in die Arzneikunst einzulassen, denn ein Mensch kan doch nicht alles wissen; aber doch so einige gute Hausmittel unter den Kräutern für Menschen und Vieh, sind dienlich zu wissen. Aber alle Pflanzen, die dem Bauer, dem Handwerksmann und dem Kaufmann dienlich und nüzlich sind, die müßten mir die Kinder alle lernen. Zugleich aber muß man sie auch unterrichten, wie die Pflanzen entstehen, wie sie vom Samenkorn an wachsen, wie sie auch inwendig beschaffen sind, wie sie blühen und so Früchte tragen, das ist, wie sie sich fortpflanzen, und enlich, wie sie wieder absterben oder vergehen; das alles ist dem Ackersmann oder dem Bauer, und auch dem Handwerksmann aus der Maassen nüzlich. Man hat ein sehr gutes Buch, woraus man das alles lernen kan, das heißt: Dietrichs
[Karl Friedrich Dieterich, 1734-1805] Carl Friedrich Dieterich Anfangsgründe der Pflanzenkenntniß mit zwölf Kupfertafeln. Leipzig, bey Caspar Fritsch, 1775. [4] Bl., 360 S., [2] Bl., XII gef. Bl., Ill. (Kupferst.); 8º. – Zweyte verbesserte und vermehrte Auflage. Leipzig : bey Caspar Fritsch, 1785. [5] Bl., 323, [1] S., 12 Ill.(Kupferst.); 8º.
Pflanzenkentniß, das ist nun freilich für die Kinder zu gelehrt, aber der Schulmeister kan es brauchen, und der muß es dann hernach den Kindern mündlich vortragen.
Zuweilen, und vermuthlich am besten des Sonntags Nachmittags, weil dann doch die Kinder nichts Gutes zu treiben pflegen, dann muß der Schulmeister mit den Kindern heraus uns Feld spazieren gehen, und Kräuter mit ihnen suchen. Es ist auch gar nüzlich, wenn die Kinder die nöthigsten, nüzlichsten und schädlichsten Thiere, auch das Ungeziefer, kennen lernen; darzu hat man nun wieder allerhand gute Bücher, die sich der Schulmeister anschaffen, und die Kinder daraus unterrichten kan. Wenn nun das alles die Kinder einmal hinlänglich wissen, so bringt man ihnen nun auch die Landwirthschaft bey: denn das ist doch eigentlich der Beruf der Bauerkinder; und wie glücklich würde einLand werden, wenn die Schulen alle auf solche Art treulich bedient würden!
 
Er: Man glaubt, man wüßte dies, wenn man aber ander Leute hört, so sieht man, daß man noch nichts weiß.
 
Ich: Ja, und was ich weiß, das ist noch Kinderspiel gegen das, was noch andere Leute wissen.
 
 
 

Einige Kernstellen Jung-Stillings über Erziehung im Allgemeinen

1784: " nehmt das in Acht, ihr Eltern! daß ihr ja kein Kind dem andern vorzieht, denn daraus wird sein Lebtag nichts Gutes."
 
  
1781: "Denn seht, ihr Leute! das Kindererziehen ist eine schwere Kunst, man kan sie lange nicht alle auf eine Manier erziehen, bei weitem nicht; aber wer versteht das so unter euch, daß ihr die Kinder erzieht, wie es ihre Natur erfordert."
 
  

Behandlung von begabten Kindern (1781):

D... sehr viel Herzeleid haben würde, und da muß ich euch zur Warnung noch ein und anders sagen. D... war eben so klug, als er ungestalt war. Er hatte einen sehr guten Begrif, und da mußte ihm alles von der Faust weggehen. So bald er des Morgens aufstund, so fielen ihm tausend Difteleien [sic; Tüfteleien] und Kunststücke ein, die er des Tages machen wollte. Wenn dann sein Vater kam, und predigte ihm allerhand Gutes vor, und betete mit ihm, dann dachte er gar nicht an das, was gesagt wurde, sondern an seine Difteleien. Das betrübte seinen Vater; der schlug ihn dann oft, und wollte das Ding mit Gewalt zwingen. Dadurch wurds aber immer schlimmer; denn der Junge kriegte dadurch so nach und nach einen heimlichen Haß gegen alles Gute, daß er das Beten und etwas Gutes reden nicht hören und sehen konte. Kinder, welche so thätig und klug sind, die muß man anders erziehen. Hätte es sein Vater recht verstanden, so hätte er ihn zufrieden lassen müssen. Er hätte nicht lange so Sachen mit ihm reden müssen; sondern ein paar gute kraftvolle Worte sind da gnug, auch ein kurzer kräftiger Seufzer, und dann läßt man so einen Knaben seiner Wege gehen. Aber immer muß man ein wachsames Auge auf ihn haben; bei jeder Gelegenheit, wo er etwas thut, da muß man ihn erinnern, daß sich so etwas für einen Menschen nicht schicke, dem unser Herr Gott so grosse Gaben gegeben hätte, und dann muß man einen solchen Knaben Arbeit geben, die sich für ihn schickt. So hätte ich dem D... eine hölzerne Uhr gekauft, und sie ihm hingestellt, und gesagt: Da, D..., nun gib dich dran, und sieh, ob du so etwas machen kanst. Das ist Kost für so einen Kopf; aber nicht Kinderwiegen und Grundbirn schälen. Hätte er endlich die Uhr im Kopf gehabt, so hätte ich gesagt: Ja, Junge! das weißt du nun zwar, aber das ist noch nicht genug. Guck! es gibt auch Uhren, da ist oben ein Guckuck [sic; Kuckuck] darauf, der macht allemal, wenns schlägt, ein Thürchen auf, und ruft: Guckuck! So muß man einen so fähigen Kopf beschäftigen und erziehen. Hätte der D... zu andern Künsten Lust gehabt, so hätte man in den Künsten eben so mit ihm verfahren müssen. In der Religion muß mans mit den Kindern, die so fähige Köpfe haben, eben so machen. Da würde ich gesagt haben: D..., denk doch einmal so drüber nach, du siehst da Himmel und Erden, und die schöne Sonne, und des Nachts den Mond und Sterne: wer mag das wohl alles gemacht haben, und wie ist das worden. Hätte dann der Knabe sich müde darüber gedacht, so hätte ich ihm gesagt: Schau! ich will dir ein Buch geben, darin kannst du lesen, wie alles worden ist, und so hätte ichs mit allem gemacht. Kurz! einen fähigen Kopf muß man alles selbst ausgrübeln lassen, und dann muß man ihm endlich kurz und gut drauf helfen; das einfältige Vorpredigen macht ihm nur Zeit und Weile lang, und das verdirbt alles. Das verstund aber nun H... nicht besser, und da kriegte er großes Kreuz mit dem Buben; aber an G… hatte er grosse Freude.
 
 

Siehe auch:

Trechsel, Friedrich (1805–1885): Jung-Stilling über methodistisch-pietistische Kindererziehung. – In: Volksblatt für die reformirte Kirche der Schweiz. Jg. 17, Bern: Stämpfli 1885, S. 260-262. 

 

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